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Wolfgang Slapansky: Reise in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Wien#

Bild 'Slapansky'

Wolfgang Slapansky (Hg. Georg Sever): Reise in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Wien. Ausgewählte Schauplätze. ÖGB Verlag Wien. 188 S., ill., € 24,90

Die Reise beginnt auf dem Wienerberg in Favoriten, wo sich 1820 das größte Ziegelwerk Europas befand. Mehrere tausend Menschen waren beschäftigt, die meisten kamen aus Böhmen und Mähren. Die ArbeiterInnen wurden in den Krisengebieten der Monarchie angeworben, ihre Zahl verdoppelte sich zwischen 1850 und 1870. Die "Ziegelböhm" werkten in Familienpartien. Bevor das Privatunternehmen von Alois Miesbach und Heinrich Drasche 1869 in eine AG umgewandelt wurde, waren die Arbeitsverhältnisse "einigermaßen sozial". Es gab auf dem Werksareal Wohnhäuser, Kindergarten, Kantinen und ein Spital für die ArbeiterInnen, auch Renten- und Krankenversicherungen bestanden. 1888, Jahre nach der Umwandlung, hatte sich der Arzt, Journalist und Politiker Viktor Adler als Undercover Reporter Einblick in die Lebensverhältnisse der Zuwanderer verschafft. Er nannte sie "die ärmsten Sklaven, welche die Sonne bescheint". 1890 gründeten einige Arbeiter einen Bildungsverein, der zunächst Kurse in Lesen, Schreiben, Rechnen, Reden und Singen veranstaltete. 1895 rief der Verein zum Streik auf, der zehn Tage dauerte. Es kam zu Ausschreitungen, doch letztlich hatten die Arbeiter Erfolg und konnten eine Gewerkschaft gründen. Im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde der Rohstoff Lehm knapp und die Ziegelfabrikation verlagert. Einen Teil der Grundstücke hatte die Gemeinde Wien erworben und schon ab 1927 als Mistablagerungsplatz verwendet. In den 1970er Jahren begann sie mit der Umgestaltung der "Gstättn" in ein 23 Hektar großes Naherholungsgebiet. Es verfügt über einen Golfplatz ebenso wie einen Ziegelteich, seltene Tier- und Pflanzenarten haben sich angesiedelt.

Der Autor, Wolfgang Slapansky (1959-1917), kannte diese Gegend besonders gut. Der im 10. Bezirk aufgewachsene Ethnologe widmete seine Dissertation dem Böhmischen Prater. Auch über den Fußball in Favoriten hatte er publiziert. Beide Themen behandelte er ausführlich im vorliegenden Buch. Der Böhmische Prater entstand als Ausflugsziel und Vergnügungsviertel für die tschechischen ArbeiterInnen, besonders der Ziegeleien, auf dem Wienerberg. Böhmische Blaskapellen spielten, besonders beliebt beim Publikum war der Fünfkreuzertanz. Bei diesem billigen Vergnügen zahlte man pro Person (bzw. pro Paar) für jeden Tanz 5 Kreuzer. 1882 stellte ein Wirt in seinem Gastgarten eine Schaukel und ein Ringelspiel auf. Zwei Jahre später gab es bereits 20 Gaststätten und zahlreiche Schaustellerbetriebe. Sie profitierten umso mehr, als 1886 in Wien ein polizeiliches Verbot öffentlicher Tanzveranstaltungen erfolgte. Als Begründung nannte der Erlass Exzesse, Schlägereien, nächtliche Ruhestörungen und gröbliche Verletzungen von Sitte und Anstand. Auch würde, so heißt es darin, dem Müßiggang und der "Lüderlichkeit" der ArbeiterInnen und Hausbediensteten Vorschub geleistet. Zum Glück für die Lokale im Böhmischen Prater war Favoriten damals noch nicht nach Wien eingemeindet. Dementsprechend erhöhten sich hier Umsatz und Anzahl der Gastwirtschaften, die nun eine Art Monopol besaßen.

Die "Ziegelböhm" hatten kaum Zeit und Geld für Unterhaltungen. Für die Jugendlichen bot sich als Sport das Fußballspiel an. 1897 konstituierte sich der "Erste Wiener Arbeiter Fußball-Club", der sich ein Jahr später in "Sportclub Rapid" umbenannte. Immer mehr Vereine entstanden in den Arbeiterbezirken, auch in Favoriten herrschte reger Betrieb. Die Buben übten mit dem "Fetzenlaberl", Talentesucher brachten viele von ihnen in Vereine. Der wohl bekannteste Spieler war Matthias Sindelar. (1903-1939) "Er galt als einer der besten Mittelstürmer der Welt und war der Star des Österreichischen Wunderteams der 1930er Jahre." Er starb unter mysteriösen Umständen, vermutlich an einer Leuchtgasvergiftung. 1945 rühmte ihn der Literat Friedrich Torberg: " … Er spielte Fußball wie kein zweiter, er stak voll Witz und Phantasie / Er spielte lässig, leicht und heiter, er spielte stets, er kämpfte nie."

Die "Reise" umfasst sieben Stationen, darunter Wohnverhältnisse, Wohnungspolitik des Roten Wien. Ein Paradeprojekt war der 1930 eröffnete Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt: "Ein monumentaler Prachtbau, 1,2 Kilometer lang und rund 50 m breit. … 1.400 Wohnungen, 5.000 Menschen fanden hier eine neues Zuhause. … großzügige, weitläufige Grünflächen und Spielplätze in den Innenhöfen. Nur etwa 20 Prozent der gesamten Fläche sind bebaut, bei den Zinshäusern war es genau umgekehrt." Der Superblock verfügte über eine umfassende Infrastruktur, einen "Konsum", Handwerksbetriebe, zwei Zentralwäschereien, zwei Zentralbadeanlagen (die kleinen Wohnungen hatten zwar Fließwasser und WC, aber keine Badezimmer). Weitere Themen reichen von der Vergangenheit in die Gegenwart, wie "Arbeiterinnen- und Arbeiterschaft und Migration" - oder "Arbeiterinnen- und Arbeiterschaft gegen Faschismus und Vergessen". Stationen dabei sind u. a. der Viktor-Adler- und der Brunnenmarkt, die Moschee am Hubertusdamm, Schwedenplatz, Judenplatz und Albertinaplatz

Das Buch zeigt, wie man seriöse Wissenschaft - Wolfgang Slapansky war Lehrbeauftragter an den Volkskunde-Instituten in Wien, Graz und Innsbruck - und gehobenen Journalismus - ORF, u. a. Producer der Ö1 Sendereihe "Memo" - verbinden kann. Die Texte lesen sich leicht und unterhaltsam, doch man merkt, wie viel Wissen dahinter steckt.