Konferenz in Permanenz#
(Anläßlich einer Jahrhundert-Markierung: 1918-2018)#
von Martin KruscheKlaus Kinsky würgt Josef Beuys. Leopold Figl schaut staatstragend drein. Donald Trump und Kim Jong-un brüllen im Duett eine Wagner-Arie. Falco ist einfach Falco. Maler Nikolaus Pessler fährt mit wuchtigen Pinselstrichen quer durch die Geschichte, zeigt uns überdies, daß Gott bei der Erschaffung Adams gezögert haben könnte.
Weder an Pesslers Inhalten, noch an seiner Handschrift findet sich etwas Liebliches. Ah, übrigens! Ein Künstler, der nach eigener Fasson zu Inhalten findet, um sie in Ironie und in Brechungen zu bearbeiten, dabei auch die eigene Position nicht ausnimmt, das ist ja manchen Menschen suspekt.
Österreich erlebt gerade den frischen Boom einer Politik, die sich eher wie Marketing, denn wie Staatskunst ereignet. Dabei spüren wir alle, daß die Zeit aktuell unsere Fundamente erschüttert, weil sich enorme Umbrüche ergeben haben. Ist es da zuträglich, daß jemand auf eigenen Ansichten beharrt, die Irritationen womöglich in kräftigen Farben herausstellt?
In den 1990er Jahren ließ uns Pierre Bourdieu wissen, daß die Bourgeoisie von der Kunst eine Bestätigung ihrer Selbstgewißheit erwartet habe und daher die Kühnheit der Avantgarde nicht anzuerkennen vermochte. Das hat der französische Soziologe auffallender Selbstgefälligkeit und Ignoranz dieser Bourgeoisie zugeschrieben. Sein Befund betraf eine kulturgeschichtliche Epoche des vorigen Jahrhunderts. Aber diese Bourgeoisie hatte wenigstens noch eine Ahnung, was sie bevorzugte, wenn sie die Avantgarde ablehnte, also von wo aus sie gegen die Neuerungen war.
Heute sieht ein beunruhigtes Bildungsbürgertum auf uns Kulturschaffende, da brauche ich schon einiges Glück, um in deren Reihen einzelne Personen herauszufinden, die von Zeitgeschichte, kulturhistorischen Hintergründen und womöglich auch von Kunst eine ausreichend differenzierte Ansicht haben, daß man darüber anregende Gespräche führen könnte. Um sinnvoll zu streiten braucht es übrigens genauso sachkundige Personen, die begründen können, was sie verabscheuen. Immerhin befinden wir uns in einer spannenden Modernisierungskrise, die in allerhand Aspekten fatal an jene Jahrhundertwende erinnert, welche Stefan Zweig in seinem Buch „Die Welt von Gestern“ beschrieben hat.
Ende des 19. Jahrhunderts erlebte Europa gerade eine Blüte in Wissenschaft und Technik, folglich in der Wirtschaft, in den Künsten sowieso. Es war eine Zeit, in der Amerika und Deutschland gerade die Kurve nahmen, um Großbritannien als die bis dahin vorherrschende Industrienation der Welt zu überflügeln. Österreich und Deutschland hatten davor die Kolonialisierung und das Ausplündern der Welt weitgehend versäumt. Habsburger und Hohenzollern wollten das revidieren. Dazu kamen einige innenpolitische Probleme. In Österreich vor allem durch die Arroganz deutschsprachiger Eliten gegenüber anderen Ethnien. (Stichwort: Badeni-Krise.) So begannen die beiden Herrscher 1914, was hundert Jahre davor, nämlich 1814, schon der Wiener Kongreß angegangen war. Den Vorstoß zu einer Neuordnung Europas. Dabei kamen sie zwangsläufig anderen Regierungen ins Gehege.
Wie sehr dieses großspurige Abenteuer in einem Feuerwerk von Inkompetenz und Fehlleistungen unserer Aristokratie unterging, muß heute nicht mehr hervorgehoben werden. Es ist evident, weil gründlich dokumentiert. (Sehr lesenswert: „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918“ von Manfried Rauchensteiner!) Nun also der Blick auf 1814, 1914 und schließlich 2014. Zuletzt wurde unübersehbar, daß die EU (und damit Europa) taumelt. Dieses Taumeln kam durch Wirkungen aus sehr verschiedenen Quellen zustande. Eine der prominentesten ist darunter sicher der Crash der Lehman Brothers gewesen, dessen Schockwellen ab 2008 zügig um die Welt gingen und sich spätestens Ende 2010 mit unseren hausgemachten Problemen vermischten.
Wer es nun immer noch vorzog, wach zu bleiben und der Zukunft ins Gesicht zu blicken, konnte bemerken: Augenblicklich vollzieht sich eine Vierte Industrielle Revolution, die vor allem dadurch gekennzeichnet ist, daß wir Maschinensysteme entwickelt haben, die mehr und mehr Dinge können, welche wir bisher bloß Menschen zugetraut haben. Siehe dazu: „Industrielle Revolutionen“ (Ein kleiner Überblick) Es ist uns heute in hohem Maß aufgebürdet, was Philosoph Günther Anders voriges Jahrhundert die „Prometheische Scham“ nannte, da uns Maschinen mit Leitungen beschämen, die wir Menschen nicht übertreffen können.
Zu all diesen Fragen saßen wir jüngst in Graz an einem Tisch, nachdem ich mich mit Techniker Horst Fickel zuvor in Gleisdorf besprochen hatte. Das ist insgesamt auf eine längere Vorgeschichte gestützt. (Fickel ist ein Fachmann für Umwelttechnik im Bereich Erneuerbarer Energie.) Nun sind wir mit Künstler Nikolaus Pessler und Petra Lex (Stadtteilarbeit) übereingekommen, daß wir uns in diesen Dingen und möglichen Vorhaben längerfristig verständigen. Damit ist auch die „Konferenz in Permanenz“ wiederbelebt.
Eine Reihe großer Themen, die wir anziehend finden, sind nicht im Vorbeigehen und nicht in einem einzelnen Schritt zu fassen. Machen wir uns daran, zeigt sich das Naheliegende: Wir haben es nicht bloß mit einem Thema zu tun. Andauernd funkeln da und dort Querverbindungen zu anderen Themen. Es ist komplex.
So waren wir schon vor Jahren zum simplen Schluß gekommen, daß sich kompetente Kräfte aus Kunst, Wirtschaft und Wissenschaft mit ihren Kenntnissen gemeinsam über manche Fragestellungen auseinandersetzen sollten. Techniker Horst Fickel war ab der ersten KWW-Session im Jahr 2011 dabei.
Der Modus einer Konferenz in Permanenz geht allerdings auf den 13. Februar 2004 zurück. Die IG Kultur Österreich hatte im Depot in Wien zu einer Serie von Arbeitstreffen unter dem Titel „1. Politische Kulturarbeit // Präsentation Transit Zone„ geladen. Dazu hieß es: „Eine Veranstaltungsreihe stellt im Wiener Diskurszentrum Depot beispielhafte Projekte vor und diskutiert die eingesetzten Strategien und Methoden.“
Teil dieser Veranstaltungen war die Präsentation „Transit Zone“ (Netzkultur und Kulturpolitik) durch Peter Karoshi (Historiker) und Martin Krusche (Autor). Das Aviso ist aus heutiger Sicht erwähnenswert, weil es einen Referenzpunkt bietet, an dem wir den jetzigen Status quo überprüfen können. (So auch nachzulesen in der Dokumentation „Zehn Jahre Depot. Der Offene Raum und die kritische Öffentlichkeit“)
Damals hieß es: „Eine neue Mediensituation sprengt die alten Raumkonzepte und zwingt die Zentren, ihr Verhältnis zur Provinz wieder neu zu regeln. Das ist kein populäres Thema, weil damit eine Umverteilung von Mitteln die notwendige Konsequenz wäre. Aber das ist vorerst nicht einmal innerhalb der Initiativenszene salonfähig. Art under net conditions schafft den Aktiven fern der Zentren Handlungs- und Arbeitsmöglichkeiten, die mit den Vorteilen der Anwesenheit im Zentrum nicht mehr a priori übersteuert werden können. Kultur.at resümiert im steirischen Projekt ‚Transit Zone (Netzkultur und Kulturpolitik)’ Erfahrungen aus der ‚Verschwundenen Galerie’ sowie aus ‚the long distance howl’“. (Quelle)
Dieser Rückblick hat dahingehend Relevanz, als Lex und Pessler ihren Ausgangspunkt in der Landeshauptstadt Graz haben, so auch Fickel, aber ihre Aktivitäten zu verschiedenen Themen und Aufgabenstellungen nicht an dieses Zentrum gebunden sind. Wer ging dabei welche Wege? Wohin hat uns das getragen?
Von 2004 bis 2018 hat sich das gesamte Feld innerhalb des Kulturbetriebs völlig verändert. Wir sind also gefordert, uns diesen Umbrüchen gewachsen zu zeigen; im Sinn einer kontinuierlichen Handlungsfähigkeit Kulturschaffender, die schon eine Weile nicht mehr mit eher günstigen Bedingungen rechnen dürfen. Dazu noch einmal kurz ein Blick zurück. Bezüglich jenes erwähnten Wiener Veranstaltungsortes heißt es: „1994 wurde das Depot von der damaligen Bundeskuratorin Stella Rollig - heute Direktorin des Kunstmuseums Lentos in Linz - auf dem Areal des heutigen Museumsquartiers in Wien gegründet. Als ‚Ort für einen Dialog zwischen Kunstschaffenden und RezipientInnen, Fachpublikum und erweiterter Öffentlichkeit’ sollte es dem Mangel an Kunsttheorie im Lande Abhilfe schaffen. Damals war es noch ein Raum von etwa 50qm mit durchschnittlich vier Veranstaltungen pro Monat.“ (Quelle)
Diese Aufgabenstellung ist über 20 Jahre später keineswegs hinfällig. Wie schon erwähnt, bezieht sich unser aktueller Arbeitsansatz für eine kollektive Wissens- und Kulturarbeit einerseits aus solchen Erfahrungen, andrerseits aus den Praxisschritten unter dem Label „KWW: Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft“. Er wurzelt überdies in den „Talking Communities“, wie sie auf eine Idee von Kunsthistorikerin Mirjana Peitler-Selakov zurückgehen, die auch Teil des ersten KWW-Teams war.
Diese Diskursreihe hatte ihren Auftakt im Dezember 2010. Das war unsere „Novi Sad-Session“ im Erdgeschoß eines Hauses, in dem Schriftsteller Aleksandar Tišma gelebt hat. Eine symbolträchtige Platzwahl, denn das Werk von Tišma hat Weltrang und ist sehr wesentlich dem mehrfachen moralischen Scheitern Europas und den Opfern dieser Brände gewidmet. Eine Situation, zu der uns Künstler Nikola Dzafo den Weg geebnet hatte. Die Gesprächsserie offenbarte uns damals übrigens eine ganz erhebliche Unruhe in den Reihen serbischer Intellektueller, von der Journalistin bis zum Philosophen. (Es ist die gleiche Unruhe, die wir heute auch empfinden.)
Wenn wir also jetzt die „Konferenz in Permanenz“ wieder aktivieren, um eine kontinuierliche Arbeitssituation zu erreichen, in der höchst unterschiedliche Kräfte zusammenwirken, dann hat das auch mit der Markierung des Zeitfensters „1918-2018“ zu tun. Wir waren im Auftakt einig, daß derzeit eine aktuelle Modernisierungskrise von aufregender Tiefe stattfindet, womit schon klar sein sollte: Das ist für uns keine Katastrophe, sondern eine Einladung, vertraute Ansichten aufzugeben, wo neue Zugänge unausweichlich sind. Dabei kommen wir freilich nicht ohne Geschichtsbetrachtung aus.
Das betrifft übrigens auch eine klare Position zu einigen Fragen der Gegenwartskunst. Dabei stimme ich mit Pessler überein, daß wir darin nicht auf ein Genie-Konzept setzen, das uns vom Himmel auf den Kopf fällt, um uns in den Zustand singulärer Exzellenz zu heben. Wir sehen uns in Traditionen der Kunst, die wir abschnittweise kennen, was bedeutet: Klarerweise ruht unser Tun auf den Vorleistungen anderer. Ab da geht es um viel Arbeit, oder wie es Karl Valentin sehr treffend formuliert hat: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“. Siehe dazu: „Was ist Kunst?“ (Einige Hinweise für unbeschwerte Zugänge)
Es sind diese letzten zweihundert Jahre, an uns ablesbar, da wir in einer permanenten technischen Revolution leben, die es zu deuten und zu bewältigen gilt; wie hier schon skizziert: mit den Mitteln der Kunst, der Wissenschaft, aber auch mit den Kompetenzen Wirtschaftstreibender. In genau diesem Zusammenhang bleibt aber auch zu betonen: Die Zeit von 1880 bis 1960 gilt als Ära der Klassischen Moderne. Wer ignoriert, was Kunstschaffende in der Zeit an den Gesellschaften in Europa und den USA bewirkt haben, wird die Gegenwart nicht begreifen. Nach dieser Zeit wurde es übrigens im westlichen Kunstgeschehen noch verwirrender, keineswegs zum Nachteil unserer Kultur.
Zu all dem paßt Petra Lex sehr gut mit ihrer Erfahrung aus der Stadtteilarbeit, denn das entspricht im urbanen Raum etwa dem, was ich in der Provinz als den Ansatz einer Eigenständigen Regionalentwicklung kenne. Derlei handelt nie von Spezialisierungen, sondern quasi von der Arbeit am ganzen Leben. So gesehen faßt die Headline „Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft“ gar nicht ausreichend, worum es derzeit geht.
Das bedeutet, hier sind sehr unterschiedliche Erfahrungen und Strategien für einen längerfristigen Erfahrungsaustausch gut. Das bündelt sich einerseits im Büro für Pessi_mismus (Verein für Kunst, Kultur und Dialog), welches Pessler und Lex gerade formiert haben. Das legt ferner Arbeitskontakte nahe, die über diesen Kreis hinausreichen.
So fand andernorts - zufällig am gleichen Tag wie diese Auftakt-Konferenz - ein Meeting statt, in dem Mirjana Peitler-Selakov ihr GISAlab, ein Kulturprojekt zu „Girls in Science and Art“, Richtung einer neuen Konzeption führt; und zwar in Kooperation mit Ursula Glaeser vom Kulturbüro Stainz. Also auch hier ein interdisziplinäres Setting, das über alte Denkmuster des Verhältnisses Zentrum-Provinz hinausgeht. Eine Kombination von Wissens- und Kulturarbeit mit sozialen Kompetenzen und Kunstpraxis.
- Büro für Pessi_mismus (Facebook)
Post scriptum:
Eine Serie von Nikolaus Pesslers Arbeiten wird Teil unseres 2018er Kunstsymposions sein: „Interferenzen“