Notiz 098: Das erloschene Bild#
(Ein Wegmarke am Sandriegelweg)#
Von Martin Krusche#
Wenn man von Hohenberg auf Gleisdorf zugeht, den Ortsteil Nitscha streift, kommt man zu jenem wichtigen Hochspeicher, der in den Jahren 1964 und 1965 erbaut wurde. Die Anlage erhielt 30 Jahre danach eine Erweiterung, um dem wachsenden Bedarf zu entsprechen. Eine markante Stelle über der Stadt.
Auf diesem Weg fiel mir neben der Straße ein liegender Stamm auf, mit einige Beschlägen versehen. Von der Machart her, Metallring und Schutzdach, wäre das als einstiges Stangenbild, als Träger einer Marienstatue, aber auch als Markierung für irgendeinem profanen Zweck denkbar.
Das habe ich auf zwei Albumblättern notiert, denn ich fand in der Nähe auch den völlig verwitterten Rest eines gerahmten Bildes.
Ich mag diese Motive der Veränderung, auch des Verfalls. Sie sind flüchtige Merkmale menschlicher Anwesenheit. Meine Weg-Notizen:
- Der Pfeiler am Wegesrand und das Bild
- Der Wasserspeicher mit einigen Objekten
Ich sollte später erfahren, was es damit eigentlich auf sich hat. Es ist ein schönes Beispiel für diesen persönlichen Ausdruck von Volksfrömmigkeit, die auf Lebenssituationen reagiert und nicht zu den über eine Institution geordneten Seiten einer Glaubenspraxis zähl.
Gabriele Sohar ließ mich via Facebook wissen, daß dieses Objekt mit ihrer Familiengeschichte verbunden sei. Ihr Vater, Franz Leiner, vormals Postbediensteter, kennt das Muttergottes-Bild. Sohar: „Es hängt schon seit seiner Kinder- und Jugendzeit dort. Oder noch länger, das kann er nicht mehr sagen.“
Der Standort läßt mich annehmen, daß es einst ein Marterl gewesen ist, eine Mahnung nach einem Unfall. Holzarbeiten gehören zu den extrem gefährlichen Jobs der agrarischen Welt, bei denen selbst erfahrene Routiniers nie außer Gefahr sind. So können etwa fallende Bäume durch verfangende Kronen augenblicklich die Richtung ändern und jemanden verletzten oder sogar töten. Derlei könnte dem Bild zugrunde liegen.
Sohar weiter: „Vermutlich gehörte der Wald einer Familie Wachtler. Warum das Bild aufgehängt wurde, kann er nicht sagen. Vor ihm hat es seine Mutter gepflegt, nach ihrem Tot mein Papa. Er hat diesen Pfahl eben gemacht, damit das Bild geschützt ist. Er hat ein Dacherl drüber gemacht.“
Also vom Baumbild zum Stangenbild und schließlich wieder an einem Baum verwahrt. Sohar: „Vorher hing es an einem Baum am Weg, wo es regelmäßig heruntergerissen wurde. Als die Straße verbreitert wurde, vor ein paar Jahren, war der Pfahl im Weg und wurde umgerissen und in den Wald geworfen. Samt Bild. Papa hat es aufgehoben und ein paar Meter tiefer im Wald wieder an einen Baum gehängt. Da ist es nicht im Blick von betrunkenen Buschenschank-Wanderern, aber trotzdem da, um Schutz zu geben, meint er. So, das ist die Geschichte vom Marienbild.“
Dazu noch ein kleines Detail aus dem Alltagsleben. Sohar: „Die Oma war Stefanie Leiner, bekannt als Leiner-Mutter. Sie ist mit dem alten schwarzen Waffenrad, immer mit Kopftuch, am Post-Bankerl gegenüber der Bäckerei Waitzl anzutreffen gewesen und hat immer gerne mit den jungen Menschen geredet.“ (Die Wegmarken-Fotos: Martin Krusche)
- Wegmarken (Ein kulturelles Zeichensystem)
- Dorf 4.0: Die Notizen-Übersicht