Atlantis: Dualistisches im Einen#
(Sphären im Wechselspiel)#
von Martin KruscheWas ich hier zu erkunden versuche, gibt mir nicht bloß Aufschluß über das Wesen einer autistischen Frau. Ich erkenne dabei auch eine ganze Reihe von Effekten und Fragestellungen, die meine Befassung mit Kunst betreffen.
Ich hab bereits jetzt genug valide Hinweise auf Zusammenhänge der beiden Genres, wo es um Wahrnehmung, innere Vorgänge und Äußerungen geht, auch um Zustandsveränderungen, die zu Wahrnehmungserfahrungen und zu Erkenntnissen führen. Ich bin selbst überrascht festzustellen, daß ich in einigen Aspekten der beiden Genres zur autistischen Frau sagen kann: „Da sind wir Kollege und Kollegin, wenn auch auf höchst unterschiedliche in der Welt zuhause.“
Wer sich da nun anmaßt, diese beiden Felder für Bereiche einer Pathologie zu halten, dem oder der wünsche ich ein Plauderstündchen mit uns beiden und wir schauen, was solcher „Sachverstand“ taugt.
Das Markante#
Ich habe an anderer Stelle schon notiert, daß es ein autistischer Mensch eventuell vollkommen hinreichend findet, mir etwas in Worten mitzuteilen, ohne diese Mitteilung mit der Mimik oder übrigen körperlichen Signalen zu bestätigen.Ein Beispiel: „Das hat mir sehr gut geschmeckt.“ Die Worte sagen mir, was gemeint ist. Mehr zu äußern ist nicht nötig. Richtig? Auf jeden Fall stichhaltig. Aber es kollidiert mit unseren Konventionen. Wer nun meint, autistische Menschen hätten kaum Emotionen, liegt völlig falsch. Da geschieht bloß emotional etwas völlig anderes, als es mir vertraut ist. Es gibt hier offenbar keine Instanz, die das über den Körper verläßlich nach außen mitteilt. Es gibt die Notwendigkeit nicht.
Dabei hat mir die Frau von Atlantis erzählt, daß sie nicht bloß über Spiegelneuronen, wie wir sie alle haben, die Emotionen anderer Menschen lesen kann. Sie kennt auch ein intensives „Body Mirroring“. Ich hab es so verstanden: Ihr ganzer Körper kann die Körpersprache anderer Menschen lesen und verstehen. Auf einem Level der Intensität, das ich nicht kenne.
Es ist mir keinesfalls schleierhaft. Wir alle lesen unsere Gegenüber auch physisch. Körpersprache ist nur eine der verfügbaren Kommunikationsebenen. Was wir nicht sehen und auch wenig bemerken, ist von radikaler Wirkmächtigkeit: Pheromone, die wir verströmen, die von einander wahrgenommen werden.
Daher darf ich annehmen, was das Sehen, Lesen und Verstehen in der Begegnung mit anderen Menschen angeht, ist die Frau aus Atlantis geradezu radikal ausgestattet, wenn ich das mit meinen Möglichkeiten vergleiche. Aber rätselhaft ist es nicht.
Ereignishorizonte#
Da wir in unseren Gesprächen auch die Quantenphysik gestreift haben, sind mir Arbeiten von Karl Popper und John C. Eccles eingefallen. Die waren vor einigen Jahrzehnten meine ersten Anlässe, mich für Quantenphysik zu interessieren. (Die beiden Kerle haben mich natürlich über weite Strecken gründlich überfordert.)In Eccles Schriften lautet eine Stelle: „Die herkömmliche Physiologie macht es möglich, synaptische Aktionen durch die Benutzung der bekannten Nervenbahnen weiterzuleiten, so daß der mentale Vorsatz einer Bewegung zu der gewünschten Bewegung führt.“ (Geist und Fleisch kooperieren.)
An anderer Stelle betonte Eccles: „In der klassischen Physik ist es nicht möglich, etwas zu schaffen, das essenziell mehr als die Summe seiner Teile ist. Aber ein Quantenzustandsereignis hat genau dies zur Folge: es erschafft einen neuen Zustand, indem es Aspekte eines früheren Zustandes erfaßt und zu einem neuen ontologischen Ganzen kombiniert.“
Das drückt recht deutlich aus, wie sehr ein Mensch auf Erden in seiner leiblichen Anwesenheit deshalb existiert, weil materielle und immaterielle Instanzen eng zusammenarbeiten. Ich hab in „Cogito“ (Als Descartes geirrt hat) schon angerissen, daß ich es für einen Irrglauben halte, wenn jemand Körper und Geist für separat mögliche und wirksame Seiten des Menschseins hält.
Eccles und Popper haben dem widersprochen. Wie wir im Universum von einem Ereignishorizont wissen, hinter den wir nicht blicken können, so ist es offenbar auch in uns selbst. Ein Bonmot besagt: „Damit wir kapieren können, wie das mit unserem Geist gemacht ist, müßte dieses Setting so schlicht sein, daß wir zu blöd wären, es zu verstehen.“
Buddhismus #
Ich finde dazu auch in anderen Kulturen anregende Überlegungen. Zum Beispiel im Buddhismus. Da orientiere ich mich gerne an Daisetz Teitaro Suzuki. Er äußerte sich klar zu diesen im Westen vorherrschenden Dualismus beim Unterscheiden einer Welt des Geistes und einer Welt der Sinne, also einer immateriellen und einer materiellen Welt. Suzuki hält die Annahme, diese beiden Welten würden nebeneinander existieren, für einen Irrtum.Zitat: „Für den Verstand ist die Trennung der beiden Welfen durchaus annehmbar; aber wenn die beiden getrennt bleiben und sich einander nicht gegenseitig durchdringen, oder sich miteinander verbinden, erweist sich dieser Dualismus als verhängnisvoll, weil er unvereinbar ist mit dem Leben, wie es von uns tatsächlich gelebt wird.“
In diesen Überlegungen sehe ich die Durchdringung der verschiedenen Sphären als den maßgeblichen Aspekt. Daraus schließe ich, daß ein Leben im Autismus-Spektrum (in Atlantis) eine andere, eventuell weit radikalere Art der Durchdringung bedeutet, als es in meiner Existenz der Fall ist.
Das erscheint mir allerding in Ansätzen vertraut, weil mein Leben in der Kunst sehr wesentlich davon handelt, daß sich allerhand Leistungsträger oder einschlägige Simulanten mir gegenüber gerne herablassend geben, wo sie annehmen, meine Balance zwischen materiellen und immateriellen Belangen sei etwas gestört. Sie wissen offenbar nichts von dieser Durchdringung.
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