Atlantis: Im Kontrast#
(Ein interkultureller Versuch)#
von Martin KruscheIm Nachdenken darüber, was für ein Frauenleben innerhalb unserer Kultur prägend sein mag, komme ich unausweichlich mit sehr markanten Nischen und Positionen in Berührung. Eine davon wird mich heuer noch viel ausführlicher beschäftigen.
Ich gehe dabei auch von einer Überlegung aus, die mir in den letzten Jahren zunehmend wichtig wurde. In menschlicher Gemeinschaft ist es oft viel leichter, zügig Klarheit zu finden, was uns trennt; gegenüber der Frage, was wir (noch) teilen.
Ich kenne vor allem zwei spezielle Formen, wie man jegliche Art der Gemeinschaft korrumpiert, beschädigt, letztlich zerstört. Verdeckte Intentionen und das Expandieren auf Kosten anderer Menschen. In dem Zusammenhang geht es mir um die Klärung, welche prinzipiell unterschiedlichen Bedingungen in unserer vorherrschenden Männerkultur für ein Frauenleben wirksam werden. Das hat in der Praxis zahllose Varianten, aber im Kern diesen Angelpunkt: es sind ungleiche Bedingungen.
In diesem Zusammenhang bin ich auf ein spezielles Feld gestoßen, dessen Zugehörige nicht gerade in geringer Zahl unter uns leben, worüber jedoch auffallend wenig bekannt ist: die Frau im Autismus-Spektrum. Es sind viele. Je mehr ich darüber erfahre, desto markanter erscheint mir diese Variation von Frauenleben, übrigens sehr aufschlußreich in der Frage danach, was die Conditio humana sei.
Menschen in diesem Spektrum sind erstens in einigen physiologischen Grundlagen gegenüber einer Mehrheit neurotypischer Menschen anders konstituiert (neurodivergent), was innerhalb unserer Gesellschaft höchst unterschiedliche, zuweilen drastische Konsequenzen hat. Eine autistische Frau lebt, so erfahre ich, innerhalb des Autismus-Spektrums, vielfach in anderen Rahmenbedingungen als neurodivergente Männer.
Was sich in all dem gesamt an Kontrasten auftut, hat dazu geführt, daß den Neurodivergenten von den Neurotypischen ein Behindertenstatus zuerkannt wird, was vor allem unterstreicht, daß sie etlichen Anforderungen, die wir gerne für selbstverständlich bewältigbar halten, nur schwer oder gar nicht nachkommen können. Das läßt nebenbei danach fragen, weshalb in unserer Gesellschaft generell eine nennenswerte Zunahme an überforderten Menschen festzustellen ist.
Mein Zugang zu Menschen im Autismus-Spektrum ist grundlegend anders. Für mich besteht kein Anlaß zu einer hierarchischen Position im Sinn von „normal/abweichend“. Ich sehe mich da in der Begegnung mit einer Ethnie, die mir in wesentlichen Aspekten recht fremd ist. Für einen achtsamen Umgang miteinander, bei dem nicht leichtfertig Konflikte ausgelöst werden, ist bloß das nötig, was ich auch für eine gedeihliche Begegnung mit anderen Ethnien brauche, die unseren Gepflogenheiten nicht angepaßt sind. Neugier und Respekt.
Mir ist natürlich bewußt, daß meine Konzentration auf die soziokulturelle Fragen davon begünstigt wird, daß neurodivergente Menschen nicht zu meinem Alltag gehören, der in solcher Divergenz bewältigt werden muß.
Ich habe begonnen, meine Kenntnisse über diese Dinge im Dialog mit einer Frau aus dem Autismus-Spektrum zu vertiefen. In der Folge haben wir eine Kunstfigur eingeführt, die wir nutzen, um zu veranschaulichen, was in der Begegnung mit dieser anderen Ethnie bemerkenswert ist: die Frau aus Atlantis.
Diese Metapher meint: Neurodivergente sind an ganz andere soziale Bedingungen angepaßt, nicht an unsere. Sie sind selbstverständlich von dieser Erde, aber nicht von diesem Kontinent. Ich kann ihre Welt nicht betreten. Aber es ist mühelos herauszufinden, was wir teilen.
- Episode 50: Atlantis (Ein Beitrag zum Weltfrauentag)
- Atlantis (Die Praxis des Kontrastes)