Popismus#
((Malewitsch, Warhol und Konsorten)#
von Martin KruscheAndy Warhol hat allerhand Aussagen dazu gemacht, was "Popism" sei und was eine "Pop-Haltung" ausmache. Dazu gehört die Feststellung "Pop kommt von außen". Es würde nur zählen, was auf der Leinwand zu sehen sei, daher bliebe es nachrangig, woher die Idee komme.
Ich finde daran sehr sympathisch, daß er die eigene schöpferische Kraft nicht mythisch überhöhte, sondern betonte, man könne und solle auch andere um Rat fragen, sie um Ideen bitten. Das mag man freilich als ein räuberisches Konzept deuten. Ich deute es lieber als ein Votum für kollektive Kunstpraxis.
Was mir in meinem Milieu immer wieder unterkommt, ist eine ganz blöde Vernarrtheit in das antiquierte Bild vom einsamen Genie, wobei völlig ausgeblendet wird, wie viel in einer Kultur an Vorleistungen anderer Menschen nötig ist, damit unsere individuelle Kunstpraxis gelingen kann. Für Warhol gehörten Pop und Showbiz stets zusammen. Er äußerte sich eher abschätzig über Deutungseliten, die nach seiner Auffassung zum Beispiel völlig ignorierten, was es bewirkte, daß die Kinder jährlich Millionen an Rock & Roll-Singles kaufen würden.
Ich habe als Kind noch zu hören bekommen, was "Schmutz und Schund" sei. Die eher fadenscheinige Unterscheidung zwischen "E" und "U" war Standard. Pure Ideologie! Heute werden es viele nicht mehr wissen, "E und U" stand für "Ernst" und "Unterhaltung". Andy Warhol erklärte, "Pop-Amerika" sei "Amerika durch und durch". Er markiere die "E und U-Geschichte" als hinfällig. In seinen Worten stand auf den Türschildern jener Felder "offizielle, gewichtige und 'sinnvolle' Gesellschaft" sowie "frivole Pop-Gesellschaft".
Der Rückblick zeigt deutlich, wie zielstrebig Warhol unterwegs war, um seine Arbeit und sich selbst beim "Establishment" ankommen zu lassen. Die Pop Art wird unter anderem als Gegenbewegung zur gegenstandslosen Malerei gedeutet. Wenn Andy Warhol eine Suppendose aus dem Regal nahm, signierte und damit zum Kunstwerk umdeutete, konnte ein Werk wohl kaum noch gegenständlicher werden.
Daß er dieses Motiv dann, da er ein erstklassiger Grafiker war, auch medial vielfältig umsetzen konnte, darf ich hoffentlich als bekannt voraussetzen. Ich mag das Motiv übrigens so sehr, daß Dosen von Campbell's Tomatensuppe zu meinem Hausrat gehören. (Siehe das Foto oben.)
Apropos Gegenbewegung zur gegenstandslosen Malerei! Betrachtet man die vier Motive, welche ich als repräsentativ herausgestellt habe, steht das Schwarze Quadrat an erster, eine Suppendose an vierter Stelle. Der "Strömer" von Jaray entstammt nicht dem Kunstfeld, sondern der Befassung mit Aerodynamik. Der Buckyball an dritter Stelle ist ein Referenz an Richard Buckminster Fuller.
Ich betone das, weil Warhol in seinen Notizen über Popismus Buckminster Fuller an kurioser Stelle erwähnte. Er hatte bei der Expo 1967 („Der Mensch und seine Welt“) in Montreal im Amerika-Pavillon am Ufer des St. Lawrence River sechs seiner Selbstportraits ausgestellt.
Warhol: "Der amerikanische Pavillon bestand aus Buckminster Fullers großer geodätischer Kuppel, deren Aluminiumblenden die Sonnenstrahlen auffingen, einer Apollo-Raumkapsel und einer freischwebenden, langen Rolltreppe."
Warhol notierte an anderer Stelle: "Aber ein Großteil der Ausstellung widmete sich der Pop-Kultur: ... Pop-Amerika war Amerika durch und durch."
Mir geht es hier nicht um die Stichhaltigkeit dieser Aussagen, sondern um die Reichweite dieser Pose, von der ich bewegt bin. Darum genau von da aus (Gegenbewegung zur gegenstandslosen Malerei) noch einmal ein Blick zurück zu einer hohen Position der Abstraktion. Malewitsch hat ja über das schwarze Quadrat auf weißem Grund zu einem weißen Quadrat auf weißem Grund geführt.
Das ist dann die "Suprematist Composition White on White" von 1918, Öl auf Leinwand, heute im Museum of Modern Art in New York. Wer sich hinreißen läßt, das für ein "Nichtbild" zu halten, sollte sich vielleicht ein wenig mit unserer europäischen Malerei aus dem Mittelalter befassen oder mit Ikonen. Ich denke gerade an die Farbe Gold als "Nichtfarbe" und als Manifestation der Energie Gottes; so wurde sie nämlich verstanden und eingesetzt. Maximale Abstraktion. Platzhalter für die Transzendenz, die man schließlich nicht zeigen kann.
Gold steht also für das Unsichtbare. Die anderen Farben stehen für das Sichtbare. Bei Ikonen steht das Gold für den Blick Gottes, der uns Betrachtende ansieht. Das bedeutet, wir blicken nicht bloß auf die Ikone, über die Ikone blickt auch etwas auf uns.
Das Gold als Malgrund meint ferner, die Ikone werde auf Licht gemalt. Was für eine beeindruckende Attitüde des Malers! Was für eine elegante Lösung, mit künstlerischen Mitteln zu bearbeiten, was außerhalb der eigenen Existenz und sogar jenseits der Welt liegen mag.
Dieser kleine Exkurs sollte nützlich sein, wenn einen das weiße Quadrat von Malewitsch irritiert oder die Suppendose von Warhol, und falls man sich hinreißen läßt, Pop Art rundheraus für banal zu halten. Ist sie nicht!
Erstmals 2024 publiziert auf van.at
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