Episode XXI: Spannung#
(Ein endloser Strom)#
Von Martin Krusche#
Na klar! Der Strom kommt aus der Steckdose. Und zwar Wechselstrom. Den brauchen wir jedoch bloß für einen Teil unserer elektrischen und elektronischen Gerätschaften. Hinter der Steckdose ist ein enormer Aufwand nötig, damit bei uns die Lichter nicht ausgehen. Das drückt sich aber auch vor der Steckdose in einer großen Vielfalt von Apparaten aus, die uns das Leben versüßen.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts macht der Komfort, den uns Elektrizität beschert, Quantensprünge. Die Elektrifizierung New Yorks (1881 bis 1886) gilt als historische Markierung. Bald darauf hat der oststeirische Müllersohn Franz Pichler erstens diese Ideen aufgenommen und sich zweitens an der TU Graz Fachwissen geholt, um derlei technische Neuerungen im Bezirk Weiz einzuführen, zu etablieren.
Gleisdorfs Reaktion darauf folgte schon 1905 mit der Gründung der Feistritzwerke. Machen wir in der Geschichtsbetrachtung das Zeitfenster kurz etwas weiter auf. Wenigstens zurück bis zum außergewöhnlichen Mechanismus von Antikythera. Also rund zweitausend Jahre. So kann man sich besser vorstellen, welches atemberaubende Tempo die Entwicklung der Elektrotechnik entfaltet hat. Praktisch jede Innovation ließ recht auf sich warten. Kaum je sind Neuerungen so schnell und so Schlag auf Schlag dahergekommen.
Heute gehört so vieles an Gebrauchsgegenständen zu unseren Haushalten und Arbeitsplätzen, dessen Technik sehr jung ist. So jung, daß wir es teilweise gar nicht nicht verstehen. (War eigentlich das Programmieren von Videorekordern gesamtgesellschaftlich schon bewältigt, bevor die DVD dieses Medium weggeschoben hat? Heute aber wird vor allem gestreamt und DVD verstauben.) All das hängt auch damit zusammen, daß wir vielen aktuellen Apparaten und Werkzeugen nicht mehr sofort ansehen können, wozu sie gut sind, was sie tun.
Der Ventilator#
Ich nenne ihn meinen Traktor. Mit dem antiquierten Design könnte man bei Steampunk-Parties reüssieren. Seine Kennzeichnung AC besagt, er werde mit Alternating current betrieben, also mit Wechselstrom. Das ist bei Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik keineswegs selbstverständlich. (Viele brauchen Gleichstrom, den wir ja aus der Steckdose nicht bekommen.)Der Weg von der dritten in die vierte industriellen Revolution bescherte uns einen Boom der abstrakten Maschinen. Darum hab ich nun ein markantes Beispiel für eine konkrete Maschine ins Fenster gestellt. Das bedeutet, die Bauweise bildet bis ins Detail ihre Funktionen ab. Die Maschine zeigt, was sie tut.
Der Elektromotor läßt sich leicht identifizieren. Der Propeller gibt keine Rätsel auf. Er ist von einem schützenden Korb ummantelt, welcher nicht nur der Luftschraube nützt, sondern auch meine Finger. An der Rückseite erkennt man einen Mechanismus, mit dem die Motor-Propeller-Einheit in Schwenkbewegungen versetzt werden kann. Darunter eine Stellschraube, über die das Ensemble bei Bedarf zu kippen ist. Der schwere Standfuß birgt den leicht identifizierbaren Stufenschalter. Alles in allem eine sehr konkrete Maschine, die man mit einfachen Grundkenntnissen leicht entschlüsseln kann.
Von der Mechanik zur Elektronik#
Ich habe zwei Fotoapparate dazugestellt, die jeweils eine eigene Ära repräsentieren. Die Kodak Instamatic ist eigentlich eine Neudeutung der legendären Kodak Brownie. Ein von George Eastman geprägter Werbeslogan lautete damals: „You Press the Button, We Do the Rest". Das bezog sich auf eine ganz simpel zu bedienende Kamera mit einem spartanischen Minimum an mechanischer Ausstattung. (Die Kodak Brownie Kameras gab es ab 1900.)Das System Instamatic wurde ab 1963 angeboten. Meine Kodak Instamatic 233 X ist ähnlich minimalistisch konstruiert wie die Brownie. Sie trägt das X im Namen, weil sie geeignet ist, Blitzwürfel mechanisch zu zünden. Das heißt: ohne Blitzgerät oder Batterie. (Dazu kam der Magicube oder auch X-Blitzwürfel, ein Wegwerfprodukt.) Man kann diese Kamera also noch ohne jede Elektrizität verwenden.
Unterwegs in die Gegenwart verschob sich bei vielen unserer Gebrauchsgegenstände das Schwergewicht von der Mechanik in Richtung Elektronik und schließlich immer mehr zur Digitaltechnologie hin.
Die hier gezeigte Kompaktkamera aus der Cyber-shot-Familie von Sony ist immer noch auf dem Markt erhältlich, aber schon etwas betagt. Ohne Strom geht da gar nichts. Dafür kann man heute Chips verwenden, die im Vergleich zu früheren Jahrzehnten eine einschüchternde Menge an Fotos aufnehmen; genauer: Fotodateien. Die sind ohne Elektrizität und Peripherie natürlich nicht auslesbar. Aber die Dunkelkammern meiner Kindertage, also vor über einem halben Jahrhundert, waren auch elektrifiziert. Vergrößerungsapparat, rote Lampen, elektrische Trockenpresse für die Fotos...
Wenn ich heute Papierabzüge brauche, gehe ich mit einem Datenstick in ein lokales Fotogeschäft. Dort kann ich an einem Automaten Formate auf Hochglanzpapier bis zu 20 x 30 ausdrucken, Bei größeren Formaten - bis hin zu meterlangen Bannern – schicke ich die Bilddateien via Web an den nächsten Printshop und hol danach die Drucke ab.
Nun sind mir allerhand der neuen Gerätschaften vertraut, weil mich das interessiert. Aber man kann seinen Alltag gut bewältigen, wenn man in der Sicht der Dinge noch ganz einer Welt der konkreten Maschinen angehört und die Welt der abstrakten Maschinen vorerst eher ignoriert.
Die Natur Mensch#
Ich arbeite gemeinsam mit Künstlerin Monika Lafer am Projekt „Die Natur Mensch. Eine Annäherung.“, wo solche Zusammenhänge erörtert werden. Dazu läuft von Dezember 2022 bis Februar 2023 eine Ausstellung von Lafers diesbezüglichen Bildern im Verwaltungsgebäude der Feistritzwerke. Diese Ausstellung ist mit einer Serie von Textminiaturen unterlegt, die ins Internet führen, wo wir den Themen vertiefend nachgehen.- Zeit.Raum: Slot II
- Fotos: Martin Krusche
- Die Natur Mensch. Eine Annäherung. (Journal und Diskursraum)