Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Bild 'flocke031'

Flocke: Alter Mann III#

(Die Asymmetrie der Bilder)#

von Martin Krusche

Ich bin in meinem 70. Lebensjahr angekommen. In dieser Position muß ich die schlampige wie geistlose Zuschreibung „Senior“ ablehnen. Das ist speziell in der Wechselwirkung mit dem geradezu doofen Bestreben, aus dem Wort „junggeblieben“ ein Qualitätsmerkmal zu machen, einigermaßen provokant.

Ich halte für möglich, daß da Werbebranche und Politik zusammengespielt haben, um einerseits eine einkommensstarke Peergroup zu bewirtschaften, andererseits die Bürde des großen Anteils alternder Menschen mit ihren spezifischen Problemen zu mindern, zu bemänteln.

Ich glaube ja gerne, daß Menschen es vorziehen würden, körperlich „jung zu bleiben“. Daran verdient sich eine große Branche krumm. Aber selbst wenn ich mein Leben lang in Maßen Sport betrieben hätte und heute in möglicher Topform wäre, könnte ich mich physisch mit einem 20- oder 30-jährigen Mann selbstverständlich nicht messen. (Vermutlich auch nicht mit einem 50-Jährigen.)

Ich ringe mindestens seit einem Jahrzehnt damit, daß meine physische und intellektuelle Kraft merklich nachläßt, daß meine Regeneration mehr Zeit in Anspruch nimmt als zuvor, egal, ob im Denken oder wenn eine Wunde verheilen soll. Allerdings darf ich betonen: Es ist genug davon da. Sehr viel mehr, als Siebzigjährige zur Zeit meiner Großeltern verfügbar hatten.

Damit wäre also vorzüglich zu arbeiten, um eine Kultur des Altseins aufzubauen, in der das Schmerzliche Platz hat und das Wunderbare vorherrschen darf. Das eigentlich Ärgerliche an diesem Thema ist ja jenes soziokulturelle Defizit, welches wir als Gesellschaft pflegen, in dem so viele Aspekte des Altwerdens zur „Privatsache“ umgekupfert und eigentlich tabuisiert werden, um dagegen dieses dumpfe „Junggebliebene“ auszuspielen.

Dabei bin ich in einer äußerst bevorzugten Lage. Wie schon in der vorigen Glosse notiert, sind (laut Impact Hub Vienna des World Data Laboratory) 93% der Weltbevölkerung und 84% der Bevölkerung Österreichs jünger als ich. Ich darf also Vorzüge eines hohen Alters genießen, die in meiner gesundheitlichen Verfassung das Glück einer Minorität sind. (Aber ja! Gemessen an den demografischen Daten unserer Geschichte ist 70 ein hohes Alter; auch wenn viele das lieber ab 80 rechnen.)

In meinem Fall liegt die betonte Annehmlichkeit zum Teil an einer fröhlichen Laune der Natur, aber sehr wesentlich am hohen Lebensstandard, der in diesem Winkel des Erdballs gegeben ist. Sicherheit, Ernährung, Hygiene und medizinische Leistungen haben ein Niveau, von dem andere nicht einmal träumen dürfen.

Wie kam ich da hin? Sehe ich meine Chroniken durch, fällt mir auf, daß ich als Jüngling und Mann geradezu schulbuchmäßig durchlaufen hab, was männliche Stereotypen in unserer Kultur sind. Zumindest auf physischer Ebene und in meiner körperlichen Erscheinung.

Inhaltlich konnte ich das aufbrechen. Und nun? Da herrscht eine Asymmetrie der Bilder. Es fehlt mir an freundlichen Rollenbildern alter Männer, die mir im Alltag ein anerkennendes Kopfnicken auslösen würden. Es gibt sie durchaus, aber ich sehe sie vorerst noch als Mangelware. Da bleibt viel zu tun. (Fortsetzung)