Lyrischer Wettstreit#
Kleine Anregungen #4#
von Martin KruscheAls ich in den 1980er Jahren für einen Dokumentarspielfilm über steirisches Eisen recherchiert hab, kam ich auf diesen markanten Brunnen in Bruck an der Mur. Daran ein Memento, welches - so heißt es - im 17. Jahrhundert des Brucker Steinmetzes Hanns Prasser gedachte. Auf den Mann ist folgender Text gemünzt ist:
Trinck Lieber Wein Als Wasser
Trunck Ich das Wasser So Gern als Wein
So Kundt Ich Ein Reicherer Prasser Sein.
Darin finde ich vieles, was ich von einem Gedicht erwarte. Es erzählt eine Geschichte. Es hat Rhythmus, welcher in diesem Fall durch Endreime vertieft wird. Es entfaltet sich in einem Crescendo, also anschwellend. Es hat Witz, was auf einen geistreichen Autor schließen läßt. Es hat Tiefe, weil man vermuten darf, das Bild von Wein statt Wasser kann auch auf die biblische Szene der Hochzeit zu Kana umgelegt werden: „Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rand.“ (Joh 2,7)
Damit möchte ich unterstreichen, daß es sich stets lohnt, den flüchtigen Blick zu überwinden und einen zweiten Blick zu riskieren. Was steckt in einem Text? Manchmal freilich auch nichts, weshalb die prunkvolle Hülle hohl klingt, wenn man sie abklopft. Aber dazu ein anderes Mal.
Goscherte Poeten#
Zum Ort Trauttmansdorff gehört ein sehr feines, kleines Freilichtmuseum. Dort findet man einige Beispiele von Versen, die einst von interessanten Toten aufs Grab gesteckt wurden. Das reicht von humorvollen Sachverhaltsdarstellungen bis zu deftigen Spottversen. Ein originelles Beispiel mit dem leichten Makel, daß am Ende der Rhythmus etwas holpert:Sepp Birnstingl
liegt hier in aller Ruh
erdrückt von seiner wilden Kuh.
Er lobte Gott in allen Stunden,
das Kreuz steht nun oben
er liegt unten.
Geschmiedete Grabkreuze im Alpenraum sind Medien einer fulminante Lyrikanthologie. Im folgenden Beispiel liegt rhythmisch ein eleganter Bogen:
Hier liegt Martin Krug,
der Kinder, Weib und Orgel schlug
Eine ähnlich vollendeten Schwung hat eine Kolportage aus meinen Kindertagen, deren Authentizität ich nicht beschwören kann. Aber wer genug einschlägige Grabkreuze gelesen hat, hält das gerne für belegbar. In einem Gipfelbuch soll gestanden haben:
Rumpeldipumpel
Weg war der Kumpel
Zum Tod nun das Leben. Forscherin Gerlinde Haid hat folgendes Beispiel für eine sehr knappe Erzählform gebracht, das Gstanzl:
S´Dirndl hat gfischt beim Bach,
hat a schlechts Köder dran,
beisst kaner an.
Sie fügte an: „Das hat nicht direkt mit dem Fischen zu tun.“ (Einmal dürfen Sie raten, was gemeint war.) Es hieß übrigens seinerzeit allgemein: „Koane Tanzl ohne Gstanzl!“ In der alten agrarischen Welt waren viele Lebens- und Arbeitsbereiche in kleinen Liedern besungen, oft auch durch Spottlieder kommentiert. Hier ein Beispiel aus England, ein Ausschnitt aus „Ein alter Mann freit' um mich“. Das Lied wurde von Martin Auer, einem versierten Lyriker, übersetzt:
Als wir zur Kirche gehn,
kann er fast nimmer stehn.
Als wir zu Bett mussten,
konnt' er nur husten.
Als er dann endlich schlief,
ich leis aus der Kammer lief,
bis ich einen Jungen und Hübschen fand.
Das stammt aus der Sammlung „A Buttn voll Kinder, an rotzigen Mann“, zusammengetragen von Christina Zurbrügg und Martin Auer. Diese Textsammlung voller lesenswerter Beispiele finden Sie auch im Internet: (Link)
Poesie von allen Seiten#
Damit möchte ich verdeutlichen, daß unsere Leute eine lange währende Tradition im lyrischen Begleiten ihres Lebens haben. Die Poesie war nicht nur in der höfischen Kultur zu Hause, sondern eben auch beim Volk, bei den subalternen Schichten.Da hat man, wie Sie sehen können, nicht herumgeschwafelt oder Plüsch ausgebreitet, sondern viel Klartext geliefert. Einen der Gründe dafür versteht man leicht. Wer geistreich reimt und treffsicher spottet, demonstriert, daß er Grips hat.
Ein anderer Grund lag sicher im hohen Unterhaltungswert. In Zeiten vor dem Auftauchen der Massenmedien waren die Menschen selbst stark gefordert, etwas zur Unterhaltung ihrer Gemeinschaft beizutragen. (Genau! Mehr Partizipation als Konsumation!)
Aber auch das Festliche, selbst das Erhabene, wünschen wir Menschen gelegentlich in gereimter Form auszudrücken. Wer alt genug ist, hat noch erlebt, daß man Müttern zum Muttertag oder allen anderen Arten von Jubilaren eine artige Aufwartung machen mußte, wozu der Vortrag eines Gedichtes gehörte. Von der Uroma bis zum Staatspräsidenten erhielten Menschen solche Zuwendungen.
Während ich diesen Text verfaßt hab, schickte das Gleisdorfer Büro für Kultur und Marketing via Facebook einen Ostergruß hinaus. Sie werden es erraten: mit Reimen. Was man dagegen ohne weiteres unterlassen könnte, wäre die fünfhunderttausendste Grußbotschaft plus Foto zum Geburtstag einer geliebten Person, die dann lautet:
Das hättest Du wohl nicht gedacht,
daß Du heute aus der Zeitung lachst!
Es ist schlecht gereimt. Da können Sie ihrer Mutter zum Geburtstag auch einen Staubsauger schenken. Nicht sehr originell! Seien Sie also kühn! Bringen Sie uns mit frechen Reimen zum Lachen. Dichten Sie, was das Zeug hält, falls Sie was zu sagen haben!
Post Scritptum#
In dieser Anregung und den frechen Reimen aus der Kultur des Volkes liegen auch Querverbindungen zum Thema Klein- und Flurdenkmäler. Das ist ein komplexes Zeichensystem, das zwar hauptsächlich auf visueller Ebene wirkt, aber gelegentlich auch Reime birgt. Siehe dazu unser Projekt „Wegmarken“!- Vorlauf
- Fortsetzung
- Von gelingenden Dialogen: Schreiben Sie! (Übersicht der Tips)