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Gedenken: Der Krieg, der Vater, die Dinge#

(Jahrtausende der Propaganda)#

von Martin Krusche

Die Auffassung, daß Krieg eine Art von Naturgewalt sei und deshalb unausrottbar, lebt und wirkt bis heute. Ich halte diese Behauptung für völligen Mumpitz. Es liegt gewiß in der Natur des Menschen, auf Krisen individuell mit Gewalttätigkeit zu reagieren, um sich eine persönliche Spannungsabfuhr zu ermöglichen.

Es gibt bestimmt von Natur aus einzelne Menschen, die pathologisch sind, weil der Evolution manchmal in der Reproduktion Kopierfehler unterlaufen. Was immer wir uns sonst noch an Gewaltpotential einzelner Individuen ausmalen können, spätestens jenseits eines Rudels ist es kulturell erzeugt, von Menschen gemacht, durch Propaganda und Organisation herbeigeführt. Das belegen propagandistische Texte, seit wir auswertbare Quellen haben.

Ein Beispiel#

Heraklit von Ephesos soll etwa 520 bis 460 vor Christus gelebt haben. Er durfte sich also eines untypisch hohen Alters erfreuen. Der Vorsokratiker gedieh als Teil einer bevorzugten hellenistischen Schicht, deren Wohlergehen auf Sklavenarbeit gebaut war. Dieser endlose Strom an versklavten Menschen, von denen speziell alle „niedere Arbeit“ verrichtet wurde, war ein Produkt permanenter kriegerischer Akte.

Als begünstigte Existenz solcher Verhältnisse hinterließ uns Heraklit philosophisches Gedankengut in ausgesprochen poetischer Manier. So finden wir im Werk „Über die Natur“ nicht bloß launige Gedanken wie diesen: „Die Zeit ist ein Knabe, der spielt, hin und her die Brettsteine setzt: Knabenregiment!“

Das hat aus heutiger Sich die Qualität eines Kalenderblattes in einer Sammlung erbaulicher Sprüche. Da war Augustinus in seinen „Confessiones“ viel präziser.

Heraklit, wie ihn Franz Xaver Messerschmidt gesehen hat.
Heraklit, wie ihn Franz Xaver Messerschmidt gesehen hat.

Cornelius Petrus Mayer OSA übersetzt ein besonderes Geständnis in seinem Essay „Tempus vestigium aeternitatis“ so: „Wenn niemand mich danach fragt, so weiß ich es; sobald ich es jedoch einem Fragenden explizieren will, weiß ich es nicht“. (Quelle)

Wo also Heraklit geschwafelt hat, befragt sich Augustinus rückhaltlos selbst und markiert einen seriösen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen. Das als meine Einleitung, um eine Notiz von Heraklit zu zitieren, die sogar mein Vater noch hergesagt hat. Und daß sie der alte Grieche in seinem Werk „Über die Natur“ vermerkt hat, legt die Tendenz offen, die Annahme, daß Krieg quasi naturgegeben sei. (Ist er aber nicht!)

Realitäts-Check#

Der erste Satz dieses Zitates ist bis heute als stehende Redensart in Umlauf. Das ganze Zitat drückt aus, daß Heraklit es vorteilhaft fand, die Arbeitsleistung von Sklaven konsumieren zu dürfen: „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien.“

Das finden Sie sinngemäß später in der ständischen Gesellschaft und bei unseren Monarchen wieder, die ihre Raubrechte mit „Gottesgnadentum“ zu legitimieren versuchten. Wie aufschlußreich, daß diese Anmaßung im ersten umfassend mechanisierten Krieg der Menschheitsgeschichte (1914-1918) samt den inkompetenten Habsburger von der politischen Bühne Europas gefegt wurde. (Dazu hatte 1848 bei uns noch nicht gereicht.)

Natürlich ist der Krieg kein Vater, sondern dessen Gegenteil. Er ist ein Mörder, ein Vernichter. Das soll mit solchen „Weisheiten“ bemäntelt, beschönigt werden. Heraklit illustriert für unsere Debatte, wie wir wenigstens seit rund zweieinhalb Jahrtausenden Propaganda nachweisen können, zu der ein gebildeter Mensch beiträgt, wenn er Nutznießer solcher Anmaßung ist. Ein Denker als Profiteur von Kriegshandlungen und Versklavung anderer. Seine dreiste Behauptung hält freilich keiner Überprüfung stand.