Notiz 063: Zur Autonomie im Kulturbetrieb I#
(Zusammenfassung mehrerer Glossen der Origami Ninja Association)#
von Martin KruscheDas 2020er Jahr mit den Einschränkungen durch die Pandemie, dem Lockdown und dem Verreiben weiter Teile des Kulturbetriebs hat alte Stereotypen wiederbelebt, quasi aus der Gruft gezerrt. Zu den populärsten „Untoten“ des Kulturbetriebs gehören zwei Begriffe ganz speziell: „Die Szene“ und „Solidarität“. Ich verstehe das Bedürfnis, die eigene Existenz zu Romantisieren, wo Härten auftauchen. Eine ganz andere Sache sind dabei Funktionstragende, die so ein Phantasma hochhalten, um es bewirtschaften können. Was das meint?
Politik und Verwaltung zeigen ein Faible für „klare Verhältnisse“ und gehen bei der Budgetvergabe gerne Richtung Sicherheit. Das steht vielfach im völligen Widerspruch zu fundamentalen Anforderungen einer Künstlerexistenz.
Eigentlich sollten Politik und Verwaltung uns primäre Kräfte begleiten und verstärken, statt uns ihre Grundsätze aufzudrängen. Ein Stück Sicherheit im Unsicheren. Aber eine Verwaltungskraft wird eventuell ihre eigene Anstellung stabilisieren wollen und Projekte bevorzugen, die keine Risken bergen, um so ihre Reputation und/oder ihre Anstellung nicht zu gefährden.
In diesem Bestreben um Sicherheit haben sich wenigstens während der letzten 20 Jahre auch viele Kunstschaffende solchen Modi angeschlossen, ihre eigene Existenz stabilisiert und so das Gedeihen unseres Metiers untergraben. (Ausdruck des Reüssierens einer neuen Bourgeoisie.)
Verstehen Sie den Zusammenhang? Statt uns primäre Kräfte auf unseren Wegen in der Unsicherheit zu unterstützen, werden wir Richtung Verwaltungslogik, Verwertungslogik und stabile Zusammenhänge gedrängt. Das spottet zwar der Zukunftsfähigkeit von Kunstpraxis, aber es sorgt für Ruhe im Laden.
Genau das sind übrigens Zusammenhänge, an denen manche künstlerische Kräfte verzweifeln, sich dann etwa zu Tode saufen oder auf andere Art ihre Substanz verbrennen. Die Steiermark hat dafür etliche Beispiele, von denen ich hier einige noch nennen werde.
Ich habe neuerdings einige Einwände gegen meine diesbezüglichen Ansichten gehört. Allerdings wird man nicht entkräften können, was ich seit 1977 erlebt hab. Das ist das Jahr, in dem ich meine fixe Anstellung als Buchhändler hinwarf, um mit großer Geste das Metier zu wechseln.
Ich darf Ihnen versichern, seit meine ersten Glossen zum Thema auf der Facebook-Leiste der Origami Ninja Association erschienen, haben mir etliche Leute aus der Kunstpraxis Off Records bestätigt, was ich bezüglich Szene und Solidarität zu sagen hab.
Ich verstehe, daß sich viele mit ihrer einschlägigen Kenntnis nicht exponieren möchte, denn das muß auch klar sein: wer Funktionstragende aus Politik und Verwaltung brüskiert, erlebt Konsequenzen, erfährt Nachteile. (Ich werde das noch genauer ausführen.) Aber nun zur weiteren Zusammenfassung meiner Facebook-Glossen…
autonomie I#
nomos ist das altgriechische wort für gesetz, aber auch für vereinbarung, für brauch. sich selbst die regeln geben. man wird kaum teenies finden, die davon nicht träumen. ich war noch keine 18, als ich das elternhaus verließ. da ist das ein wichtigs thema gewesen: autonomie.
ich hab in vorangegangenen glossen skizziert, wie ich während der zweiten hälfte der 1970er jahre aufbrach, um in der kunst zu leben. damals sah ich formationen wie das „forum stadtpark“ als establishment mit unklaren zugangsregeln. andere formationen, etwa „odysseus in domino“, waren mit künstlern wie max milo oder herwig kreutzbruck etwas düster besetzt. die sind mir, trotz meiner jugendliche trinkfreude, viel zu hart drauf gewesen.
außerdem war ein besoffener wolfi bauer allemal weit lustiger als diese hardcore-bohemiens. zu der zeit hatte selbst willi hengstler den ruf auf knien herumzurutschen. helmut eisendle, gunter falk, heftige burschen… es war verwirrend.
ich denke, der ernstl binder hieß damals noch everest und peter köck, zwischen trompetenspiel und „overdreamfolie“ schwankend, erklärte mir, er sei ein „ontologischer trinker“, daran könne nichts geändert werden.
ich meine, der blues war wie ein scharnier für uns alle, eine art verbindendes element, ausreichend elastisch. mir schien klar: ich bin auf mich gestellt. aber so verstand ich damals ja auch das, was „underground“ bedeuten mochte, was autonomie sei.
selbstverständlich wollte ich nach selbstgewählten regeln leben. das hat geklappt. (um den preis eines sehr bescheidenen lebensstandards.) damit war ich dann auf der richtigen spur, um zu klären, was AUTONOMIE in der praxis eines künstlerlebens bedeutet.
dieses erkunden war unter anderem möglich, weil man zum wohnen sehr billige löcher finden konnte. etliche jahre hauste ich auch an plätzen, die zum abbruch bestimmt waren. ich hatte dafür bloß die betriebskosten zu bestreiten und bot durch meine anwesenheit eine hauch von aufsicht für die heruntergekommenen immobilien.
ich hatte in den späten 1970ern und frühen 1980ern keinerlei vorstellung, was KULTURPOLITIK bedeuten könnte. wie erwähnt: ich nahm an, daß ich auf mich gestellt sei und mit anderen leuten in der kunst am lauf der dinge schrauben kann.
meine anregungen in sachen unabhängigkeit und eigenständiger kunstpraxis bezog ich damals aus deutschland. literatur betreffend: das „ulcus molle info“ hab ich an anderer stelle schon erwähnt. die „mainzer minipressen messe“ hatte es mir angetan.
mir schien völlig klar, daß leute wie ich ein milieu konstituieren konnten, das mir wenigstens so viel einkommen möglich machte, um nicht zu verhungern. ich ging davon aus, es gäbe genug publikum, dem so eine künstlerexistentz gefallen könnte und die werke aus solchen lebensformen zusagen würden.
das war für mich in den 1980ern prägend. und daß etwa „züri brännt“, nahm ich als bestätigung meines weges, auch wenn dort eine andere, jüngere subkultur hochkochte…
- das thema „züri brännt“ ist vielleicht nicht mehr allgemein geläufig; siehe: wikiped
autonomie II#
sich selbst die regeln geben. das mußte uns in den 1970ern nicht erst gepredigt werden. darum ringen vermutlich die meisten menschen, wenn sie auf ihren 20. geburtstag zugehen, richtung eigenständigkeit drängen und sich danach umsehen, wie der absprung aus dem elternhaus klappen könnte.
im konventionellen beruf wie im dasein als freelancer habe ich das gleiche verlangen in erinnerung; für beide bereiche: selbstbestimmung. daß mir niemand sagt, was ich tun soll. daß niemand mein tun runtermacht.
als junger buchhändler mußte ich das mit älteren angestellten verhandeln. als junger künstler lief das über die notwenigkeit von deals, um mein brot zu verdienen. dabei war mit extrem unterschiedlichen leuten zu reden, um ergebnisse zu erzielen. (für freelancers weniger überschaubar und vorhersehbar wie für leute innerhalb einer firmenhierarchie.)
die freiheit der kunst hielten wir für selbstverständlich. derlei konnte niemand in frage stellen. daß wir jene demonstrativ verachteten, die darin kompromißbereit waren, um budgets zu holen, beruhte mehr auf hörensagen, weniger auf realen begegnungen und erfahrungen.
freilich war uns das bezüglich musik und bildender kunst geläufig. die „kommerzpartie“ mit ihren tanz- und und hochzeitsmusiken erschienen uns als etwas verachtenswertes. das malen lieblicher kalenderblätter und gefälliger kitschbilder hielten wir für ein übel. aber ich kann mich nicht erinnern, daß wir mit leuten aus solchen genres näher zu tun gehabt hätten. ihre existenz warf für uns keine nennenswerten probleme auf.
stolz und eigensinn. sentiment und ressentiment. das alles konnte nach laune gedeihen, solange ich nicht am verhungern war. in den 1980er jahren gerieten selbst sehr störrische leute nicht in die gefahr, aus materiellen gründen unterzugehen. (außer man verdarb es sich mit allen, die ein budget zu vergeben hatten.)
allerdings waren einige unter uns nicht mit ausreichender belastbarkeit ausgestattet, um dieses freelancer-leben im steirischen kulturbetrieb lange genug auszuhalten. der seelische hunger konnte einen durchaus umbringen.
manche verzweifelten am oder mindestens im regelbetrieb. peter köck stürzte 1989 betrunken in einen donaukanal und ertrank, nachdem er davor schon eine weile trocken gewesen war. werner schwab verließ uns 1994 mit einer schweren alkoholvergiftung. franz innerhofer brachte sich 2002 um, nachdem er unter anderem massive alkoholprobleme gehabt hatte.
das ringen um ein hohes maß an selbstbestimmung konnte also zu einer massiven bürde werden. unter erheblichen gesundheitlichen blastungen waren manche nicht mehr gut gerüstet, sich in sachen brotverdienst, sichtbarkeit und auftritte/publikationen ausreichend zu behaupten. (ich kann mich übrigens nicht erinnern, daß der untergang einzelner davor oder danach irgendwelche solidaritäts-akte ausgelöst hätte.)
zugleich ist diese tendenz zur grenzüberschreitung aber auch bestandteil unseres selbstverständnisses gewesen und wurde so zum aspekt unserer selbstinszenierung. grenzgängerei als prinzip. ausloten, wie weit man gehen kann. ich war zwar immer trinkfreudig, aber meine bevorzugte droge blieb adrenalin.
den kick holte ich mir mit motorrädern. das ist halbwegs gut gegangen, auch wenn ich dadurch heute nicht mehr ganz im originalzustand bin und kein mensch weiß, wieviel knochenbrüche ich im leib hab.
ich vermute, das alles bedeutet: in autonomie über grenzen zu gehen hat eben seine gefahrenmomente für leib und leben. aber was zählt, sind die erfahrungen. es ist eine quest.
autonomie III#
das wort „frei“ verlangt die klärung: frei wovon? wem gegenüber frei? das wort „autonom“ besagt: sich selbst die regeln geben. wer das nicht einsam auf einer insel oder im wald tut, wird die eigene vorstellung von selbstbestimmung mit seiner umgebung verhandeln müssen.
sie kennen das doch, oder? dieses ringen um selbstbestimmung führt zu kontroversen und konfrontationen, woraus sich feindschaften ergeben können. es trifft auch auf zustimmung, woraus sich allianzen ergeben können.
wenn ich das in der zweiten hälfte der 1970er jahre auf den kulturbetrieb umgelegt hab, dann war ich davor schon gut in übung. als kind mit den eltern. in der schule. als lehrling mit vorgesetzten. als soldat mit höherrangigen kräften. später noch eine weile als angestellter im buchhandel mit all jenen, die über mir standen. (das ist banal und allgemein bekannt.)
das leben in der kunst versprach dann auf jeden fall, einige konventionen, verschiedene regelwerke aufbrechen oder übergehen zu können, ohne dabei versenkt zu werden. sich querlegen, ohne dabei abzusaufen.
für die 1950er und 1960er jahrgänge behaupte ich aus meiner erfahrung und beobachtung, daß ein wuchtiges anrennen gegen konventionen stattgefunden hat, welches durchgsetzt werden konnte. wir hatten oft traumatisierte leute aus dem zweiten weltkrieg als gegenüber: eltern, schulwesen, militär, berufswelt. wir setzten uns mit tätern und (weniger) opfern auseinander. vormalige mitläufer suchten auf uns einfluß zu nehmen. andrerseits bearbeitete uns die wirtschaft mit enormen verlockungen.
ich erinnere mich noch gut, welchen ärger ich als lehrling in der buchhandlung moser bekommen hab, weil alte nazi und ss-männer als meine kundschaft erkennbar wurden, da ich ihnen einschlägige literatur beschaftte. bücher wie „wenn alle brüder schweigen“. themen wie „die rammjäger des kommodore dahl“. geld, sichtbarkeit, rang. materielle und immaterielle güter, deren erwerb bedingungen hatte.
die maßgeblichen kräfte im grazer „forum stadtpark“ hatten längst vor uns kontroversen mit kräften des nazi-faschismus ausgetragen, waren aber auch gegen konservative leute angerannt, die sich bemüht haben, überkommenes ideengut von der nazi-kontamination zu befreien und wieder salonfähig zu machen. wenn sich neues etablieren läßt, frage ich gerne: wer sind die sachpromotoren und wer die machtpromotoren?
es ist mir bis heute nicht ganz klar, wie etwa hanns koren zu einem wegbereiter des „forum stadtpark“ werden konnte und dessen rebellisches potential mit der steirischen övp verknüpft hat. (ich vermute, neben korens intellektuellen und kulturellen interessen gab es dazu strategische erwägungen.)
wir unbändigen welpen der späten 1970er jahre hatten also reichlich interessante leue vor uns, gegen die man vorzüglich anrennen konnte. ich denke, das machte einen teil des soziokulturellen klimas jener zeit und der ankommenden 1980er jahre aus. freiheit? die hatten wir längst. aber autonomie! darum konnte vortrefflich gestritten werden.
- Feuilleton (Kulturpolitische Annahmen und Behauptungen)