Notiz 019: Am Schelchenberg#
(Schauen, grübeln, debattieren)#
von Martin KruscheZwei intensive Touren auf der Suche nach den raren Skulpturen. Wo ist das Spezielle zwischen den Flottenfahrzeugen der Massen? Ich war mit dem Marketing-Fachmann Norbert Gall unterwegs. Er wie ich ein versierter Automobil-Paparazzo, stets auf der Jagd nach den selten gewordenen Formen, Linien, Farben.
Worum es geht? Um das Ausleuchten des 20. Jahrhunderts in disem speziellen Genre. Wir waren kürzlich beim Saturday Night Cruising der „Alltagsklassiker“ rund um Micky Tieber, eine Woche danach beim Festival am Schelchenberg von Ingo Alton. Für Gall und mich ist das eine Fotosafari mit fetter Beute und eine rollende Konferenz, randvoll mit Debatten.
Wir sind in zwei wesentliche Aspekten mit diesen Dingen verwoben. Es gibt in der Ethnologie seit Ende der 1950er Jahre eine Debatte über die Volkskultur in einer technischen Welt.
Das ist naturgemäß nicht sehr bekannt, wo wir uns heute schon schwer tun, von älterer Volkskultur, nämlich jener aus der agrarischen Welt, eine halbwegs brauchbare Auffassung zu haben, die einer Diskussion standhält.
Der andere Aspekt sind die visuellen Codes im öffentlichen Raum. Architektur, Industriedesign, so dann auch Automobildesign, Dresscode, Schilder und Wegweiser… Eine Vielzahl von Formen und Markierungen entfaltet zwischen uns teils kuriose Erzählungen. Was inszenieren wir da? Was teilen wir einander mit?
Am Schelchenberg#
Natürlich bestaune ich zum Beispiel Supersportler, die man kaum je live vor Augen hat. Aber mein Gesamterlebnis ist bei solchen Besuchen stets davon geprägt, was ich an Besonderheiten für meine laufende Erzählung beeindruckend finde. Dabei habe ich denn zum Beispiel besondere Freude an so einem 1947er Rover 16 HP Saloon, der ausdrückt, welcher Wagentyp wegweisend war, um zehn Jahre später in Europa die Volksmotorisierung voranzubringen.Links ein 1947er Rover 16 HP Saloon, rechts ein Trabant 601 als Lowrider-Derivat. Für dieses Thema – Volksmotorisierung – steht auch der „Trabi“, die Rennpappe aus der DDR. Ich finde es dann zum Schreien komisch, daß jemand den Trabant so extrem tief legt, was einer Subkultur entspringt, die noble Distanz zum Geld, zur Physik und zu geltenden Gesetzen demonstriert. Also der einstige Wertgegenstand, im Osten Deutschlands Teil er erheblichen Verknappung von Gütern, nun zum Luxusgegenstand umgedeutet. Das finde ich witzig.
Links ein Triumph GT 6 (Mk 2), rechts ein Marcos mit TR 6-Triebwerk. Hier zwei durchaus seltene Exemplare der Abteilung Gran Turismo, woher sich das Kürzel GT ableitet, das so manchen biederen Autos raufgeklebt wird, die mit dem Thema nichts zu tun haben. Welches Thema? Rennsport. Wer an Langstreckenrennen teilnahm, brauchte zweierlei zusätzlich Möglichkeiten, etwas mehr Stauraum und Wetterschutz. Das legt Fließheck-Versionen nahe, die aber immer noch sehr auf Körper geschneidert sind, denn der Gran Turismo bleibt ja in erster Linie ein Sportgerät.
Zu schön, sie beide af einem Fleck zu haben. Pontiac Firebird (links) und Pontiac Trans Am, die F-Body-Plattform von General-Motors, auf der auch die Chevy Camaro jener Zeit laufen. Hier also die zweite Generation, beide mit der markanten Frontpartie von 1979, der Feuervogel ganz dezent, der Trans Am herausgeputzt und mit dem großen „Screaming Chicken“ auf der Motorhaube.
Pony Cars in Konkurrenz zum Ford Mustang. Der üppigere Wagen mit dem markanten T-Roof trägt im Namen einen Querverweis auf die Trans-Am Series, eine Rennveranstaltung, die 1966 gegründet wurde und als Trans-American Sedan Championship begann.
Im Kontrast dazu ein 1968er Lotus Seven, von dem ich mangels Detailkenntnis nicht sagen kann, ob es ein (horrend teures) original ist oder ein junges Kit Car. Egal, so ging eben Sportlichkeit über Jahrzehnte. Kein bequemes Auto, nichts, was man unbedingt brauche würde, ein schöner Kontrast zum Bukhanka, vor allem eine brutale Fahrmaschine, die versierte Hände verlangt.
Hier einer meiner Lieblinge, ein sprödes Design von Großmeister. Der Jaguar XJ-S ist ein fulminanter Gran Turismo und eines der wenigen Beispiele, wie man einen Zwölfzylinder für den Alltag auf unseren Straßen verpacken kann. Gestaltet von Malcolm Sayer, dem historische Jaguare einige extrem unverkennbare Designs verdanken. Da weiß man gleich, was auf einen zukommt. Deshalb hier auch zwei Positionen für diese Raubkatze.
Links ein Ferrari 308 GTS, rechts das Modell eines F40. Was haben der Dottore (Norbert Gall) und ich uns dieser Tage über rätselhafte Autodesigns ausgelassen, die uns als wirre Liniengeflechte erscheinen, als eine visuelle Sprache, die uns irritiert, weil wir nicht draufkommen, was uns die Dinger sagen möchte. Im Reich der SUVS und der Hybriden boomt sowas derzeit. Schminke auf Stahl. Gut. Ist eben so.
Und dann haben wir diesen 1980er Ferrari 308 GTS vor uns, den wir in Ruhe betrachten und erörtern konnten, weil ich mich in den Schatten gesetzt hatte, denn ich war unter dieser Sommersonne inzwischen nahe am Hitzekoller sowie am Rand meiner Kräfte. So geht Linienführung. Vergleichbares sollte ja auch auf der Höhe der Zeit gelingen.
Das Modell des 478 PS starken Supersportlers stammt aus der Sammlung von Ingo Alton. Der Wagen muß für Top Speed über 300 Km/h natürlich formal anderen Anforderungen genügen, um vom Fahrzeug nicht zum Flugzeug zu werden.
Ein 1969er Dodge Charger. Da bin ich jetzt befangen, weil ein bißl ein Fan. Das kommt bei mir emotional freilich nicht von Jux-Filmen wie „The Fast and The Furious“, die mit realem Fahrkönnen eher wenig zu tun haben. Wer Dom Toretto länger zusieht und seine gebrummelte Sprücheklopferei ohne Ohrenkrebs übersteht, hat nach einer Weile keine Ahnung mehr, wie man schnell Auto fährt.
Da kann man sogar sehen, daß ein geländegängiger High Speed-Charger per Luftverlastung angeliefert, abgeworfen und in rasender Fahrt ausdauernd mit einem schweren Maschinengewehr beschossen werden kann, was nichts macht, so gut ist er gepanzert. Das ist pure Träumerei.
Wenn aber seinerzeit Bill Hickman in Filmen etwa einen Charger fuhr, konnte man schauen, wo fahrerisch die Latte liegt. Hickman ist übrigens der Stunt Driver, den James Dean zum Freund hatte und „Big Bastard“ nannte. Nun ahnen Sie vielleicht, weshalb auf dem Porsche Spyder, in dem Jimmy Dean ums Leben kam, „Little Bastard“ stand.
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