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Notiz 020: Wissen, wo man hinhaut#

(Der Handwerker Walter Pillich)#

von Martin Krusche

Das Schneiden, die Treibarbeiten und das Biegen, das Stauchen, Abkanten, die ungezählten Schweißpunkte, das Schleifen und Polieren, kein Laie könnte da mit ungeübten Händen auch nur irgendwas Ansehnliches erreichen. Walter Pillich lapidar: „Man muß halt wissen, wo man hinhaut.“ Seine Hände hat er viele Jahrzehnte geschult, etwa an diversen Porsche 356 und anderen Hochkarätern.

Meister Pillich und sein exquisites Puch-Schammerl.
Meister Pillich und sein exquisites Puch-Schammerl.

Ich hab auch gesehen, was er an einem alten Motorradtank bewirken kann, der rund ein halbes Jahrhundert an einer Schuppenwand gehangen hatte. Oder in der bescheideneren Abteilung: ein schlichter Batteriekasten für den Steyr-Puch Haflinger. Sein Kompetenzspektrum ist enorm. Sein Selbstverständnis ist entspannt: „Was ich kann, wird heute nicht mehr gebraucht. Das wird mit mir sterben.“ (Wollen wir doch annehmen, daß es nicht ganz so radikal kommt.)

Alte Moden und Modalitäten#

Armbruster, Bertone, Ghia, Gläser, Karmann, LeBaron, Mulliners, Park Ward, Zagato. Sagen Ihnen diese Namen etwas? Sie sind häufig mit einem bestimmten Automodell verknüpft, vom Steyr Gläser-Cabrio bis zum Chrysler LeBaron, den Karman-Ghia nicht zu vergessen etc. etc. Das sind die Namen von Karosseriebauern. Manche von ihnen, wie Armbruster, einst schon in der Kutschenwelt renommiert, längst bevor es Autos gab.

Neben dem Wagner und dem Stellmacher kamen über einige Technologiesprünge auch Schlosser und Spengler in der Fahrzeugwelt stärker zum Zug. Holz, Stahl, Leder, Glas, Textilien, vor allem Vorkriegsautos ergeben einen sehr komplexen Materialmix.

Fredi Thaler (links) und Walter Pillich.
Fredi Thaler (links) und Walter Pillich.

Als mich Fredi Thaler vor Jahren das erste Mal zu Walter Pillich mitnahm, wurden das für mich Stunden des Staunens. Es gibt ein paar Maschinen in seiner Werkstatt. Wer wollte etwa noch per Handkurbel bohren? Das ist nicht nötig. Aber wesentliche Vorgänge wickelt er mit seinen Händen und handlichem Werkzeugen ab.

Der Stauchhammer mit seinem beweglichen Hammerkopf hat mich besonders überrascht. Spitz- und Schlichthämmer, Treibhämmer, Ausbeul-Eisen, Montage- und Demontage-Keile, Haken, Hebel, was weiß ich noch alles…

Hände, die dem Stahl gebieten.
Hände, die dem Stahl gebieten.

Dem Stahl gebieten#

Druck. Zug. Hitze. Mit solchen Mitteln läßt sich Metall formen. Es soll diesen Mitteln aber auch widerstehen, soll in Form bleiben. Wenn es zum Beispiel als Fahrzeug vor einem steht. Da wirken andauernd ganz unterschiedliche Kräfte auf die verschiedenen Bereiche, die standhalten müssen.

Ein Dachdeckermeister hat mir einmal erzählt, große Blechdächer seien unter der Sommerhitze enorm in Bewegung, das mache Differenzen von 60 Zentimetern bis einem Meter aus. Es schlägt quasi Wellen, wenn man das bei der Montage nicht hinreichend berücksichtigt.

Der smart gebaute Stauchhammer.
Der smart gebaute Stauchhammer.

So heftig geschieht dass bei einer Autokarosserie natürlich nicht. Aber was man im Jargon „Kaltverformung“ nennt, ein Crash, bringt Schwung ins Gefüge. Kann das repariert werden? Lassen sich Teile ersetzen? Jeder Bohrvorgang erzeugt naturgemäß Hitze, Löten und Schweißen erst recht. Da muß der Meister schon genau wissen, wann er wo wie lange draufhält, um keine unerwünschten Effekte freizusetzen. (Naja, mit dem Draufhauen ist es ebenso.)

Im Rahmen bleiben#

In den frühen Jahrzehnten der Automobilgeschichte waren die meisten Fahrzeuge auf einen stabilen Rahmen gebaut. Leiterrahmen, Kastenrahmen, das waren vorherrschende Versionen. Da diese Fahrzeuge ohnehin nur sehr wohlhabenden Menschen vorbehalten waren, gönnten sich manche von ihnen einen speziellen Schneider zum Einkleiden; die eingangs genannten Karosseriebetriebe.

Bild 'daimler02'
Bild 'daimler01'

Das bedeutet, man kaufte beim Fahrzeugproduzenten ein Rolling Chassis (sozusagen: ein nackertes Gestellt) und ließ es zum Karosseriespengler (Coachbuilder) der eigenen Wahl bringen. „Bodies as arranged with coachbuilder by customer.“

Es war durchaus üblich, daß man seinen persönlichen Geschmack entwickelte und mit dem Spengler die Details verhandelte; ähnlich wie man die Kunstwerke zur Ausstattung seines Stadtpalais und Landhauses nach individuellen Neigungen zusammenstellte.

Betrachtet man Vorkriegsautomobile, bevor sie kompakt gestaltet wurden und ein breiteres Publikum fanden, haben die recht beeindruckende Dimensionen, stehen praktisch fast wie ein Zweitwohnsitz da. So nach heutigem Geschmack auch der Daimler Fifteen von 1934, der aber nicht gerade ein Riese seiner Zeit ist, sondern einen Schritt Richtung Massenmotorisierung darstellte, die dann freilich erst Ende der 1950er Jahre einsetzte.

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Der Kunde, das Rolling Chassis, der individuell gewählte Coachbuilder. Klar, daß da kein Kotflügel genau wie der andere geformt wurde, daß man bei Vorkriegsfahrzeugen oft ins Grübeln kommt, weil manches Modell schwer zuzuordnen bleibt.

Nicht einmal die Kühlerfigur ist immer ein verläßlicher Hinweis. Aber über markante Kühlerformen und kleine Plaketten mit Aufschriften kommt man weiter.

Auf Basis des wuchtigen Chassis waren freilich andere Karosserien möglich als bei den späteren Konstruktionen. Die selbsttragende Karosserie (Unibody construction) hat sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg breit durchgesetzt. Wie wir freilich bei Fahrzeugen aus diversen Subkulturen sehen, bei Custom Cars und Hot Rods, ist auch an ihnen sehr viel Staunenswertes an Modifikationen möglich, wo die handwerklichen Kompetenzen vorhanden sind.

Der Zweitwohnsitz auf vier Rädern.
Der Zweitwohnsitz auf vier Rädern.

Auf dem Weg zur Massenproduktion#

Aber hier der Blick zurück in markante Jahre. Im Jahr 1925 erschien der Steyr XII als erstes Großserienfahrzeug aus österreichsicher Produktion. Ein sehr kompakter Wagen, konstruiert von Anton Honsig. Im Jahr 1923 war eben erst Hans Ledwinkas Tatra 11 erschienen, ein Kleinwagen im eigentlichen Sinn, der auf breitere Leistbarkeit ausgerichtet war und verglichen mit dem Daimler 15 HP ein Winzling ist.
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Davor hatte Ferdinand Porsche 1922 für den Rennsport den phänomenalen Austro-Daimler Sascha konstruiert. Ein Meilenstein im Verhältnis von Motorleistung zu Fahrzeuggewicht. Ein früher Kompaktwagen, der sich seiner großen Konkurrenz sehr effizient an die Fersen heften konnte.

Vor diesem Hintergrund wird erahnbar, in welchen Einkommenskategorien sich der frühe Automobilbesitz mehrheitlich abgespielt hat.

Damals wie heute ist eine Mischung von Fachwissen, handwerklicher Kompetenz sowie Arbeitszeit auf gesamt sehr hohem Niveau nötig, um Automobile wie den Daimler 15 HP auf den Rädern zu halten.

Die Fotos, welche mir Walter Pillich von seiner Arbeit am Daimler überlassen hat, machen selbst dem Laien anschaulich, in welchen Dimensionen sich das abspielt.

  • Alle Pillich-Fotos: Martin Krusche
  • Alle Daimler-Fotos: Walter Pillich
  • Übersicht: Maschine (Eine laufende Erzählung)


Ergänzend#

Bild 'daimler06'
Bild 'daimler05'

Siehe zu diesen Zusammenhängen auch „Die Ehre des Handwerks“ (Ein Blick auf die nächsten Umbrüche des Metiers) aus dem Jahr 2018!

Zum Thema Custom Cars und Hot Rods siehe: „Donnergrollen als Vergnügen“ (Customizing und Hot Rodding).

Außerdem ein paar Notizen bezüglich der Gestaltung von Karosserien: „Eine Frage der Form“ (Überlegungen zum Thema Design).


Edle Formen: „Man muß halt wissen, wo man hinhaut.“
Edle Formen: „Man muß halt wissen, wo man hinhaut.“