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001: Der gesellige Titan#

von Martin Krusche

In der griechischen Mythologie kommen Namen vor, die eine Eigenschaft der betreffenden Person benennen. So bedeutet Oidipus etwa Klumpfuß. Prometheus ist der Vorausdenkende. Im Kontrast dazu sein Bruder Epimetheus. Der handelt lieber zuerst und denkt später nach, was er damit angerichtet hat. Sein Name stellt ihn als den „Hinterherdenkenden“ bloß. So konnte ihm die wunderschöne Pandora angedient werden, die Allgebende, obwohl ihm der stets vorausschauende Prometheus dringend abgeraten hatte, von Göttervater Zeus Geschenke anzunehmen.

Der gefesselte Prometheus wäre heute womöglich mit Schnittstellenkabeln fixiert. (Foto: Martin Krusche)
Der gefesselte Prometheus wäre heute womöglich mit Schnittstellenkabeln fixiert. (Foto: Martin Krusche)

Dieses Präsent ist quasi eine Frau aus der Retorte, eine Auftragsarbeit. Hephaistos hat Pandora aus Lehm gebaut und eine himmlische Spezialeinheit stattete sie mit so vielen Qualitäten aus, daß Epimetheus alle Bedenken überging und sich der Schönheit an den Hals warf.

Dabei scherte es ihn nicht, daß sie eine Büchse voller Plagen bei sich hatte, Munition einer nächsten Attacke, die der emotional völlig unberechenbare Zeus gegen die Menschheit anbahnte, nachdem ihm Prometheus davor die Freude am Drangsalieren der Menschen verdorben hatte.

Der Titan hatte die Opfergaben für die Götter auf listige Art rationalisiert, wofür Zeus die Welt in Finsternis und Kälte tauchte. Also stahl Prometheus den Göttern das Feuer, brachte es auf die Erde zurück. Dafür wurde der Unsterbliche im Kaukasus an einen Felsen gekettet (ein Job für Hephaistos) und Tag für Tag von einem Adler angefressen, während sich die Wunde Nacht für Nacht wieder schloß.

Ausgerechnet Hermes, unter anderem nämlich Gott der Diebe und der Kunsthändler, überdies damit befaßt, die Seelen von Verstorbenen in die Unterwelt zu geleiten, hatte sich besonders hervorgetan, Prometheus zusätzlich zu foltern. Manche möchten sich dem Chef eben auffallend dienstbar erweisen, denn im Gegensatz zum Götterboten hatte sich Hephaistos durchaus gesträubt, Prometheus festzusetzen, doch letztlich gehorcht.

In dieser Geschichte kommen folglich allerhand interessante Leute zusammen, wovon hier noch gar nicht alle erwähnt sind. Es war übrigens Herakles, der schließlich den gefräßigen Adler mit einem Pfeil erlegte und Prometheus aus seiner mißlichen Lage befreite.

Ich mag an der antiken Mythologie sehr, daß die Geschichten nicht in Stein gehauen sind und die Figuren oft ganz unterschiedlich, sogar gegensätzlich gedeutet werden. Das reichte im Fall des geselligen Titanen bis tief in die Christianisierung herein, wobei selbst so prominente Kräfte wie Augustinus nicht daraus verzichten konnten, diesen Mythos zu adaptieren.

Ich hab schon Hinweise ausgestreut, daß mir jene Gewichtung zusagt, die Aischylos in „Der gefesselte Prometheus“ hinterlegt hat, wobei derzeit noch als umstritten gilt, ob er als Autor dieses Stückes gelten darf. (Für mich als Leser eine ganz nachrangige Frage.)

Der Anfang der Tragödie Der gefesselte Prometheus in der Handschrift Wien, Österreichische Nationalbibliothek, erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. (Public Domain)
Der Anfang der Tragödie Der gefesselte Prometheus in der Handschrift Wien, Österreichische Nationalbibliothek, erste Hälfte des 15. Jahrhunderts. (Public Domain)

Jener Prometheus ist einfallsreich und voller Tatendrang, lehrt die Menschen so allerhand und stellt sich notfalls gegen einen völlig zügellosen Zeus, um dabei für die Menschen Partei zu ergreifen, die solchen Gewalten nicht gewachsen sind, vor allem aber gegen ein Chaos und für gedeihliche Entwicklungen.

In diesen Zusammenhängen wird Prometheus als Begründer unserer Technik verstanden, als Kulturbringer und als Menschenfreund, als Wegbereiter von Zivilisation. Der Titan gehört einem alten Göttergeschlecht an, ist, wie schon erwähnt, unsterblich.

So gesehen erscheint er als ein sympathischer Kerl, voller Anregungen, wenn wir darüber nachdenken, was uns die Technik ermöglicht und was uns allenfalls durch Technik droht. In den Anwendungen technischer Möglichkeiten liegen eben Potentiale, die menschliches Wollen einfach überfahren können, die zu Schaden wie zu Nutzen führen mögen.

Das war vermutlich ein Motiv für den Philosophen Günther Anders, es als prometheische Scham zu bezeichnen, wenn wir uns klein fühlen, weil uns ein selbst geschaffenes Werkzeug in einer Sache übertroffen hat.

Dieser Prometheus von Aischylos moralisiert nicht, sondern bezieht mit seinem Handeln Stellung. Was uns von seinen Taten erzählt wird, ist ganz offenbar geeignet, dem menschlichen Gemeinwesen zu nützen, ferner im Verhältnis zwischen Himmel und Erde für Harmonie zu sorgen.

Rechnet man ein, daß wir in Europa die Politik kulturgeschichtlich für ein fruchtbares Wechselspiel zwischen Staatskunst und Gemeinwesen halten, was man heute als eine sinnvolle Zusammenarbeit von politischem Personal und Zivilgesellschaft deuten würde, dann erscheint Prometheus als eine sehr politische Persönlichkeit, die sich der Tyrannis in den Weg stellt und sich für so manchen Ausgleich engagiert.

Das ist daher eine literarisch wie politisch gleichermaßen interessante Figur, die ich nun in diesem Abschnitt meiner Arbeit exponiere. Ich komme dazu aus meiner mehrjährigen Befassung mit Ikarus und seinen Leuten. Davor hatte mich Oidipus sehr beschäftigt, den ich nicht durch die Brille von Sigmund Freud betrachte, sondern in seinen Emotionen und seiner Courage ganz woanders aufgestellt sehe.

So viel zu einem Stück Hintergrundfolie für den 2020er Teil des Kunstprojektes „Tesserakt“, das eine Schnittstelle zu Mirjana Peitler-Selakovs Projekt „Geteilte Inkompetenzen“ hat. Deshalb der Titel meines Teilprojektes: „Prometheus in Ketten“ (Himmelsstürmerei und die Folgen). Was meine Position in dieser Geschichte angeht und die Schwelle meines Zugangs markiert, hab ich hier skizziert: Ich bin ein Ikarier (Gedanken zu einem kniffligen Rollenkonzept)