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Maria Theresias barocker Vater Kaiser Karl VI. - Der bedeutungsloseste Kaiser im Schatten des Prinzen Eugen von Savoyen?#

Von Ernst Zentner

Die Wichtigkeit einer historischen Persönlichkeit erkennen wir meist an der von ihr an die Nachwelt hinterlassene "Gesamtleistung". Und was davon die Historiker, welche oft nur nach zeitbegründeten Tendenzen handelten, zu akzeptieren bereit waren. Von Kaiser Karl VI. wissen wir offiziell, dass er 1. 1713 die Pragmatische Sanktion veröffentlichte, 2. er der Vater Maria Theresias war und 3. Prinz Eugen beauftragte den erneut ausgebrochenen Türkenkrieg zum Vorteil Österreichs zu entscheiden. Begeben wir uns doch nach Klosterneuburg bei Wien. Was sehen wir dort? Einen titanischen Torso einer Gebäudeanlage, die nach den Wünschen Karls VI. den Österreichischen Escorial hätte bieten sollen. Herrscher- und Klosterburg in einem. Vergleichbar dem echten Escorial bei Madrid in Spanien. Wäre der Neubau des Schlosses Klosterneuburg nicht durch den verfrühten Tod des Auftraggebers aus Geldmangels gestoppt worden, so wäre in diesem Bauwerk eine architektonische Konkurrenz für das Barockjuwel Stift Melk entstanden.

Grundlos wählte der Habsburger das Stift Klosterneuburg nicht aus. Denn es birgt die Grabstätte des Hl. Leopold III. von Österreich, den berühmtesten "babenbergischen" Herrscher Altösterreichs. Nicht viel anders als der düstere spanische Escorial, welcher in seinem Innern die Grablege der spanischen Habsburger besitzt. Das Vorbild lernte der junge Karl im "Spanischen Erbfolgekrieg" um 1706 oder 1710 kennen. Nur blieb ihm in seiner Funktion als Gegenkönig Karl III. von Spanien wenig Zeit die Symbolik der Königsburg im Mittelpunkt der Iberischen Halbinsel kennen zu lernen. Sein Rivale König Philipp V. nutzte jede erdenkliche Möglichkeit - unterstützt durch Frankreich - den Österreicher zu vertreiben. Unter dem Schutz der Alliierten zog Karl sich in die katalanische Hauptstadt Barcelona zurück, aus der er ständig versuchte, die politische Macht über das gesamte Königreich Spanien durch militärische Aktionen und Privilegien an den Adel zu erreichen. Großbritannien war das Zünglein an der europäischen Waage, lehnte ein Übergewicht Frankreich-Bourbons oder Österreich-Habsburgs im Stile der alten Universalmonarchie Karls V. ab, und ging als eigentlicher Sieger als handelsführende Seemacht - aus dem Erbfolgestreit hervor. Als neuer Kaiser musste der Habsburger aus Spanien politisch und vertraglich verzichten. Neue Probleme boten sich aus Ermangelung eines männlichen Thronfolgers. So publizierte er vorsichtshalber die Pragmatische Sanktion, welche die Unteilbarkeit seiner "Monarchia Austriaca" und die Erbfolge zugunsten seiner - noch ungeborenen - Nachkommen, freilich auf Kosten der Töchter Kaiser Josephs I. regelte! So verzettelte er sich gründlich und richtete seine Außenpolitik danach aus, anstatt, wie ihm sein fähigster Staatsmann Prinz Eugen ("Österreich über alles!") stets empfahl, eine volle Staatskasse und ein strenges schlagbereites Heer - womöglich im preußischen Stil! - zu errichten. Der "Fetzen Papier" gestattete immerhin die "Entmachtung" der Stände durch Bindung an den zentralistisch, absolutistisch agierenden Kaiser. Eine Verschmelzung der unzähligen Staaten und Ländereien im Reich Karls VI. Doch ein glücklicher Ausgang des "Ersten Türkenkrieges" Karls VI. 1716-18 dank Eugens bei Peterwardein (1716) und schließlich Belgrad (1717) mit Ausweitung der Monarchie nach Südosteuropa und der unglückliche Tod des acht Monate alten Thronfolgers Erzherzog Leopold Johann ließen wesentliche Probleme außer Acht treten. War Karl VI. wirklich so ein bedeutungsloser Kaiser, der geplagt von Weltmachtvisionen im Sinne Austria Imperialis, der sich nur um die Jagd kümmerte als um die reelle Alltagspolitik nach Innen und Außen seiner österreichischen Monarchie? Seiner Großmacht auf dem europäischen Kontinent, die zaghaft wagte an der Gleichgewichtspolitik Anteil zu nehmen. Er war musikliebend und für seine Zeit ein hochgebildeter Mann und Fürst, der scheinbar mit dem hochstehendsten Intellektuellen und Protestanten seines Jahrhunderts verkehrte, nämlich Leibniz, ohne das "Spanische Hofzeremoniell" zu missachten. Der Universalwissenschaftler versuchte in Wien eine Akademie der Wissenschaften zu installieren. Wohl sicherte der Kaiser ihm Hilfe zu, aber das Projekt entschlief dank österreichischer Bürokratie und Geldknappheit. Für die literarischen Bestände ließ Karl VI. - vermutlich auf Anraten Leibniz' - eine neue Bibliothek durch Johann Bernhard Fischer von Erlach und dessen Sohn Joseph Emanuel erbauen. Unter dem von Daniel Gran geschaffenen Deckenfresko Apotheose Kaiser Karls VI. steht zur Ergänzung des hochbarocken Personenkultes die marmorne Statue des Kaisers in Gestalt eines erhabenen römischen Imperators. Mit dem Rücken zu Spanien! Im Fresko sind in seiner Blickrichtung spanische Segelgaleeren in der Funktion konservativer Handelsschiffe als Symbole für die vom Kaiser ins Leben gerufene "Ostindische Handelskompanie" von Ostende dargestellt. Um die Pragmatische Sanktion gesichert zu wissen, musste der Herrscher seine Handelsfirma, die sich als harter Konkurrenzbrocken gegenüber britischen und holländischen Institutionen erwies, eingehen lassen. Die an seinem Hof angewachsene spanisch-katalanische "Hofkamarilla" wurde von ihm geschützt und gepflegt, und zwar so lange, bis sie nach einer ernsten Staatskrise, bei der Prinz Eugen fast seinen Dienst aufgekündigt hätte, ihren Einfluss langsam verlor. Karls VI. Gemahlin, die Wolfenbüttlerin Elisabeth Christine schenkte ihm nur mehr Töchter bzw. Erzherzoginnen: Maria Theresia (die spätere große österreichische Herrscherin und Mutter Josephs II., 1717/40-80). Maria Anna (1718-44) und Maria Amalia (1724-30). Angesichts Elisabeths - vermeintlichen - Versagens Söhne zu gebären, gab sie sich Depressionen und wohl dem Alkohol hin. Die Wiener Karlskirche, welche der Kaiser 1714-37 als Erfüllung eines Gelöbnisses im Fall des Überstehens der zuvor in Wien erfolgten Pestkatastrophe (1713/14) erbauen ließ, wurde so zur "Reichskirche" und Metapher des erneuerten Roms in Wien. Gerade in dieser Zeit missstimmte den Kaiser die bourbonenfreundliche Außenpolitik des Heiligen Stuhles und begann in der Monarchie die Ansätze eines Staatskirchenwesens nach seinen Vorstellungen zu konstruieren. Ausdruckgebend wurden dabei z. B. seine nach Mariazell unternommenen Wallfahrten und ungezählten Stiftungen. Sein Widersacher der "Roi Soleil" Ludwig XIV. legte längst die Basis zum Unfrieden mit Reich und Österreich, der sich wieder, schließlich an der Einsetzung des Königs in Polen entzünden musste. Der Kaiser wusste, dass Frankreich die Triebkraft zum "Polnischen Thronfolgekrieg" gab und reagierte peu á peu. Prinz Eugen, wie der spanische Nationalheld El Cid, musste wieder edel reiten und brachte als stark gealterter Feldherr bei Philippsburg (1734) nur ein enttäuschendes Unentschieden zustande. Auch diesen Krieg verlor der Kaiser und schloss nach einigen Jahren eiserner Nachdenkpause mit König Ludwig XV. Frieden, der fünfeinhalb Jahrzehnte andauern sollte. Maria Theresia setzte es durch, daß sie ihren Franz Stephan von Lothringen am 12. Februar 1736 heiraten konnte. Dieser Tag wurde zum Gründungsdatum des neuen Herrscherhauses Habsburg-Lothringen (Streng genealogisch betrachtet: Lothringen!). Zwei Monate später bequemte sich Prinz Eugen in die Ewigkeit abzugehen. Der Kaiser versuchte Ordnung zu schaffen, wie er es in seinen peinlichst geführten Tagebüchern - lediglich beinahe unleserlich und ohne historischen Wert -, angedeutet hatte. Ein unnötiger "Zweiter Türkenkrieg" 1737-39 ließ die Monarchie nach fürchterlichen militärischen Misserfolgen zugunsten der Hohen Pforte auf den geographischen Stand von 1699 zusammenschrumpfen. Karl VI. verzweifelte bis zur Depression. Nebenbei gelang ihm mit seiner rechtswissenschaftlichen Gelehrtheit und Verständnis für das Allgemeinwohl eine Menge Verordnungen und Gesetze, das System im gesellschaftlichen Leben zu regulieren ohne dabei überdimensionale Erfolge zeitigen zu können. Seine verfahrende Außenpolitik ließ ihn wenigstens erkennen, dass er mit unfähige Leute umgeben war und sorgte geringstenfalls dafür, dass mit dem jungen Verwaltungsjuristen Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg ein fähiger Politiker (besonders zu Maria Theresias Alleinregierung) zum Zug kam. Das war freilich seine letzte "große" Leistung, denn Karl VI. musste einige Jahre danach, im Oktober 1740 sterbend aus den ungarischen Jagdgebieten nach Wien gebracht werden. Nur der Tod konnte ihn aus der geistigen Umklammerung mit dem Anspruch auf das Königreich Spanien befreien. In der Kapuzinergruft erinnert ein mächtiger, erst nach Jahren verfertigter prächtiger Sarkophag an die einstige Existenz des Kaiser Karls VI.

Copyright Ernst Zentner 1992 (Bisher unveröffentlicht)

Quellen
Nur die wichtigsten:

  • Bernd Rill, Karl VI. (1992)
  • Max Braubach, Prinz Eugen 1-5 (1963-1965)
  • Eigene Recherchen

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