Karl VI. - Krönung zum Kaiser - 1711#
Von Ernst LanzVor mehr als drei Jahrhunderten starb der liberale Kaiser Joseph I. an den Pocken. Damals herrschte in Ostösterreich eine Epidemie und der junge Habsburger-Herrscher, 33 Lenze jung, setzte sich fahrlässig dieser Situation aus.
Sein jüngerer Bruder Erzherzog Karl von Habsburg-Österreich regierte in Spanien als Gegenkönig und bemühte sich mit österreichischer Frustration die Stellung gegenüber Philipp V. zu halten. König Karl bekam Nachricht von Minister Wratislaw, er solle ehest nach Wien kommen und die herrscherlose Zeit im Imperium beenden.
Doch der Habsburger zauderte energisch, weil er fürchtete Spanien - eigentlich war er bloß König von Katalonien - endgültig an die Bourbonen zu verlieren. Prinz Eugen und Wratislaw taten alles um den starrsinnigen Habsburger dazu zu bringen nach Mitteleuropa zurück zu kehren.
Wegen der herannahenden kälteren Jahreszeit war die Royal Navy immer weniger bereit ihre Schiffe im Atlantik und im Mittelmeer unnötig zu belasten. Im Sommer 1711 wurde die Wahlkapitulation schriftlich abgefasst - ein Konflikt zwischen den Kurfürsten und den fürstlichen Reichsständen war damit irgendwie zu einem Finale geschoben worden. Der edle Ritter erreichte auf dem Verhandlungstisch, dass die Kaiserkür zugunsten König Karl ausfiele. Endlich begab sich der zukünftige Kaiser in Barcelona zur Abreise nach Frankfurt am Main. Zuvor hielt er eine bewegende Ansprache an sein Volk, versprach ihm Treue. Er weinte, verabschiedete sich von seinem "Weib" Königin Elisabeth Christine. Ihr Mann beauftragte sie mit dem Posten der Gouverneurin von Spanien. Im Tagebuch vermerkte er knapp: "Messe in der Kapelle (der Residenz), vom Weib Urlaub (Abschied), weint, um 9 Uhr weg in das Schiff, noch an Weib geschrieben." Die Königin schrieb an ihren Vater in Salzdahlum: "Mein Körper bleibt hier, meine Gedanken aber nicht und diese Scheidung fällt mir ungemein schwer."
Mit dem Habsburger verließen noch ein halbes Tausend Spanier, Italospanier und Katalanen ihre Heimat, weil sie die Rache Philipps V. und des Roi Soleil ernsthaft fürchteten. Minister Wratislaw hatte dem Habsburger brieflich empfohlen er solle seine Anhängerschaft dort belassen wo sie gerade waren. Doch der junge Kaiser hatte sich über den wohlmeinenden Rat seines böhmischen Ministers hinweggesetzt. Karl drückte damit seine symbolische Rückkehr aus. Mit dem britischen Kriegssegler "Blenheim" reiste der Monarch nach Genua, von wo er aus über Italien nach Deutschland reiste. Am 12. Oktober 1711 wählten fünf Kurfürsten - zwei waren wegen der (offenen) Sympathien für Frankreich nicht zur Wahl zugelassen worden - den Habsburger zum 31. Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Das Ganze dauerte nur eine Viertelstunde. (Prinz Eugen achtete darauf, dass die französischen Truppen, die entlang dem Rhein vorrückten, in Schach gehalten wurden.)
Beinahe zur gleichen Zeit betrat Karl VI. - so wird er 29 Jahre lang bis zu seinem Tod genannt - den Genueser Hafenboden. Es ist wahrhaft eigenartig, dreimal wurde der Monat Oktober zum Schicksalsmonat des Herrschers: Seine Geburt, seine Kaiserkür und sein irdisches Ende. Einen Tag darauf langte er mit seiner Kutsche in Mailand ein, wo ihn Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen willkommen hieß. Karl spürte die politische Kälte, die ihm wegen seiner anti-italienischen Außenpolitik entgegen strömte. Im November huldigten ihm die Untertanen der Lombardei. Im Mailänder Dom fand ein Festgottesdienst statt.
Kardinal Imperali überreichte im Auftrag des damaligen Papstes einen wertvollen Tabernakel mit einer kunstvoll verkleideten Kreuzpartikel. Das Sakralkunstwerk gelangte in die Geistliche Schatzkammer der Wiener Hofburg. Wahrscheinlich inspizierte der Kaiser die Mailänder Biblioteca Ambrosiana, bewunderte die "Anbetung der Könige" von Tizian und das "Abendmahl" von Leonardo da Vinci im Kloster Sta. della Grazie. Seine mühevolle Reise führte ihn nach Innsbruck, wo er bis Anfang Dezember offiziellen Hof hielt. Das bisherige Regierungsteam - angefangen von Prinz Eugen bis Wratislaw - beließ er in seinen Ämtern. Karls Erzieher und Berater Liechtenstein erhob er in die Funktion eines Premierministers. Karls Residenz war der vom Tiroler Baumeister Christoph Gumpp erbaute "Neue Palast", der eine Generation später dem Erdboden gleich gemacht wurde. In der Altstadt betrachtete er das funkelnden "Goldene Dachl" - von seinem noch berühmteren Vorgänger Kaiser Maximilian I. finanziert. Weihrauch umschwebte Festmessen in der Hofkirche besuchte Karl VI. Das mächtige Kenotaph Maximilians I. mit dem überlebensgroßen "schwarzen Mandern" erregten wohl seine Bewunderung. Hier blickte er aus seiner Zeit zweihundert Jahre zurück. Die Geschichte seines Erzhauses schien ihn kaum belastet zu haben. Die prunkvolle Ausstattung des "Spanischen Saals" im Schloss Ambras wird genauso sein Interesse gefordert haben.
Die Weiterreise endete am 19. Dezember 1711 in Frankfurt am Main. Wo der Kaiser erschienen war wurden Triumphbögen errichtet, so etwa in der freien Reichsstadt Nürnberg, wo einst ein Albrecht Dürer wirkte. Frühere Kaiser nahmen in Nürnberg stets Aufenthalt. Später wird hier eine Brücke errichtet werden und nach dem Kaiser und der Kaiserin benannt werden. Und das Bauwerk wird 30.000 Fiorino (Gulden) kosten.
Der Herbst war dem kalten Winter gewichen und am 22. Dezember 1711 agierte Karl VI. als Hauptakteur während der Krönung im St. Bartholomäusdom zu Frankfurt am Main. Das Innere der Kirche war völlig barockisiert gewesen. Seit 1562 war es die fünfte Kaiserkrönung im Kaiserdom und genauso viele folgten bis 1792. An der Pforte wurde Karl VI. vom Kurfürst-Erzbischof von Mainz, Schönborn, empfangen. Auch der geistliche Kurfürst von Trier, Karl Joseph (Johann Anton Ignaz Felix) von Lothringen geleitete den Kaiser in den festlich geschmückten Dom. Längst wurden die Insignien äußerer Macht aus Aachen, der ehemaligen Pfalz Karls des Großen, herbeigeschafft: Reichskrone, Herrscherstab, Reichsapfel, Ring, Schwert Karls des Großen und dessen Evangeliar sowie einige strapazierte Krönungsmäntel, aus denen die Motten verjagt wurden. Der Abt des niederösterreichischen Stiftes Göttweig arrangierte das Zeremoniell der Krönung. Die eindrucksvolle Kaiserkrone ruhte auf einem Kissen, das der offizielle "Reichs=Erbschatzmeister" Philipp Ludwig Wenzel Graf von Sinzendorf in seinen Händen trug.
Der eigentliche Höhepunkt, der Krönungsakt mit der traditionellen Kaiserkrone Karls des Großen wurde durch den Kurfürsten von Mainz, Erzbischof Lothar Franz von Schönborn vollzogen.
Zugleich leistete der Kaiser seinen Schwur auf das Evangeliar. Gekleidet mit dem Krönungsornat, ausgerüstet mit Reichsapfel, Zepter und Schwert, erduldete er wie seine Vorgänger Leopold I. und Joseph I. die Salbung mit den heiligen Ölen. Karl VI. versprach die römisch-katholische Kirche zu schützen. Allerdings vermied er das Wort „Papst“ zu erwähnen, weil er dem bourbonenfreundlichen Pontifex Maximus fernerhin misstraute. Das gesamte Gepränge um die kaiserliche Machtfülle beinhielt doch einen feinen Widerspruch: In Wahrheit konnte der Kaiser die Krönung und die Schwurleistung als weltlicher Fürst nur gegen sich selber vollziehen. Um es halbwegs modern auszudrücken, umständlich erklärt, ein imposantes Ansehen der höchsten weltlichen Herrschaft auf Erden. Eine anerzogene übersteigerte Größe, vielleicht Größenwahn und umrankt von Absurdität, was ganz gut ins Barockzeitalter passte.
Abgerundet wurde das Kaiserkrönungs-Unternehmen durch eine dekorative Festtafel für die hohen Gäste im Frankfurter Rathaus. Hoher Aufwand mit Symbolsprache fand statt. Die Schaugerichte mit ihren Silber- und Goldgeschirr krümmten die Tische enorm. Am liebsten hätten die Lobhudler den Kaiser in die höchsten Sphären eines Herkules, eines König Salomon und eines hl. Stephan von Ungarn offiziell erhoben. Das störte den Habsburger offenbar sowieso nicht. Hauptsache er stand im Mittelpunkt mitsamt seinem in die Ferne entschwundenen Königreich Spanien. Allerdings war es dennoch eine Blamage, weil die Repräsentanten von Bayern und Köln wegen des Spanischen Erbfolgekrieges fehlten. Und die Kurfürsten von Brandenburg, Sachsen und Hannover entsandten höchstens ihre Vertreter … Ein wenig hohlen Glanz des Heiligen Römischen Reiches brachten zumindest die anwesenden Kurfürsten von Mainz, Kurpfalz und Trier zustande. Billig war die Mission "Kaiserwahl und -krönung" nicht. Der Kurfürst-Bischof von Mainz – er war der Onkel des Reichsvizekanzlers Friedrich Karl Graf Schönborn – erhielt vom Kaiser 150.000 Gulden. Inflationsbereinigt dürfte das über 10 Millionen Euro entsprochen haben. Der geistliche Kurfürst finanzierte damit seine kostspieligen Schlossbauten. Den reicheren jüdischen Familien in Wien wurde im Zusammenhang der Aufenthaltsvorrechte eine ähnliche Summe abgenötigt.
Nach der Feier verteilte Sinzendorf kostbare Krönungsmünzen aus Gold und Silber. Auf ihnen befand sich erstmals das Regierungsmotto Karls VI.: CONSTANTIA ET FORTITVDINE. Das bedeutete frei "Mit Beständigkeit und Tapferkeit". Der neue Kaiser sah sich als wiedererstandener Karl der Große – ohne an jenen (einstigen Fleisch gewordenen Mythos) heranzureichen. Heute sind diese wunderschöne Medaillen Andenken an eine untergegangene Epoche und daher Staubfänger. Schön anzuschauen im Münzkabinett des KHM. Weihnachten und den Jahreswechsel verbrachte der Kaiser in Frankfurt am Main. Im Januar 1712 kam er nach fast zehn Jahren wieder in seine Geburtsstadt zurück. Als Erzherzog Karl von Österreich, als König von Spanien war er ausgezogen und als Kaiser heimgekehrt.
Copyright Ernst Lanz 2011/Unveröffentlicht und überarbeitet 2020
Quellen (lediglich Auswahl)
- Alfred Ritter von Arneth, Karl VI., römisch-deutscher Kaiser. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 15, Leipzig 1882, Seite 206–219
- Max Braubach, Karl VI., Kaiser. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Berlin 1977, Seite 211–218 ()
- Hans Schmidt, Karl VI. 1711–1740. In: Anton Schindling, Walter Ziegler (Hrsg.): Die Kaiser der Neuzeit 1519–1918. Heiliges römisches Reich, Österreich, Deutschland. München 1990
- Bernd Rill, Karl VI. Graz 1992
- Brigitte Hamann (Hg.), Die Habsburger - Ein Biographisches Lexikon. Wien 1988
- Friedrich Förster: Die Höfe und Cabinette Europa's im achtzehnten Jahrhundert. Erster Band. Potsdam 1836, besonders Seite 85 bis 90
- 300 Jahre Karl VI. (1711–1740). Spuren der Herrschaft des „letzten“ Habsburgers, hrsg. von der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs. (Begleitband zur Ausstellung des Österreichischen Staatsarchivs). Herausgeber: Stefan Seitschek – Herbert Hutterer – Gerald Theimer. Wien 2011 ()
- Stefan Seitschek, Die Tagebücher Kaiser Karls VI. Zwischen Melancholie und Arbeitseifer. Horn 2018
- Karl VI. (HRR)/Wikipedia
Weiterführendes
- Karl VI./AEIOU
- Kaiser Karl VI/Wissenssammlungen/Essays/Geschichte (Friedrich Weissensteiner: Schwerblütige Majestät) (Essay)
- Kaiser Karl VI. und seine Kriegsmarine (Essay von Zentner E.)
- Maria Theresias barocker Vater Kaiser Karl VI. - Der bedeutungsloseste Kaiser im Schatten des Prinzen Eugen von Savoyen? (Essay von Zentner E.)
- Leibniz - das Universalgenie und die Habsburger - Versuch einer Darstellung (Essay von Zentner E.)
- Schicksalsjahr für Habsburg/Wissenssammlungen/Essays/Geschichte (Pragmatische Sanktion 1713)
- Kaiser/AEIOU (Herrschertitel)