Leibniz - das Universalgenie und die Habsburger - Versuch einer Darstellung#
Von Ernst Zentner [= Ernst Lanz]UM 1707 BIS 1713
Der kaiserliche Gesandte Pius Nikolaus Garelli - später unter Kaiser Karl VI. kaiserlicher Rat und dessen Leibarzt - wurde beauftragt von Kaiserinwitwe Eleonore Magdalena (oder Kaiserin Amalia Wilhelmine) in Wolfenbüttel und Salzdahlum mit Herzog Ulrich Gespräche über eine Verehelichung seiner Enkelin Elisabeth Christine und Erzherzog Karl von Österreich zu führen. Herzogin Sophie Charlotte von Hannover riet dem damals anwesenden Universalwissenschaftler Leibniz als Lehrer für die Prinzessin den Jesuiten Ferdinand Orbanus. Dieser hatte zuvor vergeblich versucht Prinzessin Caroline von Ansbach zum Religionswechsel zu bewegen.
Als ruchbar wurde, dass die Konvertitin einen katholischen Prinzen heiraten solle, wurde von evangelischer Seite dem Herzog mit dem Ausschluss vom Abendmahl gedroht. Nachdem es offiziell wurde, dass der Wiener Kaiserhof sie als Gemahlin für den in Spanien weilenden Erzherzog Karl auserkoren hatte, war nur mehr ihr evangelisches Glaubensbekenntnis ein Hindernis. Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel entstammte einer norddeutschen lutheranerischen Hochadelsfamilie, deren Ursprünge noch von den Welfen herrührte, die allmählich zum Katholizismus überwechselte – ohne wirklich in dieser Glaubensrichtung heimisch zu sein. Sie musste einen Schnellkurs in Fragen der römisch-katholischen Konfession absolvieren. Zur Unterstützung durfte sie Theologieliteratur, die wegen Jansenismus in Frankreich verboten war, studieren. Eigentlich war das eine Lehre die den Katholizismus auf das Wichtigste im Zusammenhang mit der Bibel reduzierte. Der nachmalige Abt des Stiftes Göttweig, Gottfried Bessel reiste am 30. März 1707 nach Braunschweig-Wolfenbüttel, um die damals über 15 Jahre zählende Prinzessin auf ihren Glaubenswechsel vorzubereiten. Am 19. April reiste Prinzessin Elisabeth Christine nach Bamberg. Die Conversion erfolgte öffentlich am 1. Mai 1707 im Dom zu Bamberg. Den Gottesdienst zelebrierte der Kurfürst von Mainz, Lothar Franz von Schönborn. Als Zeugen waren damals kaiserliche Repräsentanten – in Vertretung Josephs I. – geladen.
Herzog Anton Ulrich von Braunschweig beauftragte 1712 Leibniz, dass dieser am Wiener Kaiserhof für ein Bündnis Österreichs mit Russland gegen Frankreich plädiere. Dies hätte bedeutet, dass der Spanische Erbfolgekrieg in den Nordischen Krieg ineinandergeglitten wäre. Andererseits hatte Peter der Große für ein Bündnis mit Wien sowieso kein Interesse. Jedoch die kriegsmüden Parteien ignorierten jeglichen Leibnizschen diplomatischen Vorstoß. Damals standen Verhandlungen zum Friedensschluss (1713/14) bevor – und diese waren schon sehr umständlich.
Karls VI. Ehefrau Elisabeth Christine dachte daran wieder nach Mitteleuropa zurück zu kehren. An die Seite ihres Ehemannes. Aber die Abreise verzögerte sich freilich – wegen der Gefahr des französischen Gegners. In den Jahren 1711 bis 1712/13 herrschte nach wie vor aktiver Kriegszustand. Die Gefahr einer Geiselnahme war gegeben. Die Repräsentanten Frankreichs und Spaniens konnten zwar einer Fürstin gegenüber, vor allem wenn es die Ehefrau des Kaisers war, sehr galant sein – aber wenn es um politische Interessen ging konnte die Gefahr für ihr Leben ins Unermessliche steigen. Ihr Militarist Guidobald Starhemberg war zwar Garant für ihre Sicherheit – aber Agenten Philipps V. lauerten überall. Die Generalkapitänin des Königreiches Katalonien erfuhr am 10. September 1712 von der Nachricht eines zwischen Großbritannien und Frankreich geschlossenen Waffenstillstands. Das Ganze würde allmählich – falls nichts anderes geschähe – in einen Frieden hinein gleiten. Das war die Gelegenheit unbehelligt – natürlich mit einer gehörigen Energie an Misstrauen – Spanien in Richtung Reich Habsburg zu verlassen. Ein Moment der Entspannung. Aber das dauerte noch sieben Monate. Auch die Wetterlage im Mittelmeer mitsamt der Präsenz französischer Kriegsschiffe musste berücksichtigt werden.
Zwei Tage vor Frühlingsbeginn 1713 verließ Elisabeth Christine mit der britischen Flotte – wohl unter Sir John Jennings – Barcelona. Jennings kämpfte unter Admiral Rooke erfolgreich um Gibraltar gegen die Spanier und fungierte als Commander-in-Chief der britischen Seestreitkräfte im Mittelmeer. Starhemberg blieb als Vizekönig von Katalonien vorläufig im Land. Ich vermute, solange Elisabeth Christine außerhalb des Römischen Reiches deutscher Nation befand, dürfte ihre Reise doch geheim abgelaufen sein. Eine einzige Kanonenkugel hätte ihr den Garaus machen können … Das Hauptschiff des höchsten Commanders – eines verdienten Seekriegsoffiziers, der in den Schlachten um Vigo, Gibraltar und Cádiz erfolgreich beteiligt gewesen war – stach ins Mittelmeer. Dort waren auch französische Kriegssegler stationiert. Sie waren an den Waffenstillstand gebunden. 1712 war Karls VI. Ehe noch immer ohne Nachkommen. Kurfürst Georg von Hannover (Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg), der nachmalige König Georg I. von Großbritannien, empfahl indirekt über seinen gräflichen Gesandten Huldenberg Anfang März 1712 dem Wiener Hof eine dringliche Klärung herbeizuführen. Der Gesandte meldete sich bei Wilhelmine Amalia, Kaiserinwitwe nach Joseph I. um im Auftrag ihres Vetters Kurfürst Georg, eine Entscheidung im Bezug auf die Erbfolge ihrer „kaiserlich-josephinischen“ Töchter Maria Josepha und Maria Amalia zu bewerkstelligen. Sogar der berühmte Universalgelehrte Leibniz wurde von den Beteiligten heranbemüht, um ihn, den Rechtswissenschaftler, zu befragen wie es dynastie-politisch weitergehen müsse. In der Familie Habsburg herrschte ein grausamer Machtkampf – und Überlebenskampf – um die Führung innerhalb der Familie, des Erzhauses Österreich, wer von den möglichen Anwärter(inne)n die Erblinie fortsetzen könnten …
Nun zwischen Österreich und Frankreich, das hieß Habsburg und Bourbon, herrschten Spannungen. Leibniz reiste 1688 nach Wien und überreichte dem damaligen Hofkanzler Strattmann die Denkschrift "Betrachtungen über die Kriegserklärung Frankreichs". Nochmals erschien er 1690.
LEIBNIZ BEGEGNET DEM KAISER
In der Januarmitte 1713 kam es zu einer Begegnung Leibniz mit Karl VI. im Rahmen einer Audienz. Karl VI. begriff die Erforschung des Welfenhauses sei nur mit der Reichsgeschichte verbunden möglich und interessierte sich für die Forschungsarbeiten Leibniz'. Karl VI. bot dem Universalgenie die Benützung der sorgsam verwahrten kaiserlichen Bibliothek. Jedoch das winterkalte Wetter hinderte den Wissenschaftler an weiterer Tätigkeit.
Wegen der Pestkatastrophe konnte Leibniz längere Zeit noch nicht in Wien wohnen. Endlich nahm er 1713/14 am Lugeck 7 Quartier. Wahrscheinlich war es eines der vornehmsten Häuser Wiens im Stil der Renaissance und des frühen Barocks. Bekannt als Großer Federlhof. (Mit mittelalterlichem Kern und im 19. Jh. durch einen großen Neubau ersetzt. Das gegenwärtige Bauwerk stammt aus 1897.)
Noch eine schillernde Persönlichkeit am Wiener Kaiserhof Karls VI. war Johann Christoph Freiherr Bartenstein. Er entstammte aus Straßburg, stand als wissenschaftlich gebildeter Mann mit den wissenschaftlich tätigen Benediktinermönchen der St. Mauriner Kongregation (St. Germain de Prés) und mit den Universalgelehrten Leibniz in Kontakt. Damit Bartenstein überhaupt in den kaiserlichen Dienst treten konnte, musste er, der Protestant, 1715 zum römisch-katholischen Glauben übertreten. Nach verschiedenen Ämtern in der Innenpolitik wurde er 1727 zum protokollführenden Sekretär der Geheimen Konferenz ernannt, 1733 endlich Geheimer Staatssekretär und erbittertster Gegenspieler des Hofkriegsratspräsidenten Prinz Eugen. Seither stieg Bartenstein zum eigentlichen Leiter der Außenpolitik der Monarchia Austriaca – und das bis in die Ära Maria Theresias 1753 –, mit dem Hauptziel gemäß dem Wunschdenken des Kaisers in der Sicherung der Pragmatischen Sanktion. Obwohl Bartenstein aufgrund der längeren Abwesenheit des offiziellen Hofkanzlers Sinzendorf auf dem Kongress in Soissons 1728 das Vertrauen des Kaisers erwarb – ein immerhin außergewöhnlicher Glücksfall –, gelang es ihm keineswegs den Monarchen politisch zu beeinflussen oder gar zu lenken.
Der Beichtvater Leopolds I. und auch Karls, nämlich Pater Veit Georg Tönnemann wurde nach Wolfenbüttel gesandt, um Elisabeth Christine kennen zu lernen und zum Katholizismus zu bewegen. Damals gab es unter Intellektuellen wie Cristóbal de Rojas y Spinola, ein Franziskanermönch und seit 1686 Bischof von Wiener Neustadt (um 1625 – 1695) und den Wolfenbütteler Bibliothekar Leibniz die berechtigte Hoffnung auf ein Zusammengehen des Luthertums und des römischen Katholizismus. Die Prinzessin wechselte ehest ihre Konfession. Zum Studium erhielt sie Bücher von Theologen die den in Frankreich verbotenen Jansenismus angehörten. Diese katholisch-theologisch-philosophische Richtung vertrat einen auf das wichtigste beschränkte katholischen Glauben – vor allem diente die Bibel als Grundlage. Die Kaiserin war zwar römisch-katholisch geworden, aber offenbar war sie zeitlebens doch lutherisch geblieben. Ihre Denkweise orientierte sich am Katholizismus, aber ihr tiefstes Unterbewusstsein blieb lutherisch. Bedeutende Jansenisten waren der Erzieher Kaiser Josephs I., nämlich Karl Theodor Fürst Salm, über Prinz Eugen ist nichts darüber bekannt, dann der Leibarzt des Kaisers Karl VI. Pius Nikolaus Garelli und endlich der führende Staatsmann Bartenstein. Elisabeth Christine betrachtete den Konfessionswechsel mit ehrlichen Zweifeln, erst als kurzzeitige Königin von Spanien und danach als Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches erkannte sie die Richtigkeit. In Wien wurde sie stellvertretend in der Hietzinger Pfarrkirche von dessen kaiserlichen Bruder Joseph I. geehelicht. Im Sommer 1708 heiratete der junge Gegenkönig Prinzessin Elisabeth Christine von Wolfenbüttel-Lüneburg offiziell in der Kathedrale von Barcelona. Die Trauung vollzog der Erzbischof von Tarragona Joseph Llinar i Azuar de Broto. Frauen eines – spanischen – Herrschers hatten sich nicht im Unwesentlichsten um Politik zu kümmern, sondern in der Öffentlichkeit als praktizierende Katholikin zu erscheinen. Die Marienverehrung bereitete ihr keine Probleme und sie bevorzugte den hl. Johannes Nepomuk, den Nationalheiligen des Königreiches Böhmen.
LEIBNIZ UND DIE KAISERLICHE HOFBIBLIOTHEK
Seit dem 15. Jahrhundert befanden sich die kaiserlichen Literaturbestände und Archivalien verteilt an verschiedenen Orten der Hofburg. Mit der Zeit gerieten diese wegen Überfüllung in Unordnung. Nachlässe aus adeligem Privatbesitz taten ihr übriges. Schon Kaiser Leopold I. überlegte einen Bibliotheksneubau, der jedoch wegen der Kriegsereignisse von 1683 nicht realisiert werden konnte. Leibniz und Kaiserin Elisabeth Christine regten den Kaiser zu einem modernen Bibliotheksneubau an. Ihr Großvater Herzog August der Jüngere von Wolfbüttel besaß eine Bibliothek und besagter Leibniz war einst in Wolfenbüttel Bibliothekar gewesen. Nach den Vorstellungen Leibniz' und Karls VI. sollte diese Institution allen Gebildeten – offenbar auch Frauen (im 18. Jahrhundert!) – zur Verfügung stehen. Johann Bernhard Fischer von Erlach begann 1722 den Neubau und dessen Sohn Joseph Emanuel vollendete 1723 bis 1735 das Bauwerk. Die Fertigstellung der Innenausstattung dauerte noch zwei Jahre. Der Kaiser besichtigte mit seiner Familie einige Male offiziell den Baufortschritt, was auch im Wienerischen Diarium erwähnt wurde. Daniel Gran freskierte 1726 bis 1730 die mächtigen Deckenflächen des Prunksaales. Das gewaltige Deckenbild wurde nach einem Programm Conrad Adolphs von Albrecht geschaffen und enthielt mittels farbiger Symbolsprache das Regierungsleben Kaiser Karls VI. Gran erhielt dafür 17.000 Gulden. Am 22. April 1727 hatte der Kaiser den Neubau der Kunstsammlung und der Bibliothek und deren teilweise begonnene Deckenmalerei inspiziert. Voller Eifer notiertet er später: “Galerie, Bibliothek sehr schön, zufridten, alles wohl.“ Einen Tag darauf stand im “Wienerischen Diarium“: “Dienstag, den 22. Dito erhuben Sich beede Regierenden Kaiserl. Majestätem und Durchl. Leopoldinische Ertz=Hertzogin nebst Ihrer Durchl. Dem Erb=Prinzen von Lothringen und verschiedenen Hof= Ministern und Hof=Cavalieren in das neue Bibliothee-Gbeäu auf der Kaiserl. Reit=Schul; massen dieses in meist=vollkommenen Stand gekommen und alles schon in Augen=Schein zu nehmen ist.“ Zu diesem Zeitpunkt war Leibniz seit einem Jahrzehnt nicht mehr am Leben …
WIEN ALS ZENTRUM DES WISSENS?
Als äußeres Zeichen seiner liberalen Gesinnung holte der Kaiser große Gelehrte an seinem Wiener Hof. So vergleichbar wie sein früherer Vorgänger des 16. und 17. Jahrhunderts, Kaiser Rudolf II., der in Prag auf dem Hradschin residierte und Natur- und Geisteswissenschaftler um sich scharte. Gottfried Wilhelm von Leibniz, der größte Universalgelehrte, der mit seiner „Monadologie“ (1714) einen Meilenstein in der Philosophie setzte – Ende des 17. Jahrhunderts mehrmals in Wien gewesen –, kam Ende 1712 nach Wien, um Gespräche über eine Errichtung einer Akademie der Wissenschaften in Wien unter Patronanz des Kaisers, der ja so ein Institut gewiss befürwortete, aufzunehmen. Der Kaiser bekundete Interesse an der Arbeit Leibniz auf dem Gebiet der Geschichtsforschung, bot ihm die Benützung der kostbaren kaiserlichen Bibliothek an. Leibniz blieb bis August 1713 in der Residenzstadt, wohnte dort und hatte noch eine Behausung in Schwechat. Wohlmeinende Geister empfahlen ihm, sein eigenes Bett mitzubringen … Leibniz bemühte sich 1713 um den Posten des Kanzlers in Siebenbürgen. Der Kaiser zeigte sich nicht sonderlich kooperativ und lehnte das Bemühen Leibniz ab. Wohl vermutete Karl VI., dass der bemerkenswerte Wissenschaftler als lutherischer Intellektueller die Einwohnerschaft von Siebenbürgen – Bestandteil des kaiserlichen Banats – intellektuell gegen Wien aufstacheln könnte. Am 11. April 1713 stellte Karl VI. für Leibniz die Ernennungsurkunde zum Reichshofrat zurückwirkend bis 2. Januar 1712 aus. Erwähnenswert: Auch Prinz Eugen bekundete an so einer Akademie sein Interesse. Und da gab es noch andere Geschichten im Zusammenhang mit der geplanten Wissenschaftsakademie: Leibniz hatte den Kaiser vorgeschlagen den jüngeren Fischer von Erlach, Joseph Emanuel zum Mitglied bei der Gründung einer solchen Institution zu machen. Josef Emanuel Fischer von Erlach war nicht nur ein ausgezeichneter Architekt sondern auch ein tüchtiger Erbauer von Dampfmaschinen, die er nach Vorbildern in Großbritannien und Frankreich erbaut hatte. Das Geschäft mit diesen florierte. Solche Geräte wurden als Hilfswerkzeuge beim Bergbau, etwa in Ungarn damals eingesetzt. Der Wirkungsgrad war miserabel, reichte um Wasser abzupumpen. 1722 beeinträchtigte ein schwerer Wassereinbruch den Gold- und Silberabbau im Bergwerk Schemnitz. Eine nach dem britischen Vorbild durch Joseph Emanuel Fischer von Erlach erbaute Dampfmaschine half beim Auspumpen der Stollen. Im Garten des Wiener Palais Schwarzenberg stand ein Springbrunnen der mit so einer Dampfmaschine betrieben wurde (1722). Die Kosten dieses Maschinenwerks betrugen etwa 20.600 Gulden. Vorbild (für die Akademie) war die gleichfalls von Leibniz – und Kurfürstin Sophie Charlotte – in Berlin gegründete Wissenschaftsakademie. (1713 kam es zu einer Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Madrid, dank Philipp V. von Spanien.) Karl VI. empfing im März 1713 den Gelehrten persönlich, nahm dessen Denkschrift in Empfang und die Idee zur Kenntnis. Eine Realisierung der österreichischen Version wurde durch die Inkompetenz der Behörden, antikulturellen Ursachen, Intrigen und vorgeblichen Geldmangel, des neu ausgebrochenen Türkenkrieges sowie wegen des frühen Todes Leibniz 1716 unmöglich gemacht. Erst 1847 wird Kaiser Ferdinand I. einer solchen „Kaiserlichen Akademie“ Leben einhauchen. Anfang 1714 beauftragte Karl VI. den Gelehrten, der bereits für Leopold I. als Rechtwissenschaftler ein einfaches Gesetzeswerk erarbeitet hatte, mit der Abfassung einer wissenschaftlichen Schrift über die Notwendigkeit der Habsburgererbfolge in der Toskana. Leibniz traf abermals zu Ostern 1714 in Wien ein – nur trat er betonter im Intellektuellenkreis um Prinz Eugen auf. Der Universalwissenschaftler Leibniz besaß das Privileg genauso wie die bei Hofe verkehrenden Minister ohne umfangreiche Anmeldung zur Audienz bei Kaiser Karl VI. zu gelangen. Nebenbei sei erwähnt, dass die Gelehrtensprache im Barock das Latein galt. Seit Leibniz setzte sich das Französisch durch. Im nächsten Jahr erhob der Kaiser Leibniz in den Rang eines Reichshofrates (1712/1713) – übrigens die höchste Position für einen Protestanten in Deutschland und der Monarchia Austriaca. Diesen Rang ermöglichte der Kaiser dank der Vermittlung des Herzoges von Braunschweig- Lüneburg-Wolfenbüttel und in der Folge der überredungstüchtigen Kaiserin. Außerdem konnte der Kaiser aufgrund der Satzungen des Westfälischen Friedens protestantische Zeitgenossen mittels freier Religionswahl in Dienst nehmen, ohne dass der Papst Einspruch erheben durfte. Rückwirkend bis Anfang 1713 mit Jahresgehalt in Höhe von 2.000 Gulden – unwillig von seitens der Hofkammer – entlohnt wurde. Leibniz vertrat ein Zusammengehen von Protestanten und Katholiken, vergeblich. Es blieb bloß bei der Besinnung auf Duldsamkeit. Leibniz hoffte auf einen Posten bei Hof – aussichtslos. Noch vor seinem Tod wollte er nach Wien – nächst dem Kaiserhof – übersiedeln. Und das doch recht weit weg, von der Residenzstadt Wien – damals grassierte die Pest! –, natürlich in Schwechat, wo eine annehmbare Bleibe für Leibniz gefunden wurde. Allerdings riet ihm wohl ein Hofbeamter, er solle sich auch gleich ein eigenes angenehmes Bett mitnehmen. Niemand in der Kaiserresidenzstadt, weder Hofadel noch Karl VI. wagten eine Trauerbezeugung um das letzte größte Universalgenie der Neuzeit – seit Leonardo da Vinci -, Leibniz, abzugeben. Dessen engster Mitarbeiter Johann Georg Eccard (1674 – 1730), ein renommierter Historiker und Germanist, ein Lutheraner, der aus dem Braunschweigischen stammte, erhob der Kaiser 1721 in den Reichsadelsstand. Aus nicht restlos geklärten Ursachen floh dieser Ende 1723 von Hannover nach Köln, wo er konvertierte. Später nahm ihn der Bischof von Würzburg Franz Christoph von Hutter als Historiografen auf. Eccard schlug Berufungen nach Wien und Rom aus. Das sagt schon vieles über die Geisteskultur dieser Epoche aus.
Der Herrscher war sicherlich an den Neuerungen der im 18. Jahrhundert entstandenen Umwälzungen der Entdeckungen im Natur- und Geisteswissenschaften – vor allem im Zeitalter Leibniz' und Newtons – interessiert. Aber das gewiss auch nur solange diese nicht seine Existenz als Habsburger und Kaiser in Frage stellten.
Zeittafel
1646-1716 Gottfried Wilhelm Leibniz#
1658-1705 Kaiser Leopold I.1688 Gottfried Wilhelm Leibniz - deutscher Philosoph, Mathematiker, Jurist, Historiker und politischer Berater - wird in Wien von Kaiser Leopold I. gut aufgenommen - Während der Audienz erörterte Leibniz seine Pläne für eine Münzreform, zum Geld-, Handels- und Manufakturwesen; wie die Kriege gegen die Osmanen finanziell zu unterhalten sind; die Errichtung eines Reichsarchives usw. Der Kaiser schenkte ihm lediglich zustimmende Aufmerksamkeit
1690 Leibniz nochmals in Wien
1700 Anbetrachts der schwierigen Erbfolgefrage in Spanien verfasst Leibniz eine für die Habsburger günstige Denkschrift "Status Europae incipiente novo saeculo"
1701-14 Spanischer Erbfolgekrieg
1705-1711 Kaiser Joseph I.
1710 Leibniz veröffentlicht seine Betrachtung "Théodicée" (griech., »Gottesrechtfertigung«): "besten aller möglichen Welten"
1711-1740 Kaiser Karl VI.
1711 Ende Kaiser Karl VI. soll Leibniz in den Freiherrenstand erhoben haben
1712 Dezember – 1714 September Leibniz in Wien
1713 – 1719 Johann Lucas von Hildebrandt baut das Palais Daun (Kinsky) auf der Freyung in Wien als eines der bedeutendsten hochbarocken Palais Wiens
1713 Gründung der Akademie der Wissenschaften in Madrid
1713 Pestepidemie
1714 Leibniz veröffentlicht „Monadologie“
1714 8.644 Pesttote. Ein Zehntel der Wiener Bevölkerung
1714 März 07 Friede zu Rastatt
1714 – 1722 Johann Lucas von Hildebrandt baut für Prinz Eugen das Schloss Belvedere (Unteres und Oberes Belvedere) bei Wien-Wieden
1714 September 07 Friede zu Baden, Schweiz
1714 September – Oktober Reichstag in Pressburg
1714 September 14 König Philipp V. erobert Barcelona. Er schafft die unabhängigen katalanischen Institutionen ab und führt ein von Madrid aus geleitetes zentralistisches Regime ein
Benützte Quellen
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- 300 Jahre Karl VI. (1711–1740). Spuren der Herrschaft des "letzten" Habsburgers, hrsg. von der Generaldirektion des Österreichischen Staatsarchivs. Herausgeber: Stefan Seitschek – Herbert Hutterer – Gerald Theimer. Wien 2011 bzw. https://www.oesta.gv.at/documents/551235/1171794/300jahre-karl-vi.pdf/0779f804-1130-40c6-aa8a-d31c9ffb69f1
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- Hans SEDLMAYR, Johann Bernhard Fischer von Erlach. Grosse Meister, Epochen und Themen der österreichischen Kunst / Barock. 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage Wien 1976
- Hans SEDLMAYR, Johann Bernhard Fischer von Erlach. Mit einem Vorwort von Hermann BAUER. Wissenschaftliche Bearbeitung durch Giovanna CURCIO. Mailand 1996 / Stuttgart 1997
- Wienerisches Diarium
- Thomas ZACHARIAS, Joseph Emanuel Fischer von Erlach (Einleitung: Hans SEDLMAYR). Wien 1960 (Dampfmaschinen)
Siehe auch
- Leibniz, Gottfried Wilhelm/AEIOU
- Leibniz, Gottfried Wilhelm/Bilder und Videos/Historische Bilder (Porträt)
Karl VI. - Epoche
- Kaiser Karl VI. - Schirmherr des Glaubens am Anfang der Frühaufklärung im Barockzeitalter
- Karl VI./AEIOU
- Kaiser Karl VI/Wissenssammlungen/Essays/Geschichte (Friedrich Weissensteiner: Schwerblütige Majestät) (Essay)
- Kaiser Karl VI. und seine Kriegsmarine (Essay von Zentner E.)
- Maria Theresias barocker Vater Kaiser Karl VI. - Der bedeutungsloseste Kaiser im Schatten des Prinzen Eugen von Savoyen? (Essay von Zentner E.)
- Karl VI. - Krönung zum Kaiser - 1711 (Essay von Lanz E.)