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Industrielle Revolutionen#

(Ein kleiner Überblick)#

von Martin Krusche

Der Begriff Industrie 4.0 hat inzwischen breite Medienpräsenz, nützt uns aber wenig. Was ist denn damit gemeint? Dieser Containerbegriff aus einer PR-Abteilung der Deutschen Industriellenvereinigung kann derzeit so beliebig befüllt werden. Die Formulierung dient momentan vor allem als eine Art Signallämpchen, mit dem man deutlich macht: Ich habe zur Kenntnis genommen, daß es Zukunft gibt, wie immer sie auch aussehen mag.

Ist von der Vierten Industriellen Revolution die Rede, wird die Sache ein wenig deutlicher. Damit kann man sich auf drei vorangegangene Phänomene beziehen, die in der Rückschau ganz gut darstellbar sind. Aber der Reihe nach! Die Erste Industrielle Revolution lag noch im 18. Jahrhundert. Eine Spinnmaschine des James Hargreave, die „Spinning Jenny“ von 1767, brachte Unruhe in Englands Manufakturen. Bald waren auch völlig neue Webstühle im Einsatz und die Textilproduktion befand sich auf dem Weg Richtung Industrialisierung.

1862: Der Dampf-Bulle – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1862: Der Dampf-Bulle – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)

Eine etwas detaillierte Betrachtung der Entwicklungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert ist sehr aufschlußreich, um auch spätere Umwälzungen in Technologie und Wirtschaftsweisen kontrastreicher zu sehen. Am 4. April 1785 meldete Edmund Cartwright das britische Patent Nr. 1470 für eine Webmaschine (Power Loom) an. Dieser Maschinenwebstuhl setzte neue Standards. Sein produktiver Vorteil gegenüber der Handweberei belief sich auf 7,5:1, bei doppelter Bedienung 15:1. Heinrich Bortis (Universität Freiburg) in seinen Vorträgen zur Wirtschaftsgeschichte „Die Zahl der mechanischen Webstühle in Grossbritannien stieg rasant, was auch auf eine technische Revolution hindeutet: von 2400 um 1813 über 14150 im Jahre 1820 und 55500 um 1829 bis auf 250000 um 1850.“

Die deutsche Sprachregelung lautete übrigens erst einmal "Kunstweber-Stühle". Im Polytechnischen Journal Band 28 (1828) heißt es: "Nach dem Manchester Mercury im Mechanics' Magazine, N. 235. (23. Febr. 1828. S. 64.) beträgt die Anzahl der durch Wasser oder Dampf in England, Schottland und Ireland getriebenen Weber-Stühle, (der sogenannten Kunstweberstühle) 58,000."

Durch die Mechanisierung schnellte der Bedarf an Wolle hoch, Daher wurde in vielen Bereichen Großbritanniens Landwirtschaft von Ackerbau auf Schafzucht umgestellt. Für die Maschinisierung der Branche war freilich die Baumwolle der Schafwolle vorzuziehen. Heinrich Bortis: "Die Baumwolle eignete sich für die Mechanisierung viel besser als die Wolle. Baumwolle ist eine zähe und relativ homogene pflanzliche Faser währenddem die Wolle organisch ist und schwieriger mechanisch zu verarbeiten war. Die ersten Maschinen arbeiteten noch ruckartig..."

1826: Kunst Weberstuhl (Selbstwebende Maschine.) des Herren. Debergue, Mechaniker (ingeniéur-mécanicien, rue de l*arbalestre, N. 24.) – (Grafik: Polytechnisches Journal, Creative Commons)
1826: Kunst Weberstuhl (Selbstwebende Maschine.) des Herren. Debergue, Mechaniker (ingeniéur-mécanicien, rue de l*arbalestre, N. 24.) – (Grafik: Polytechnisches Journal, Creative Commons)
1849: Die combinirte Dampfmaschine (mit Chloroform- und Wasserdämpfen) von Du Trembley – (Grafik: Polytechnisches Journal, Creative Commons)
1849: Die combinirte Dampfmaschine (mit Chloroform- und Wasserdämpfen) von Du Trembley – (Grafik: Polytechnisches Journal, Creative Commons)
1890: Wright*s Spinnmaschine – (Grafik: Polytechnisches Journal, Creative Commons)
1890: Wright*s Spinnmaschine – (Grafik: Polytechnisches Journal, Creative Commons)

All das hatte enorme soziale Konsequenzen, nahm Einfluß auf Handelsbeziehungen, trieb den Hunger nach Rohstoffen und Antriebsenergie in die Höhe. Ulrich Menzel machte in "Imperium oder Hegemonie?" anschaulich, was Produktivitätssteigerung zu jener Zeit bedeutete. Er schreibt, bis 1800 sei in England mit der Handspindel gearbeitet worden, was pro Stunde rund 4,2 Gramm an Garn ergab. Mit dem Handrad gelang praktisch eine Verdoppelung der Produktion auf 8,1 Gramm pro Stunde.

1871: Horizontale Maschine von Powis & Co. – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1871: Horizontale Maschine von Powis & Co. – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)

Hargreaves "Jenny" drehte dann schon 16 Spindeln und produzierte in einer Stunde 24 Gramm Garn, was ein bis eineinhalb Arbeitskräfte band. Die "Mule-Jenny" schaffte einen Kategoriensprung. Sie bedurfte zum Antrieb eines Pferde-Göpels, brauchte dabei jedoch auch bloß ein bis eineinhalb Arbeitskräfte. Sie bewegte 216 Spindeln und lieferte pro Stunde 120 Gramm Garn. Der "Wagenspinner" von 1840 wurde mit Wasserkraft angetrieben, brauchte zwar rund 20 Arbeitskräfte, drehte aber tausend Spindeln und produzierte in der Stunde 360 Gramm Garn. Diese Details mögen einen Eindruck verschaffen, welche ungeheure Dynamik durch derlei Technologiesprünge entfacht wurde. Dieses Kräftespiel hat bis heute nicht geendet, die ständige Zunahme an Tempo mancher Entwicklungen ebensowenig.

Apropos Pferde-Göpel! 1835 lieferte das Polytechnische Journal einige „Ansichten verschiedener französischer Fabrikanten über den gegenwärtigen Zustand ihres Industriezweiges in Frankreich…“, die einen Eindruck vermitteln, wie zu jener Zeit die verschiedenen Kraftquellen kombiniert wurden und welche Relationen zwischen den verschiedenen Antriebsarten bestanden.

„Im J. 1810 bestanden 10 Pferdegöpel, die im J. 1814 auf 40 bis so angewachsen waren. Im J. 1816 ward die erste Dampfmaschine errichtet, und seither hat sich deren Zahl bis auf 50 vermehrt. Die zu Elbeuf bestandenen Pferdegetriebe gaben die Kraft von 100 Dampfpferden, d.h. von 200 lebenden Pferden. Die Dampfmaschinen hingegen, von denen man im Durchschnitte eine jede zu 15 Pferdekräften annehmen kann, entsprechen 750 Pferdekräften oder 1500 lebenden Pferden. Hieraus ergibt sich, daß sich die frühere Fabrikation zur gegenwärtigen wie 2 zu 15 oder wie 1 zu 7 verhält; und daß dieses Verhältniß ein noch größeres seyn würde, wenn ich alle die benachbarten Orte, welche sämmtlich für Elbeuf arbeiten, in Anschlag gebracht hätte.“

Wasserkraft und Feuer ließen in der Kombination völlig neue Ensembles zu. Diese vorerst stationäre Quelle von Antriebsenergie sollte bald um jene revolutionäre Entwicklung ergänzt werden, dank derer sich die Welt völlig veränderte. James Watt fand einige Konzepte von Dampfmaschinen vor, die noch nicht sonderlich praxistauglich waren. Frühe Konstruktionen hatten vor allem eine geringe Energieausbeute. So zum Beispiel die 1698er Feuermaschine von Thomas Savery. Oder die 1705er Dampfmaschine von Thomas Newcomen. Bortis: „Die Newcomen-Dampfmaschine arbeitete langsam, weil der Zylinder nach der Abkühlung durch das Wasser wieder erhitzt werden musste. Auch war wegen dieser Erhitzung die Nettoenergieproduktion relativ gering.“ Im Unterschied dazu bleibt der Arbeitszylinder bei Watts Konstruktion immer heiß, „weil er nicht mit dem kalten Wasser in direkte Berührung kommt. Dadurch wird sehr viel Energie eingespart.“

1899: Transportable Dampfmaschine von T. Wilkins (Lokomobil) – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1899: Transportable Dampfmaschine von T. Wilkins (Lokomobil) – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)

Ulrich Menzel faßt einen weiteren Schwerpunkt der Ersten Industriellen Revolution so zusammen: „1814 konstruierte George Stephenson mit seiner ‚Rocket’ die erste funktionsfähige Lokomotive. 1828 wurde mit der Strecke Stockton-Darlington die erste Eisenbahnverbindung in Betrieb genommen und 1829 mit der Strecke Manchester-Liverpool das neue Zentrum der Textilindustrie mit dem aufstrebenden und nach London zweitgrößten Hafen verbunden, der für den Kolonialhandel (z.B. Import von Baumwolle) zuständig war.“

Wie engagierte Menschen damals dachten, läßt sich sehr schön an einem österreichischen Beispiel veranschaulichen. Der Ingenieur Carl Ritter von Ghega (übrigens Sohn albanischer Eltern) war mit dem Errichten der Semmeringbahn von Gloggnitz bis Mürzzuschlag befaßt. Er bestimmte die Trassenführung auf eine Art, die zur Zeit des Bauvorhabens noch nicht hätte befahren werden können. Zu Beginn der Planung, 1844, war keine Lokomotive verfügbar, welche die gegebenen Steigungen ohne Zahnstangen oder Seilzüge hätte bewältigen können. Ghega ging davon aus, daß der technische Fortschritt ihm entgegenkommen werde. So geschah es auch.

Aber ich bin etwas zu schnell. Die von James Watt optimierten Dampfmaschinen machten nun Produktionsstätten von einem Standort an Flüssen oder Bächen unabhängig. Es wurden bald stationäre Anlagen in allen Größenordnungen angeboten. Findige Leute machten Dampfmaschinen dann beweglich, indem sie diese auf Räder stellten. Diese Lokomobile sehen für uns wie Kraftfahrzeuge aus, sind es aber nicht. Sie sind transportable Aggregate, die sogar auf Äcker geschafft wurden, um Pflüge zu ziehen.

Aus dem Aggregat wurde allerdings ein Motor, das Lokomobil wurde zu Fahrzeug, die Lokomotiven bewährten sich als Zugmaschinen auf Geleisen. Aber sie wurden auch im Fuhrgeschäft auf die Straßen gebracht, die solchem Einsatz freilich schlecht gewachsen waren.

Menzel faßt es so zusammen: „Die nahezu zeitgleiche Beseitigung der Engpässe bei Arbeitskräften, Brennstoffen und Antriebsenergie war das eigentlich Revolutionäre der Industriellen Revolution.“ Er betont dabei auch das Tempo der Entwicklung: „Revolutionär auch deshalb, weil der Vorgang nur wenige Jahrzehnte benötigte und mit den neuen Transportmöglichkeiten eine ungeahnte Beschleunigung aller Transaktionen verbunden war, die die Welt zusammenrücken ließen.“

Ohne nun noch weiter in Details zu gehen, sei die Entwicklung im Schiffsbau kurz erwähnt. Die Ablösung von Segeln durch Dampfmaschinen und die Umstellung von Holzbauweise auf Eisenschiffe haben Kriegs- und Handelsmarine gleichermaßen revolutioniert. Dabei sind Fernhandel, Seekrieg und Kolonialismus auf völlig neue Grundlagen gestellt worden, was wiederum die Wirtschaft Europas enorm befeuerte, so auch den technischen Fortschritt.

Damit ist angedeutet, daß der Nutzen einer Seite unter solchen Kräftespielen sehr leicht zum Schaden einer anderen Seite werden kann. Die Ausbeutung anderer Völker durch hochtechnisierte europäische Länder ist eine atemberaubende Geschichte für sich, voller Zynismus und Menschverachtung. Aber es traf schließlich auch die eigenen Leute.

1858: Cousins Patent-Dampfpflug – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1858: Cousins Patent-Dampfpflug – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1868: Thompson*s Road Sreamer für den Straßeneinsatz– (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1868: Thompson*s Road Sreamer für den Straßeneinsatz– (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1868: Great Northern Railway Express Engine von John Fowler & Co. für den Schieneneinsatz – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)
1868: Great Northern Railway Express Engine von John Fowler & Co. für den Schieneneinsatz – (Grafik: The Mechanic’s Magazine)

Waffentechnik und Kriegsmaschinerie sind nur ein Aspekt dieser Geschichte, der dann im Großen Krieg (1914-1918) alles übertraf, was jemand befürchten konnte. Selbst Berufsoffiziere hatten keine angemessene Vorstellung, was auf die Mannschaften, aber auch auf die Zivilbevölkerung seitens der Technik zukam. Der Schrecken und die Traumata durch die Kampfmaschinierie jener Jahre sind bis in die Gegenwart nicht verklungen.

Eine andere Schattenseite kennzeichnet die Zweite Industrielle Revolution, von der man sprechen kann, wenn man die ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts betrachtet. Automatisierung und Massenfertigung machten die Menschen zu Anhängseln der Maschinen. Der Amerikaner Frederick Winslow Taylor entwickelte Ideen zu einer Prozeß-Steuerung von Arbeitsabläufen, die er als eine Art wissenschaftliches Management verstand. Es ging darum, Abläufe zu optimieren und die Produktivität eines Betriebes zu erhöhen. Taylorismus wird in kritischen Betrachtungen vor allem damit assoziiert, daß Menschen unter Zeitdruck monotone Arbeiten verrichten, quasi als Sklaven der Maschinen.

Diese Monotonie im Arbeitsalltag der „Blue Collar Workers“ verschwindet bei uns zwar zunehmend, wandert teilweise in Niedriglohn-Länder ab, ist aber immer noch Teil etlicher Branchen. Fritz Lang hat das 1927 ziemlich bedrückend im Film Metropolis gezeigt. Charlie Chaplin stellte es 1936 sehr unterhaltsam und eindringlich im Film Moderne Zeiten" dar.

Ebenso deutlich wurde Upton Sinclair 1948 mit seinem Roman „Am Fliessband. Mr. Ford und sein Knecht Shutt“. Sinclair hatte schon 1906 mit seinem Roman „Der Dschungel“ Recherchen in Schlachthöfen von Chicago aufgearbeitet und damit in den USA heftige Reaktionen auf vielen Ebenen ausgelöst.

1937: Upton Sinclairs Roman zum „Fordismus“ – (Foto: Marin Krusche)
1937: Upton Sinclairs Roman zum „Fordismus“ – (Foto: Marin Krusche)

Es waren diese Schlachthöfe von Chicago, in denen die Entwicklung der Fließbandarbeit optimiert wurde. Daraus bezogen andere Industriezweige Anregungen. So eben auch die Automobilindustrie, wo Henry Ford das als erster Unternehmer in großem Stil aufzog, weshalb das Produktionsmodell rund um diese Fertigungsmethode bis heute „Fordismus“ genannt wird.

In der Steiermark kann man die Vorboten dieser Entwicklung heute noch sehen, wenn man etwa das Johann Puch-Museum in Graz besucht, das auf dem Terrain des einstigen Stammwerkes von Altmeister Johann Puch eingerichtet ist. Mehr noch, es wurde in der letzten noch authentischen Halle aus den Tagen des Industriellen untergebracht.

Diese Halle war ursprünglich fast doppelt so lang und wurde gebaut, um die damals neuen Automaten und Halbautomaten unterzubringen, Maschinen, mit denen eine Serienfertigung von Komponenten möglich wurde, etwa Wellen und Zahnräder.

„Wenn man in die Säle kommt, wo die Arbeitsmaschinen aufgestellt sind“, hatte man es seinerzeit bei den Puch Motorrädern schon mit einer „Weltmarke“ zu tun. Die Allgemeine Automobil-Zeitung berichtet noch im Jahr 1905 über das Werk als ein Ensemble quasi einzelner Werkstätten. Schlosserei, Fräserei, Löterei, Schmiede als „die weitläufigen Räume einer großem Motorzweiradfabrik“. Das waren gewissermaßen mehrere Manufakturen, auf einem Terrain zur Fabrik zusammengefaßt.

Dazu anno 1905: „Die Lage der Puchschen Realität ist insoferne günstig gewählt, als die umliegenden Gründe genügend Platz zur weiteren Ausdehnung der Fabrik boten.“ Dann das interessante Detail: „Obwohl im wesentlichen ein altes Werk, ist die Fabrik doch außerordentlich modern eingerichtet. Dampf- und Wasserkraft treiben vereint unzählige der verschiedenartigsten Werkzeugmaschinen an.“

1905: Die Fräserei der Puchwerke, bevor die Zweite Industrielle Revolution einen völligen Umbau der Anlagen erzwang – (Foto: Allgemeine Automobil-Zeitung)
1905: Die Fräserei der Puchwerke, bevor die Zweite Industrielle Revolution einen völligen Umbau der Anlagen erzwang – (Foto: Allgemeine Automobil-Zeitung)

Im Jahr 1913 berichtete das Blatt über eine „Neue, wesentliche Vergrößerung der Fabrik“. Damit begann sich die Zweite Industrielle Revolution deutlich zu zeigen. Es gab in Graz zwar noch längst keine Fließbänder, aber die neue Organisation und die gesamte Anordnung der Produktion, gestützt auf neue Maschinen, ging erkennbar in diese Richtung.

Über die Vollendung einer große Montagehalle hatte man davor berichten können, „und wir deuteten auch damals schon an, daß eine zweite, gleich große Halle bereits projektiert sei. Nun ist auch diese Halle fertig geworden“.

Es wird erkennbar, daß die im Jahr 1905 erwähnte Säle nun nachrangig sind: „Und je lebhafter es in den beiden neuen Hallen wird, desto stiller wird es in den Räumen, wo ehemals die Werkzeugmaschinen schnurrten.“ Doch nicht nur die Bautätigkeiten gaben Anlaß „zu konstatieren, auch die Fabrikationsprinzipien haben einer moderneren Richtung Platz machen müssen.“ Das Ingenieurswesen hatte sich als Maschinenwissenschaft in der Fachwelt emanzipiert und Gabelung der Wege deutlich gemacht. Nun standen den Handwerkern Akademiker gegenüber und altes Wissen wurde quasi zunehmend aus den Werkstätten in Büros übertragen.

Man stellte fest, daß bisher das Automobil nicht von Wissenschaftern entwickelt worden sei, sondern „der Mann der Praxis hat das Automobil geschaffen“. Diese Zeit sei aber vorbei, nun würde es um so wichtiger werden, „die Fabrikation auch nach den allgemeinen Gesichtspunkten der Maschinenbautechnik zu regeln, rationelle Serienarbeit, Messungen auf Grund von Toleranzlehren und so weiter wurden eingeführt“, hieß es in der Allgemeinen Automobil-Zeitung.

Die neuen, langen Hallen erlaubten eine Anordnung der Fabrikationsschritte gemäß einem Ablaufschema. Es wurden schon unterwegs Qualitätsprüfungen vorgenommen, um ein besseres Endprodukt zu erlangen. Zahllose „wunderbar exakt arbeitende Werkzeugmaschinen“ setzten um, was aus dem „Konstruktionsbureau“ kam, in dem „eine Reihe von jungen Technikern an den Reissbrettern“ arbeitete.

Anschaulicher läßt sich kaum darstellen, was den Umbruch zur Zweiten Industriellen Revolution ausgemacht hat. Dazu noch ein Zitat aus der Juli-Ausgabe des Jahres 2013: „Es darf nichts früher fabriziert werden, was nicht von dem technischen Bureau der Puch-Werke vorher auf dem Papier durchgerechnet worden ist. Es gibt daher auch keine Teile, die ohne Zeichnung und ohne ausführliche Beschreibung des Konstruktionsbureaus gemacht werden. Daß das die Genauigkeit der Fabrikation wesentlich fördert, ist wohl ohneweiteres klar.“

1913: Die Automatisierung der Produktionsprozesse in den Puchwerken durch neue Maschinen in neuen Hallen – (Foto: Allgemeine Automobil-Zeitung)
1913: Die Automatisierung der Produktionsprozesse in den Puchwerken durch neue Maschinen in neuen Hallen – (Foto: Allgemeine Automobil-Zeitung)
Wo Johann Puch noch persönlich tätig war, ist heute ein Museum eingerichtet – (Foto: Marin Krusche)
Wo Johann Puch noch persönlich tätig war, ist heute ein Museum eingerichtet – (Foto: Marin Krusche)
Die letzte original erhalten Halle aus den Tagen von Altmeister Johann Puch – (Foto: Marin Krusche)
Die letzte original erhalten Halle aus den Tagen von Altmeister Johann Puch – (Foto: Marin Krusche)

Was dem als Dritte Industrielle Revolution folgte, ist mit dem Begriff Digitalisierung markiert. Im sogenannten Computerzeitalter ereignete sich der Umbruch von konkreten zu abstrakten Maschinen. Damit ist gemeint, daß einst einmal Maschinen meist durch ihre Form, durch ihr Aussehen gezeigt haben, was sie tun. Ihre Erscheinung war von ihren Funktionen geprägt. Computergestützte Systeme haben dann einen ganz anderen Maschinentyp eingeführt, der vielfach erst durch eine bestimmte Programmierung mit bestimmten Funktionen ausgestattet wird, was man aber dem Apparat nicht ansehen kann.

Das läßt sich im Medienbereich sehr gut veranschaulichen. Das Verarbeiten von Texten, Bildern und Tönen verlangte ursprünglich nach ganz verschiedenen Maschinentypen, deren mechanische Elemente grundverschiedene Arbeiten zu leisten haben. Seit aber Texte, Bilder und Töne durch den Binärcode digitalisiert werden können, also mit dem gleichen Codesystem verarbeitet und über das gleiche Rechenwerk in verschiedenen Komponenten (Ausgabegeräte) wiedergegeben werden können, hat sich über derlei Konvergenzen unsere Info-Sphäre völlig verändert. Das heißt, unsere informationelle Umwelt wurde revolutioniert. So natürlich auch ihre Maschinerie. Text- und Bildverarbeitung, Fotografie, Sprache und Musik waren einst durch eine kontrastreiche Geräte-Sammlung zu handhaben, deren Funktionen man im Anblick erkennen kann. Heute finden Sie das zum Beispiel in einem einzelnen Smartphone vereint.

Die Digitale Revolution hat sich im Leben jener ereignet, die in Verhältnissen der Zweiten Industriellen Revolution aufgewachsen sind. Sie finden eine detailreiche Darstellung dieser Entwicklung im Austria-Forum. Die Textsammlung zum Thema Änderungen durch IT Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in meinem Berufsumfeld: Persönliche Berichte. wurde teilweise von Pionieren und auf jeden Fall von frühen Akteuren dieser Revolution verfaßt. Ein umfangreiche Sammlung authentischer Berichte aus wesentlichen Abschnitten dieser Digitalen Revolution, weshalb ich hier nicht näher darauf eingehe.

Was nun die Vierte Industrielle Revolution betrifft, ist vieles noch offen, ungeklärt. Es laßt sich auf jeden Fall sagen, daß wir atemberaubende Sprünge erleben, in denen Maschinen immer mehr von dem können, was bisher nur Menschen zustandegebracht haben. Systeme werden immer schlauer. Selbstlernende Gerätschaften legen in verblüffendem Tempo an Kompetenzen zu.

Richard Mayr erläutert den Logistik-Roboter in der Stadtapotheke Gleisdorf – (Foto: Marin Krusche)
Richard Mayr erläutert den Logistik-Roboter in der Stadtapotheke Gleisdorf – (Foto: Marin Krusche)
Mini-Förderband und EDV: der Eingabebereich für die Ware – (Foto: Marin Krusche)
Mini-Förderband und EDV: der Eingabebereich für die Ware – (Foto: Marin Krusche)
Damit ist diese Technologie in der Mitte der Gesellschaft und im Alltag angekommen – (Foto: Marin Krusche)
Damit ist diese Technologie in der Mitte der Gesellschaft und im Alltag angekommen – (Foto: Marin Krusche)

Der Dienstleistungssektor bringt immer mehr Beispiele hervor, in denen wir bisher Menschen gegenüberstanden. Das Bankenwesen, Bereiche der Juristerei, Teile medizinischer Diagnosen, wir finden das derzeit gerne beunruhigend. Dabei haben wir uns längst in Assistenzsysteme einbetten lassen. Sie fallen uns teilweise gar nicht mehr auf. Dazu kommen neuerdings verschiedene Anwendungen im Bereich Social Media, dank derer Menschen heute rund um die Uhr miteinander vernetzt werden, wie das zum Beispiel WhatsApp tut; mit teilweise höchst bedenklichen Konsequenzen.

High Tech wird auch immer wieder zu einer Art Prothetik, durch die wir Dinge tun, die wir ohne solche Technologie nicht schaffen würden. Um ein schillerndes Beispiel zu nennen: Wie viele Menschen, die sich beim Autofahren einiges zutrauen, könnten tatsächlich einen zweieinhalb Tonnen schweren, 500 PS starken Porsche Cayenne ganz ohne EDV-gestützte Assistenzsysteme verläßlich auf der Straße halten, ohne gröbere Schäden zu verursachen?

Ich versichere Ihnen, der Kreis kompetenter Leute bliebe überschaubar. Die meisten Leute würden sich schon mit zarten 150 PS über einen Heckantrieb in die Reihe der gefährdeten Arten stellen. Derweil ergibt zum Beispiel das Thema Autonomes Fahren die schönsten Streitereien, als wären wir alle noch die Herrinnen und Herren unserer Autos, stolz und unabhängig, ganz auf die eigenen Kompetenzen gestützt.

Gegenwart: Moderne Fertigungsstraße für den Puch G, Werk Thondorf von Magna Steyr, vormals Steyr-Daimler-Puch AG – (Foto: Johann Puch Museum Graz)
Gegenwart: Moderne Fertigungsstraße für den Puch G, Werk Thondorf von Magna Steyr, vormals Steyr-Daimler-Puch AG – (Foto: Johann Puch Museum Graz)

Die neuen Systeme sind freilich längst da, vielfach so implementiert, daß die breite Bevölkerung sich mangels deutlicher Wahrnehmung nicht näher damit befaßt. Einmal mehr zeigt sich, daß persönlicher Komfort den Verzicht auf Selbstbestimmung versüßt. Das zeigt sich auch in politischen Zusammenhängen. Haben Sie etwa 2017 bei der Bundespräsidentenwahl und bei der darauf folgenden Nationalratswahl etwas vom Ende der Massenbeschäftigung gehört? Ich nicht. Dabei kommt das rasant auf uns zu; eben durch diese Vierte Industrielle Revolution und die sprunghaft ansteigenden Leistungsfähigkeit neuer Maschinen.

Wir sollten also schleunigst klären, welche soziokulturellen und politischen Konzepte uns plausibel erscheinen, um das Verhältnis zwischen Arbeit und Broterwerb neu zu definieren. Fraglos haben wir in menschlicher Gemeinschaft genug zu tun. Es muß niemandem langweilig werden, wenn uns Maschinen mehr und mehr an Arbeit abnehmen, die ohnehin niemand rasend gerne macht. Wir werden hinnehmen müssen, daß die neuen Systeme auch Tätigkeiten übernehmen, die wir gerne tun. Wird es dann genug bezahlte Arbeit für alle geben? Und falls nein, darf sich dann unser Arbeitsbegriff verändern?

Daß Maschinenstürmerei die Situation nicht rettet und die Probleme nicht löst, hat Europa schon im Angehen der Ersten Industriellen Revolution erfahren. Es empfiehlt sich vermutlich, einerseits den Stand der Technologie genauer kennenzulernen, um Klarheit zu finden, welche Arbeiten von den Unternehmen in den kommenden Jahrzehnten Maschinensystemen anvertraut werden. Wir wären töricht, wollten wir mit Maschinen in dem konkurrieren, was sie besser können als wir. Klären wir statt dessen, was uns Menschen gegenüber den Maschinen ausmacht, was wir – um der Menschen Willen -- besser können und wovon eine zeitgemäße Koexistenz von Mensch und Maschine handeln möge.

Fußnote: Die Grafiken aus "Allgemeine Automobil-Zeitung" und "The Mechanic’s Magazine" stammen aus Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek.


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