Laster und Tugenden#
Um das Jahr 50 stellte der Apostel Paulus im Galaterbrief (Gal 5, 19-26) die "Werke des Fleisches" (Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiiungen, Neid und Mißgunst, Trink- und Eßgelage und ähnliches mehr) der "Frucht des Geistes" (Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung) gegenüber. Manche Laster bestehen in der Übertreibung der Tugenden, wie Besitzlosgkeit - Geiz, Geduld - Trägheit .Der Mönch und Asket Evagrius Ponticus (ca. 345–388) begründete die Lasterlehre, die der Abt Johannes Cassianus (360–433) im Westen des Römischen Reiches verbreitete. Sie unterschieden acht Gegensatzpaare:
• Gula (Völlerei, Fresssucht) - Enthaltsamkeit
• Libido, Luxuria (Unzucht) - Keuschheit
• Avaritia (Geiz, Habgier, Geldgier) - Besitzlosigkeit
• Ira (Zorn) - Langmut
• Tristitia (Trübsinn) - Freude
• Desidia, Acedia (Trägheit, Überdruss) - Geduld
• Inanis (vana) gloria (Ruhmsucht) - Bescheidenheit
• Hyperphanía, Superbia (Hochmut, Stolz) - Demut
Papst Gregor der Große (540–604) nannte den Hochmut (Superbia) als "giftige" Wurzel aller Sünden, aus der die sieben Hauptlaster (Principalia vitia) entstehen, nämlich: eitle Ruhmsucht (Inanis gloria), Neid (Invidia), Zorn (Ira), Traurigkeit (Tristitia), Habsucht / Geiz (Avaritia), Gefräßigkeit / Völlerei (Ventris ingluvies), Unzucht (Luxuria).
Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1226–1274) formulierte: „Diese Laster heißen Hauptlaster, weil aus ihnen häufiger andere entstehen.“ Er nennt zwei (gegensätzliche) Beweggründe: Übermaß (Superabundantia) und Versagen und zitiert den griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.): "Aristoteles sagt, die einzelnen Laster seien Sünde, indem 'mehr als nötig' und 'unnötig' gehandelt wird". Daraus ergibt sich: "Das Böse ist nichts anderes als Mangel an Gutem." Die klassische christliche Tugend-Liste des Thomas von Aquin (Summa theologica II) umfasst drei theologische Tugenden (Glaube, Hoffnung, Liebe) und die vier Kardinaltugenden (Klugheit, Gerechtigkeit, Starkmut / Tapferkeit, Mäßigkeit).
Die heute übliche Reihenfolge der sieben Hauptsünden (früher "Todsünden") lautet: Hoffart, Geiz, Unkeuschheit, Neid, Unmäßigkeit, Zorn und Trägheit. Als Allegorien spielten sie in gegenreformatorischen Schauspielen und, davon abgeleitet, in Passions- und anderen Volksschauspielen eine Rolle. Beim spätbarocken Hernalser Kalvarienberg (Wien 17) führt der Weg zur Kreuzigungsgruppe an zwei mal sieben großen Reliefs der Laster und Tugenden vorbei. Als Tugenden sind Sanftmut, Freigiebigkeit, Keuschheit, Demut, Mäßigkeit, Eifer und Liebe dargestellt. Tiere symbolisieren die Hauptsünden.
Quellen:
Die Bibel. Einheitsübersetzung. Stuttgart 1980
Alfred J. Ellinger: Das Bilderbuch vom Hernalser Kalvarienberg. Wien o.J.
Rudolf Pacik: Sünde - zu viel des Guten ? Referat beim Syposion "Die Künste zwischen Tugend und Sünde", Salzburg 2008
Leopold Schmidt: Das deutsche Volksschauspiel. Berlin 1954. S. 48 f.
Bild:
Hernalser Kalvarienberg, "Eifer". Foto: Helga Maria Wolf, um 2000