Wanderhändler, Tiroler#
In Tirol stellten die Hausierer drei Jahrhunderte hindurch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Sie versorgten die Bewohner abgelegener Gebiete mit Waren, die für jene sonst unerreichbar geblieben wären. Als "Draufgabe" erfuhren sie von den weit Gereisten Neuigkeiten aus der Fremde. Manchmal waren die umherziehenden Krämer besser sortiert und billiger als die ansässigen. Diese hetzten bei der Obrigkeit gegen die unliebsame Konkurrenz. Verbote und Beschränkungen blieben nicht aus - aber meist wirkungslos. Die Kritik an den Buckelkrämern ist so alt wie ihre Profession.
Bei den Tirolern waren es vor allem die Defregger, Stubai- und Lechtaler, Grödner (um 1600), Imster (um 1655), Zillertaler (1685), Fersentaler und Val Tesiner (18. Jahrhundert). Männer aus der klein- und unterbäuerlichen Schicht begaben sich als Erste auf saisonale Wanderungen mit Waren aller Art. Oft mussten Frauen und Kinder die kleine Landwirtschaft daheim versorgen. Karger Boden, wachsende Bevölkerung, Besitzzersplitterung im Realteilungsgebiet, Rückgang des Bergbaus, Inflation und Konjunkturflauten zwangen die Tiroler, sich einen (Neben-) Erwerb zu suchen. Sie begannen mit in Heimarbeit erzeugten Artikeln und erkannten bald, dass der Handel mit Fremderzeugnissen profitabler war.
Typische Artikel waren für die Defregger Teppiche (Decken), bei den Zillertalern "Olitäten" (Arzneimittel) und Handschuhe. Die Grödner handelten mit geschnitzten Figuren, Spielwaren und geklöppelten Spitzen, die Imster betrieben Vogelfang und handelten mit Kanarienvögeln, die Val Tesiner und Fersentaler mit Bildern. Doch versuchte jeder, ein möglichst breites Sortiment anzubieten. 1838 waren Baumwollartikel die umsatzstärkste Ware im Hausierhandel, auch Glas, Geschirr, Holzspielzeug, Lebensmittel wie Butter und Käse, Brot, Wurst, Obst und Südfrüchte, Branntwein, Schachtelhalm zum Reinigen des Zinngeschirrs, optische und physikalische Instrumente, Gipsfiguren, Parfüm, Eisenwaren, Handschuhe aus Ziegenleder und kosmetische Artikel wurden von Haus zu Haus verkauft.
1852 erhielten die Bewohner des Grödner Tales das Privileg, mit Spielzeug Wanderhandel zu betreiben. Die Massenproduktion erfolgte in Heimarbeit durch Schnitzer, Anstreicher (die Spielzeug bemalten) und Fassmaler (die Heiligenfiguren farbig fassten). Das im 19. Jahrhundert ausgeprägte Verlagssystem führte zu Abhängigkeiten der Erzeuger von den Verlegern. Es bestand weder eine Partnerschaft unter Kaufleuten, noch ein gewerberechtliches Dienstverhältnis. Verträge wurden nur für einige Wochen abgeschlossen. Die Schnitzer mussten die Ware anbieten und wurden oft in Naturalien entlohnt. Das bedeutete, dass sie ihre Waren gegen Produkte tauschten, die der Verleger in seinem eigenen Kramladen verkaufte. Die Gewinnspanne der Verleger lag bei 100 % bis 150 %. Viele von ihnen waren auch als Geldverleiher tätig.
Verkäufer alltäglicher Bedarfsartikel mussten sich mit jährlich 30 Gulden zufrieden geben. Dieses bescheidene Einkommen erreichten sie nur durch sparsames Leben während der Geschäftsreise und mithelfende Familienangehörige. Wer hingegen Manufakturwaren, feine Textilien, Schmuck oder Gewürze anbot, konnte reich werden. Prächtige Häuser in Lechtaler Dörfern geben Zeugnis vom erworbenen Wohlstand. Tracht und Dialekt, gespielte Grobheit oder Naivität dienten als Markenzeichen der Tiroler. Manche traten in Phantasietrachten vor Regenten als "Salonjodler" und "Volkssänger" auf. Über die Interpreten der Tiroler Volkslieder hieß es: „Alle Welt wollte Original-Tiroler sehen. (…) Ein Ururgroßahn hatte erzählt, wie merkwürdig so eine Fahrt nach Petersburg, bei der er an die Zarin die bunten Teppich-Decken verkaufte, gewesen ist (...) Man mußte sich recht fromm und dabei treuherzig und vertraulich geben, dann wurde einem die Ware zu hohen Preisen abgekauft.“
Quellen:
Robert Büchner: Tiroler Wanderhändler. Innsbruck, Wien 2011
Martina Demetz: Hausierhandel … im Grödnertal. Innsbruck 1987. S. 96-115
Franz C. Lipp, Elisabeth Längle, Gexi Tostmann, Franz Hubmann (Hg.): Tracht in Österreich. Wien 1984. S. 235 f.
Wilfried Reininghaus: Wanderhandel in Europa. Dortmund 1993. S. 34
Bild:
Tiroler Teppichhändler aus dem Brand'schen Kaufruf, Wien 1775. Gemeinfrei