Er war der Vater der neuen Kriminologie #
Der Grazer Jurist Hans Gross entwickelte völlig neue Untersuchungsmethoden der Verbrechensaufklärung, die ihn weltberühmt machten.#
Von Robert Engele mit freundlicher Genehmigung der Kleinen Zeitung
Wenn man durch die Radetzkystraße geht und bei der Konditorei Deutsch in die Keesgasse abbiegt, hängt an der Wand des Eckhauses eine Erinnerungstafel an Hans Gross. Hier am Kleinen Glacis Nr. 6, wie die Straße einst hieß, wurde am 26. Dezember 1847 Johann Baptist Gustav Gross geboren. Er studierte in Graz Rechtswissenschaften mit „eher unterdurchschnittlichem Erfolg“. 1876 heiratete er Adele Raymann, 1877 wurde Sohn Otto geboren, der später Psychiater und der größte Widersacher seines Vaters wurde.
Revolutionäre Ideen#
Als Untersuchungsrichter missbilligte Gross die Methoden der Verbrechensaufklärung, die sich viel zu sehr auf Zeugenaussagen stützten. Er hingegen trat für die materielle Beweissicherung und Spurensuche am Tatort ein – ähnlich wie der Romanheld Sherlock Holmes. Denn ein Zeuge kann sich irren, täuschen oder etwas übersehen, meinte Gross. Deshalb könne von einer unbeeinflussten Zeugenaussage nur selten gesprochen werden, schildert Christian Bachhiesl bei der Führung durchs Hans- Gross-Kriminalmuseum.
Aus seiner langen Erfahrung war Hans Gross überzeugt, dass ein Untersuchungsrichter für seine Tätigkeit mehr brauche, als er auf der Universität lernt. Daher veröffentlichte er 1893 das „Handbuch für Untersuchungsrichter“ und präsentierte darin einen „Tatortkoffer“, der alles enthielt, was zur zeitgemäßen Untersuchung benötigt wurde: Schreibmaterial, Lupe, Messgeräte, Schrittzähler, Pinzette, Kompass, sogar Kreuz und Kerzen – um Zeugen sofort ihre Aussage beschwören zu lassen. Aber auch Zuckerln, um scheue Kinder zur Zusammenarbeit zu bewegen. Das Handbuch stellte eine kriminalistische Revolution dar und wurde in fast alle Kultursprachen übersetzt. 1898 gab Gross seine „Kriminalpsychologie“ heraus, in der er sich mit der Erforschung der Täterpersönlichkeit befasste. Profiling anno dazumal sozusagen. Seine bahnbrechenden Methoden der Verbrechensaufklärung wurden auf der ganzen Welt übernommen, sogar das FBI arbeitete danach.
Chancenlos in Graz#
In Graz jedoch machte sich Gross viele Feinde mit seiner Kritik an der zu theoretischen Ausbildung der Juristen. Obwohl seine Argumente überzeugend waren: „Was würde man sagen, wenn man einen Arzt heranbildet und auf die Menschheit loslassen würde, ohne ihm einen Kranken, das Innere eines Menschen gezeigt zu haben.“ Rache war ihm sicher. Als Gross 1893 mit seinem „Handbuch für Untersuchungsrichter“ eine Habilitation an der Juristischen Fakultät der Grazer Uni anstrebte, wurde er abgelehnt.
In Graz abgeblitzt, wurde Gross 1898 an die Universität Czernowitz (heute Ukraine) berufen. Vier Jahre später wurde er als Professor an die deutsche Universität in Prag geholt, wo auch Franz Kafka als Student seine Vorlesungen besuchte. Schließlich kam doch die große Genugtuung: 1905 wurde Gross als Ordinarius für Strafrecht an die Universität seiner Heimat berufen. Und sieben Jahre später ging sein großer Traum in Erfüllung – 1912 wurde das „k. k. Kriminalistische Institut“ als weltweit erstes Institut dieser Art in Graz eröffnet. Jetzt wurde auch das von Gross installierte Kriminalmuseum als Lehrmittelsammlung für angehende Juristen dem Institut angegliedert.
Die Lehre von Hans Gross wurde als die „Grazer kriminologische Schule“ weltbekannt. Aber sein Institut war stiefmütterlich im Keller des Uni-Hauptgebäudes untergebracht. Der Zustand der Räume war desolat, die Temperaturen stiegen auch im Sommer nie über zehn Grad. Gross musste den Betrieb in seiner Privatwohnung weiterführen. Doch als Folge der Kälte starb Gross am 9. Dezember 1915 überraschend an einer Lungenentzündung.
Seine Sammlung verstaubte langsam im Universitätskeller, Hans Gross geriet in Vergessenheit und sein bahnbrechendes Werk wurde von der modernen Technik überholt. Bis 1992 eine chinesische Delegation die Grazer Uni besuchte, berichtet der damalige Dekan Gernot Kocher. Die erste Frage des Delegationsleiters galt – Hans Gross. Damit wurde eine kleine Renaissance eingeleitet. 2003 wurde das kleine, aber feine „Hans Gross- Kriminalmuseum“ im Keller der Universität eingerichtet, voller Geschichten, Tatwaffen, Schädeldecken von Opfern, Einbruchswerkzeugen und anderen Corpora Delicti der Vergangenheit.
Hauptgebäude Uni Graz, Kellergeschoß
Montag 10 bis 15 Uhr
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