Damals im Weinviertel #
Das größte Freilichtmuseum Niederösterreichs steht in Niedersulz, das lebendigste sowieso. Und bisweilen wird das Dorf noch umtriebiger. #
Von
Martin Strubreiter | Fotos: Nadja Meister
Aus der Zeitschrift morgen 4/2016
Zum Beispiel am Waschtag. Was heute auf einer Nebenschiene der Tagesplanung ganz gut dahinläuft (da reden wir jetzt nicht vom Bügeln, das ist wieder eine andere Geschichte), wirkte einst aufs gesamte Familiengefüge: Die Frauen waren mit dem Waschtag wirklich den ganzen Tag beschäftigt und die Männer oft ein bisserl grantig, weil die Arbeitskraft der Frauen am Feld fehlte. Das Ausufern der Waschtage lag einerseits an der schieren Menge der Wäsche, denn in vier bis sechs Wochen kam ein stattlicher Haufen zusammen, auch wenn die Wäsche längst nicht so oft gewechselt wurde wie heute. Und es lag auch an den Geräten vor der Erfindung der Waschmaschine – stattdessen gab’s einen Kessel, in dem per Feuer das Warmwasser bereitet wurde, es gab Tröge und Waschrumpeln, und statt Waschmittel (Persil, als erstes, wurde erst 1907 erfunden) verwendete man Soda. Oder Aschenlauge, die schon tags davor aus Asche und Warmwasser angesetzt wurde. Oder Seife, die man sich aus alten Fettresten herstellen ließ.
Das Wäschewaschen per Waschrumpel war Schwerarbeit, und das Auswinden großer Wäschestücke gelang nur zu zweit. Während die Wäsche im Sommer flugs im Garten trocknete, hing sie winters am Dachboden. Was nicht flink trocknen wollte, war dann gefroren.
Man ahnt spätestens hier, dass das Bild mit der „guten alten Zeit“ nur aus der gesicherten Position der Gegenwart heraus funktioniert, und wer daran zweifelt, kann im Museumsdorf Niedersulz einfach einen Waschtag ausprobieren. Der wird zwar eher für die Kinder veranstaltet, aber auch Erwachsene werden nicht von der Waschrumpel gewiesen, sondern mit kundigen Anleitungen versorgt – zum Beispiel von Mag. Marianne Messerer, einer der Ehrenamtlichen, die von damals erzählen. Da „damals“ im Museumsdorf Niedersulz hauptsächlich das 19. Jahrhundert ist, hat Marianne Messerer nach ihrer ersten, spontan gehaltenen, sie selbst aber nicht lückenlos zufriedenstellenden Museumsführung ehrgeizige Konsequenzen gezogen: „Ich hab Geschichte studiert, in sechs Jahren war ich fertig.“
Seit 15 Jahren ist sie jetzt hier, diese Treue wird auch von den anderen Ehrenamtlichen gepflegt, die als Kulturvermittler ihr Wissen weiterreichen, die als Handwerker zeigen, wie die Hufschmiede arbeiteten, wie die Sattler oder Lehrerinnen, die den Alltag längst versunkener Zeiten ausbreiten, dabei aber erfrischend modern das Wissen vermitteln: Statt streng durchgetakteter Führungen stehen die Ehrenamtlichen an bestimmten Tagen in den Häusern, und wer bei der Tür hereinkommt, darf sie in Dialoge verwickeln.
Das Dorf mit Leben zu erfüllen, gelingt aber genau genommen schon dem Dorf selbst. Dr. Veronika Plöckinger-Walenta, wissenschaftliche Leiterin des Museumsdorfes: „Oft fragen unsere Gäste, wohin die Leute übersiedelt sind, die früher hier gewohnt haben. Dabei war hier früher gar kein Dorf, sondern eine saure Wiese, die weder Landwirte noch Häuslbauer wollten.“
Permanente Sonderausstellungen. #
Es gab aber früher nicht nur diese saure Wiese in Niedersulz, es gab schon damals Josef Geissler, wirklich früh berufener Sammler von sakralen Artefakten. Bald uferte die Sammlung aus, griff auf Alltagsgegenstände über, die in der alten Volksschule ein Heimatmuseum formten, aber ganze Häuser wollten dort dann auch nicht hineinpassen. Josef Geissler hatte nämlich ein erstaunliches Talent darin entwickelt, stets früher als die Abrissfirmen bei Weinviertler Häusern anzuklopfen, die neuen Bauvorhaben im Weg standen.
Mit Freunden durfte er die Häuser abtragen, 1979 wurde der Grundstein zum Museumsdorf gelegt, und weil die Häuser nicht einfach wieder aufgebaut wurden, sondern mit unglaublicher Sensibilität gruppiert wie im echten Leben, gibt’s hier jetzt die Dorfstraße (geschottert natürlich, so war das damals), es gibt die Hintausgasse, die Kellergasse wie im Weinviertel üblich, es gibt einen Dorfplatz, der den weltlichen Genüssen intensiver frönt als den geistlichen: Die Kapelle steht ein wenig abseits, so haben zwei Wirtshäuser Platz. Eines davon ist nur mehr museal im Dienst, im anderen aber wird weinviertlerisch gekocht, und damit die Kinder nicht enttäuscht sind, wurden Pommes frites als Erdäpfelstäbchen eingemeindet.
Rund 80 Objekte auf 22 Hektar umfasst das Museumsdorf derzeit, wobei man da nicht nur an große Bauernhöfe, das Bürgermeisterhaus, die Mühle, die Schule, den „Lebenden Bauernhof“ mit seinen vielen Tieren denken darf, sondern auch an vergleichsweise Zierliches wie Taubenkobel, Plumpsklo und Mäststeig. Manchmal befanden sich die beiden Letztgenannten auch in einem Kleingebäude, dann verrichtete man seine Notdurft auf Augenhöhe mit dem Nutztier. Jedes Gebäude hat seine Weinviertler Geschichte mitgebracht ins Museumsdorf, breitet sie aus und erzählt sie weiter an Interessierte, das ging Jahrzehnte lang hervorragend so.
Nach knapp 30 Jahren begeisterten Sammelns aber wollte das Museumsdorf auf eine neue, tragfähigere Basis gestellt werden. Also fungieren seit rund acht Jahren eine Stiftung als Besitzer und eine Betriebsgesellschaft, Teil der Kulturregion Niederösterreich, als Betreiber. Seither wurde auch das neue Eingangsund Verwaltungsgebäude mit dem Museumsshop errichtet, das den Eingang hangaufwärts verlegt hat und hervorragend mit den musealen Häusern kontrastiert: Das Projekt des Architekten Karl Gruber symbolisiert einen Bilderrahmen, durch den das Museumsdorf auch von außen betrachtet werden kann.
Genauso lange wie das neue Gebäude ist auch Veronika Plöckinger-Walenta dabei. Sie ist für die wissenschaftliche Konzeption zuständig, schließlich ist der Job praktisch für sie gemacht: „Ich bin sozusagen erblich vorbelastet, mein Urgroßvater hat das Weinmuseum Krems gegründet, meine Großeltern waren Antiquitätenhändler, ich selbst habe Volkskunde studiert, und dieses Museum vereint mit der Architektur, dem dörflichen Grünraum und dem ,Lebenden Bauernhof‘ alle Aspekte der Volkskunde, auch wenn das Studium mittlerweile gar nicht mehr so heißt.“
Mit dem Führungswechsel ist das Museumsdorf nochmals umtriebiger geworden, es gibt häufig Thementage, viele davon besonders für Kinder gestaltet, es gibt Sonderausstellungen, die gerne permanent bestehen bleiben dürfen.
Ross-Kultur. #
So wie die Kummet-Ausstellung. Das Kummet war wichtigster Teil des Zuggeschirrs der Tiere. Vor allem bei Weinlieferungen nach Wien sollte das Geschirr die Pferde schmücken, die im Weinviertel Rösser genannt werden, die Kummets waren also so prächtig verziert, wie es der Status der Bauersleute zuließ, mit Messingbeschlägen, Zierkämmen und Dachsfellen beispielsweise.
Man erkennt daran auch die Bedeutung, die Pferde einst hatten. Veronika Plöckinger-Walenta: „Das Pferd war der Motor der Landwirtschaft, seine Wichtigkeit erkennt man auch in dem alten Spruch ,Weiber sterben – kein Verderben / Ross verrecken – tut den Bauern schrecken‘, Pferde waren teuer und mussten immer erst angelernt werden. Die Kummets waren übrigens Maßanfertigungen.“ Also schlief der Rossknecht stets im Stall, so konnte er nachts über den Gesundheitszustand der Pferde wachen, sie zwei Stunden vor ihrem Dienstbeginn füttern und gegebenenfalls auch Pferdediebe verscheuchen. Gelohnt wurde ihm derlei mit dem einzigen quasi geheizten Schlafzimmer des Bauernhofes: Rund 800 Kilogramm Pferd geben winters beachtliche Wärme ab, dafür wurde das Pferdestall-Odeur billigend in Kauf genommen. Natürlich ist auch ein Pferdestall mit Rossknecht-Bett im Museumsdorf Niedersulz zu sehen.
All die wunderbare Architektur hinge allerdings ziemlich in der Luft ohne den dörflichen Grünraum drumherum und zwischendrin. Also sind auch die Vorgärten nach historischem Vorbild gestaltet, die Kräutergärten mit ihren Heil- und Gewürzpflanzen, auch die Hintaus Äcker und der Selbstversorgergarten beim Ausgedinge – dort wohnten die Altbauern nach der Hofübergabe, und der Garten half ein wenig beim würdevollen Überleben.
Natürlich wächst das Museumsdorf noch immer. Eine Wagnerei aus Hollabrunn wurde kürzlich übersiedelt, der bäuerliche Fuhrpark, also die Wagen und Schlitten, kamen kurz davor hierher. Eine Fassbinderei wäre auch sehr willkommen, und der Nachschub an original bemalten Möbeln ist etwas vorzeitig versiegt. Die Frage, ob sonst noch etwas fehlt, ist aber nicht ganz einfach zu beantworten. Veronika Plöckinger-Walenta: „Die Sammlung an Gegenständen ist schon so umfangreich, dass noch Generationen mit der Aufarbeitung beschäftigt sein werden. Das Häufigste sind Putzmühlen zum Getreideputzen, die bekämen wir auch heute noch laufend. Dringend gesucht wäre hingegen geflickte Wäsche aus dem 19. Jahrhundert, aber da wurde wahrscheinlich alles als Putzfetzen verschlissen. Was wir aber auf jeden Fall noch bauen möchten, ist ein Lehmhaus.“
Das ist zwar deutlich schwieriger zu übersiedeln als ein Stadel aus Holz, soll die neue Rolle des Museumsdorfes aber endgültig abrunden: „Wir sind gerade dabei, uns als Lehmbau-Kompetenzzentrum zu etablieren. Dazu veranstalten wir Workshops zur Lehmverarbeitung, die von Hausrenovierern schon gerne besucht werden.“ So hilft das Wissen aus der Vergangenheit bei der Gestaltung der Zukunft.