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Wenn die Augen wellenreiten#

Die UNO hat 2015 zum "Jahr des Lichts" erkoren. Grund genug, sich über die vielfältigen und elementaren physikalischen Eigenschaften dieses für uns Menschen wichtigsten "Informanten" Klarheit zu verschaffen.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 10./11. Jänner 2015)

Von

Christian Pinter


Jeglichem Farbeindruck liegt ein physikalisches Prinzip zugrunde: Die Streuung des Sonnenlichts färbt die Teilchen der Luft - und schenkt uns so das Blau des Himmels., © Foto: Pinter
Jeglichem Farbeindruck liegt ein physikalisches Prinzip zugrunde: Die Streuung des Sonnenlichts färbt die Teilchen der Luft - und schenkt uns so das Blau des Himmels.
© Foto: Pinter

Geht es nach der Unesco, der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, so dreht sich heuer alles ums Licht. Unter anderem soll dessen Schlüsselrolle als Quell des Lebens beleuchtet werden. Tatsächlich bräche die Nahrungskette zusammen, müssten Pflanzen auf die Photosynthese verzichten. Außerdem ist Licht der wichtigste Informant des Menschen. Nichts sonst erzählt so beredt von der Umwelt.

Wellenberg – Wellental#

Physiker bezeichnen oft das gesamte elektromagnetische Spek-trum als "Licht". Die elektromagnetische Welle darf man sich als periodische Abfolge von Wellenbergen und Wellentälern vorstellen, nicht unähnlich dem Seil beim Schnurspringen. Während sich die Schwingung nun mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet, wird ein Wellenberg nach dem anderen auf Reisen geschickt: Der räumliche Abstand dieser "Berge" definiert die Wellenlänge, deren Anzahl pro Sekunde ergibt die Frequenz in Hertz (Hz).

Funktechnisch genutzt werden etwa die Längstwellen, die unter 30.000 Hertz schwingen. Mit einer Wellenlänge von 10 km und mehr dringen sie bis zu den abgetauchten U-Booten im Ozean vor. Jene Zeitzeichensender, die den funkgesteuerten Wecker synchronisieren, setzen auf die Langwelle. Rundfunksender großer Reichweite nützen die daran anschließenden Mittel- oder Kurzwellen. Die Ultrakurzwelle überbrückt mit ihren rund 100 Millionen Hz zwar nur kurze Distanzen, schenkt uns dafür aber HiFi-Phänomene.

Die Mikrowellen im Herd, beim Radar und beim WLAN schwingen Milliardenmal pro Sekunde. Eine noch höhere Frequenz erreicht das Infrarot (IR). Als Wärmestrahlung geht es uns "unter die Haut". Auch die TV-Fernbedienung arbeitet damit.

Je kürzer die Wellenlänge, desto energiereicher die Strahlung: Das ultraviolette Licht (UV) bräunt nicht nur, es bricht Moleküle auf. So kann es zur Desinfektion dienen, aber auch Augenlinsen trüben oder Hautkrebs verursachen. Die Röntgenstrahlung durchdringt Materie: ihr Einsatzgebiet reicht von der Mammografie bis hin zur Prüfung von Schweißnähten. Die Gammastrahlung tötete vor allem in Hiroshima und Nagasaki Menschen in großer Zahl. Ihre Wellenlänge ist klein wie ein Atom.

Ein winziger Abschnitt#

Im engeren Sinn versteht man unter "Licht" den fast vernachlässigbar winzigen Abschnitt zwischen IR und UV. Nur er ist dem menschlichen Sehsinn zugänglich. Langwelliges Licht mutet uns dunkelrot an, kurzwelliges violett. Dazwischen nehmen wir Orange, Gelb, Grün oder Blau wahr.

Thermische Strahler funken, sehr salopp gesagt, auf allen Wellenlängen gleichzeitig. Das Maximum der Energieabgabe hängt jedoch von ihrer Temperatur ab. Extrem kalter kosmischer Staub sendet Radiowellen aus. Mit seinen knapp 37 Grad Celsius ist der Mensch im IR-Bereich aktiv, zur Freude einschlägiger Bewegungsmelder. Selbst die traditionelle Glühbirne strahlt vor allem im Infrarot-Bereich: Ihr Glühfaden verwandelt den größten Teil der elektrischen Energie in Wärme.

Die Oberfläche unserer Sonne ist rund 5500 Grad C heiß. Sie gibt das Gros ihrer Strahlung im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums ab. Noch heißere Sterne wie der Rigel oder die Bellatrix im Wintersternbild Orion sind mit 12.000 bzw. 22.000 Grad C deutlich hitziger: Sie leuchten primär in UV. Von der Strahlung extrem heißer Gasmassen im Umkreis von Schwarzen Löchern würde man sogar geröntgt.

Anders verhalten sich nicht-thermische Strahler. Ein erhitztes Gas geringer Dichte, wie es etwa in Neonröhren steckt, sendet nur Licht bestimmter Wellenlängen aus. Bricht man das Licht mit einem Glasprisma auf, verraten sich die chemischen Elemente im Gas anhand ihrer jeweils charakteristischen Spektrallinien.

Gegenstände erscheinen uns farbig, da ihre Stoffe bestimmte Wellenlängen verschlucken. Die anderen gelangen in unser Auge. Blätter sind z.B. grün, weil das pflanzliche Chlorophyll bei der Photosynthese den blauen und den roten Lichtanteil absorbiert. Manche Materialien verwandeln kurzwelliges Licht, teils auch UV, in langwelligeres: Diese Fluoreszenz erklärt die grellen "Neonfarben" von Textmarkern oder Sicherheitswesten.

Spiegeltricks#

Bei der Spiegelung an äußerst glatten Oberflächen folgt das Licht dem Reflexionsgesetz: Ein- und Ausfallswinkel sind gleich groß. Stellt man zwei Spiegel in exakt rechtem Winkel zusammen, wird der Lichtstrahl doppelt reflektiert. Wir erblicken uns in einem solchen Duo ausnahmsweise so, wie uns andere Menschen sehen - also nicht spiegelverkehrt.

Legt man noch einen dritten Spiegel darunter, wird jeder Lichtstrahl verlässlich zu seiner Quelle zurückgeschickt. Die Apollo-As-tronauten hinterließen solche Spiegel auf dem Mond. Seither gibt die Laufzeit eines hochgeschossenen Laserstrahls die Monddistanz mit unglaublicher Exaktheit preis. Auf Erden nützt man solche Retroreflektoren u.a. bei Fahrzeugrückstrahlern oder Verkehrsschildern. Schleift man Spiegel nicht plan, sondern sphärisch, bündeln sie das Licht und vergrößern. Solche Hohlspiegel sind das Herzstück von mächtigen Teleskopen. Zum Schminken oder Rasieren dienen Exemplare minderer Qualität. Mitunter spiegelt sich der Mond vergrößert im Fenster eines Nachbarhauses. Offenbar wölbt sich die Mitte der Scheibe dann ein klein wenig von uns weg, damit sich auch "Frau Luna" schminken kann.

Der sogenannten "Streuung" wegen machen schwebender Staub und feuchte Luft nachts den Strahl eines Scheinwerfers sichtbar. Tagsüber wird das Sonnenlicht an den Atomen und Molekülen der Luft gestreut. Ansonsten bliebe das Himmelszelt abseits der Sonne selbst zu Mittag pechschwarz.

Derart winzige Teilchen streuen primär den kurzwelligen Lichtanteil. Deshalb ist der Himmel blau. Die Sonnenscheibe gerät im Gegenzug eine Spur gelblicher. Neigt sich die Sonne dem Untergang zu, legt ihr Schein einen bis zu 39 mal längeren Weg durch die Atmosphäre zurück. Nun wird die Streuung besonders stark. Nur goldenes, orangefarbiges oder rötliches Licht bleibt übrig.

Beugungsgitter verwandelt weißes Licht in ein buntes Spektralband., © Foto: Pinter
Beugungsgitter verwandelt weißes Licht in ein buntes Spektralband.
© Foto: Pinter

Die Teilchen streuen Licht am liebsten vorwärts und rückwärts, aber eher ungern zur Seite hin. Die Rückwärtsstreuung hellt jene Himmelsregion, die eigentlich am weitesten von der Sonne absteht, merklich auf. Bei niedrigem Sonnenstand schenkt sie uns einen Heiligenschein: Zumindest ist der Schatten unseres Hauptes dann von einer zarten Aufhellung umgeben, wenn er auf ein Stoppelfeld oder eine Wiese mit kurzem Gras fällt. Flugzeugpassagiere erspähen den Heiligenschein auf einer Wolke, rund um den Schattenriss ihrer Maschine. Wolkentröpfchen umkränzen ihn mit farbigen Ringen, "Glorie" genannt.

Früher glaubte man, das Licht bräuchte ein Trägermedium wie die Schallwellen. Doch den einst vermuteten "Äther" gibt es nicht. Im Gegenteil: Gerade im Vakuum läuft das Licht zur Höchstform auf. Es erreicht dort ein Rekordtempo von mehr als einer Milliarde km/h. In jeder Sekunde könnte es siebeneinhalb Mal um den Erdball jagen.

Unendlich schnell ist es aber auch nicht. Deshalb erscheint uns die Gesprächspartnerin jünger: Wir erblicken sie so, wie sie vor einer Milliardstel Sekunde aussah. Astronomen nützen die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, um die Frühphasen des Universums zu erforschen. Sie schauen dabei weit über 13 Milliarden Jahre zurück.

Verlässt Licht das Vakuum, sinkt sein Tempo - etwa im Wasser - gleich um ein Viertel. An der Grenzfläche zweier Medien wird der Strahl deshalb aus seiner ursprünglichen Richtung gelenkt, gleichsam "geknickt". Menschen, die mit Speeren fischen, berücksichtigen diese Refraktion - auch "Brechung" genannt - unwillkürlich. Man kann sie leicht an einem Stab studieren, den man ins Trinkglas steckt.

Die Refraktion knickt blaues Licht stärker als rotes. Diese sogenannte "Dispersion" färbt den Regenbogen innen blau-violett und außen rot; hier tritt das Sonnenlicht ja bei Wassertropfen ein- und wieder aus. Zum Ärger von Hobbyfotografen kommt es auch bei Glaslinsen zur Dispersion: Auf Fotos zeigen Kanten mit starkem Kontrast dann Farbsäume.

Tauchen wir den Finger in ein gefülltes, zylindrisch geformtes Trinkglas, wird er scheinbar breiter. Die sphärisch geschliffene Lupe vergrößert ihn in allen Dimensionen. Auch im menschlichen Auge steckt eine solche Linse: Erst sie projiziert ein getreues Abbild der Umwelt auf die Netzhaut.

Nicht immer darf der Lichtstrahl einfach von einem Medium ins andere wechseln: Versucht er es unter einem allzu flachen Winkel, wird er an der Grenzfläche reflektiert. Diese Totalreflexion vereitelt Schnorchlern oft den Blick vom Wasser in den Himmel.

Das Licht durcheilt warme, dünnere Luft rascher als kalte, dichtere. Zusammen mit den stets vorhandenen Turbulenzen sorgt das fürs Funkeln der Sterne. An heißen, windstillen Tagen flimmert die Luft über dem Asphalt. In der Ferne kommt es dann zur Totalspiegelung: Der reflektierte Himmel gaukelt eine Wasserfläche vor. Komplexe Luftspiegelungen malen Oasen an den Wüstenhorizont oder lassen Schiffe über dem kalten Ozean kopfstehen.

Reflexion und Streuung verdrehen teilweise auch die Schwingungsebene der Lichtwelle: Man spricht von "Polarisation". Polarisationsfilter unterdrücken den betroffenen Lichtanteil. Fotografen dunkeln so das gestreute Himmelsblau ab oder mindern Reflexe. Angler blicken damit leichter unter die Wasseroberfläche. Die graue 3D-Brille im Kino trennt zwei überlagerte, unterschiedlich polarisierte Teilbilder: Das linke Auge bekommt nun ein anderes Bild zu sehen als das rechte. Ohne Polarisation gäbe es auch keine LCD-Bildschirme für Fernseher, Notebooks oder Handys.

Jahrhundertelang zerbrachen sich Gelehrte den Kopf darüber, ob das Licht nun eine Welle ist - oder vielmehr ein Teilchenstrom. Tatsächlich hängt die Antwort vom Experiment ab. Dank des Welle-Teilchen-Dualismus’ darf man sich weißes Licht als Wellensalat aus verschiedenen Frequenzen vorstellen, aber auch als Meer von Photonen mit unterschiedlichen Energien. Das Licht führt gewissermaßen ein "Doppelleben".

Die Photonen lösen Elektronen aus Halbleitern heraus; so verwandelt man Licht direkt in Strom. Diese "Lichtteilchen" werden außerdem von Linsen oder Hohlspiegeln eingetrichtert: Der Helligkeitsgewinn steigt mit der Eintrittsfläche. Deshalb bevorzugt man zumeist Optiken mit großem Durchmesser und nennt diese "lichtstark". Die CCD-Sensoren in der Kamera summieren die eintreffenden Photonen während der Belichtungszeit außerdem auf: Mondbeschienene Landschaften wirken nach mehreren Sekunden fast so, als wären sie am Tage aufgenommen. Allerdings sind jetzt auch helle Sterne mit im Bild.

Die Streuung des Lichts färbt die untergehende Sonne, wie hier am Kahlenberg, golden., © Foto: Pinter
Die Streuung des Lichts färbt die untergehende Sonne, wie hier am Kahlenberg, golden.
© Foto: Pinter

Lichtwellen kreuzen einander unbeschadet. Sie können aber auch einander auslöschen, falls Wellenberg und Wellental genau übereinander zu liegen kommen. Das machen sich Optiker zunutze, wenn sie Brillengläser entspiegeln oder Objektivlinsen vergüten. An den Glasflächen wird das Licht nämlich teilweise reflektiert, was zu lästigen Geisterbildern führt. Also dampft man eine dünne Schicht aufs Glas. Die resultierende Interferenz schwächt die Spiegelungen ab.

Das Ergebnis ist von der Richtung abhängig. Es gilt außerdem nicht für alle Wellenlängen gleichzeitig. Daher erscheinen die stark gedämpften Reflexionen eingefärbt, wie ein seitlicher Blick aufs Brillenglas beweist. Aus dem gleichen Grund verrät sich eine dünne Ölschicht auf Wasserlacken oder nassem Asphalt durch schillernde Interferenzfarben.

Umkränzter Mond#

Man führe Daumen und Zeigefinger langsam vor hellem Hintergrund zusammen: Bereits ganz knapp vor der tatsächlichen Berührung verschmelzen sie scheinbar miteinander. An ihren Rändern werden die Lichtstrahlen nämlich gebeugt. Diese Beugung begrenzt die Auflösungskraft aller Optiken. Und zwar umso mehr, je kleiner deren Öffnung ist. Auch deshalb gieren die Profis nach weiten Objektivlinsen.

Die Stärke der Beugung hängt aber auch von der Wellenlänge ab: Bringt man das Auge hinter einen dicht gewebten Vorhang, tauchen mitunter farbige Beugungsbilder rund um ferne Lichtquellen auf. Beugungserscheinungen an winzigen atmosphärischen Tröpfchen statten den Mond gelegentlich mit einem oder mehreren Farbkränzen aus.

Ritzt man etwa 100 parallele Linien pro Millimeter in eine Glasplatte, bricht die Beugung das weiße Licht in seine Spektralfarben auf - so ähnlich, wie es das Glasprisma mit Hilfe der Dispersion macht. Heute funktionieren Spektralapparate sogar bevorzugt nach dem Beugungsprinzip.

Christian Pinter, geb. 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt im "extra" hauptsächlich über astronomische Themen. www.himmelszelt.at

Jahr des Lichts#

Heuer begehen die Vereinten Nationen das "Internationale Jahr des Lichts". Die Unesco koordiniert das UN-Jahr zusammen mit Partnern wie der Europäischen Physikalischen Gesellschaft.

Themen des UN-Jahres sind unter anderem Lichtverschmutzung und das Sparen von Licht oder die Entwicklung von günstigen energieeffizienten Lichtquellen für Entwicklungsländer.

Wiener Zeitung, Sa./So., 10./11. Jänner 2015

--> Aufbruch in das luzide Jahr (Essay)


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