Pomade#
(Gut geölte Träumereien)#
von Martin Krusche
Ich brauchte dringend eine Flurbereinigung auf meinem Kopf, denn manchmal, wenn viel gedacht werden muß, scheinen meine Haare schneller zu wachsen und entfalten etwas Wüstes. Da ich aber nicht andauernd wie ein Gestrüpp in der Gegend herumrennen will, was ja das Garten-Amt der Stadt auf den Plan rufen könnte, führte mein Weg jüngst Richtung Pomade. Ich mag den Klang des Wortes und die Tatsache, daß es sich vom französischen Begriff für Apfel herleitet: Pomme. Äpfel waren einst ein Grundbestandteil und die Pomade ein Kosmetikum des Adels. Das haben wir also inzwischen demokratisiert.
Aus meinen Kindertagen kenne ich bloß die „Frisiercreme“, wie sie zuhause aus der Tube kam. Eine Marke, mit der man heute noch verspricht, sie gebe dem „Männerhaar natürlichen, unsichtbaren Halt ohne Fettglanz, ohne Strähnen“. Das war also gewissermaßen die „Anti-Pomade“, mit welcher offenbar der Unterschied zwischen Reinlichkeit und Kulturschande markiert werden sollte.
Wer in den 1960ern aufwuchs, weiß nach wie vor, was damals den Barbaren ausgezeichnet hat: Haarschuppen, Mundgeruch und Schweißflecken. Das war eine Ära, in der man Frauen etwas so Merkwürdiges wie „Intimspray“ empfahl, während Waschmittel angeblich „nicht nur sauber sondern rein“ wuschen, um ein „weißestes Weiß“ zu ermöglichen.
Aber wer wollte denn so sauber, glatt und ohne Flausen sein? Ich jedenfalls nicht. Es war auf viele Arten ölig, von Mopeds auf alte Motorräder umzusteigen. Einige von uns wußten, was der Begriff „Greaser“ meint. (Keinesfalls „ohne Fettglanz, ohne Strähnen“!) Ich hatte dazu die passende Lederjacke aus den 1940er Jahren, deren Futter verrottet war, die aber jede Asphaltberührung aushielt.
Spätestens in den 1970ern, als es gelegentlich noch unglaubliche lange Songtitel gab, lauschte ich „Too Old to Rock ’n’ Roll: Too Young to Die!“, was nicht bloß romantisch daherkam, denn die alten Motorräder waren nur schwer zu bremsen und die neuen waren mit ihren sprunghaft angestiegenen Motorleistungen viel zu schnell. Es war tatsächlich sehr gefährlich, wie ich beizeiten erfuhr.
Also sang Ian Anderson („Jethro Tull“) vom Altwerden, wo das mit der Würde noch offen blieb: „But he's the last of the blue blood greaser boys“. Wir waren also gewarnt. Vierzig Jahre später ist das alles nicht mehr im Ungewissen. Das Rock-Business erscheint schäbiger denn je und rechnet sogar industrielle Dosenkost wie Andreas Gabalier zum Genre, Rockabilly hat seine Nische, allerhand überlebende Punks tun sich als Rechtskonservative hervor oder haben es in Geldgeschäften zu etwas gebracht, während „Met’ler“ sich Seele, Lunge und sonst was aus dem Leib brüllen und Muddy Waters bis heute unwiderlegt ist: „The Blues Had A Baby And They Named It Rock 'n' Roll“. Naja, das war nun etwas sehr knapp gefaßt…
Bei unserem heurigen Kunstsymposion ist mein Part unter anderem dem Zusammenhang von Volkskultur, Popkultur und Gegenwartskunst gewidmet. Ich bin dabei mit trivialen Mythen befaßt. Das hat dann unter anderem eben solche Momente voller Reminiszenzen. Da kann es auch ein bestimmter Geruch oder das Klappern einer Friseurschere sein, wovon Erinnerungsströme ausgelöst werden.
Mit der Pomade kam es wie folgt: Ulysses Everett McGill (von George Clooney gespielt) stellte im Lauf der verwirrenden Geschichte klar, daß er ein Dapper Dan-Mann sei. Ulysses = Odysseus, Sie verstehen? Er ist einer der Charaktere im Film „O Brother, Where Art Thou?“ (2000), mit dem die Coen-Brüder ihre Deutung von Homers Odyssee vorgelegt haben.
Das ist vorzüglich ausgeheckt, denn bei meinen einstmals miesen Latein-Noten war ich vom Gymnasium geflogen und hab seither ein etwas gespanntes Verhältnis zu den großen Stoffen humanistischer Bildung. Aber so geht’s ganz gut, eben auch mit der Odyssee.
Die wesentliche Szene: Der Kaufmann hat Fop-Pomade lagernd, Dapper Dan müßte er bestellen, was zwei Wochen dauert. Ulysses Everett mißfällt das erheblich. „Ich will Fop nicht, gottverdammt, ich bin ein Dapper Dan-Mann.“ Diesen Satz könnte man für viele unerfreuliche Lebenssituationen adaptieren. Hätte ich ihn anno 1970 bloß für meinen Lateinprofessor parat gehabt, der wäre schwer ins Grübeln gekommen.
Weiter im Film: Der Kaufmann quittiert die Ausfälligkeit von McGill mit: „Paß auf, was du sagst, junger Kerl, das ist ein öffentlicher Laden.“ Es wird nämlich in diesem Film über weite Strecken recht artig gesprochen, weshalb Heftigkeiten besonders hervorstechen.
Ich sollte nun vorzugsweise Songs der Soggy Bottom Boys hören, während ich mich auf einen Friseurstuhl wuchtete, der merklich aus dem Vollen gefräst ist. Davor hatte ich eines der Gedecke in Matt’s Barber Shop inspiziert und war zum Schluß gekommen: So könnte auch ein Verhörzimmer der Mafia ausgestattet sein. (Kleiner Scherz!)
Flex-Barber, im Laden als „our NewKid“ vorgestellt, heißt bei näherer Betrachtung Felix Schloffer und ist im Alter meines Sohnes. Es hat also seine Richtigkeit, daß wir nicht die selben Kinofilme und die selben Musiken kennen, obwohl eventuell Led Zeppelin ein flüchtiger Schnittpunkt sein könnte; man weiß ja nie. Aber es ist die Pflicht Erwachsener, den Jungen zuzurufen: „Dreh das leiser!“ oder „Mach die Tür zu!“, was nur andere Worte für „wir kennen nicht die selben Kinofilme und die selben Musiken“ sind.
So wird jene Differenz betont, in der sich die Jungen von uns ablösen können, um sich notfalls auch gegen uns zu stellen, auf daß wir das alte Klagelied anstimmen können, wie es schon aus der Antike des Homer überliefert ist: „Oh Zeiten, oh Sitten!“ Und: „Was ist bloß aus der heutigen Jugend geworden?“
Pomade in den Haaren. Handgeschnitzte Burschen. So was kam hierzulande per Kino daher, wie einst der „Chicken Run“, den James Dean im Film als Jim Stark überlebte: „We are both heading for the cliff, who jumps first, is the Chicken". Allein der Filmtitel hat damals an uns enorm gerüttelt: „Rebel without a Cause". (1955)
Welch ein Gigant Nicholas Ray, der Regisseur des Streifens, ist, wurde mir erst 1981 klar, als ich in Hamburg ein Gespräch mit Wim Wenders führte, der gerade für seinen Film „Lightning over Water“ auf Tour war, einem Film über das Sterben von Nick Ray. Dieser Film war für mich ein Schock gewesen, weil mich die Unerbittlichkeit mancher Sequenzen einfach umgehauen hat.
Aber ich schweife ab. Ich traf damals übrigens in Bremen Emmylou Harris, die man im Soundtrack von „O Brother, Where Art Thou?“ hört. Aber weit tiefer ins Thema ging es mit Sissy Spacek, die in „Coal Miners Daughter“ (1980) von Michael Apted die Country Queen Loretta Lynn spielt und dafür alle Songs selber gesungen hat. Von Spacek hatte ich mir die Country-Essenz darlegen lassen: „Loving, cheating, picking trucks and mother.“ Damit war ich schon sehr nah am Thema Rockabilly, wo ohne Pomade gar nichts geht.
Die grundlegenden Lektionen zu diesen amerikanischen Tunes, Dress Codes und Haartrachten hatten wir wenigstens ein Jahrzehnt davor erhalten. Die stärkste Erinnerung verbinde ich mit „Deliverance“ (1972) von John Boorman, als Burt Reynolds noch recht athletisch wirkte und wir seither jenes Duett stets abrufbar im Ohr haben, welches als „Dueling Banjos“ aus dem Soundtrack ausgekoppelt war.
Auf dem Cahulawassee River wurde dann ordentlich gestorben. Dort lebten jene Hillbillies, deren stellenweise Begegnung mit Rock & Roll zum Hillbilly geführt hatte, während andere von ihnen lieber bei Bluegrass blieben.
Also Schloffer, der sich im Barber Shop gut gelaunt an die Arbeit machte. Er fragt einige Male nach, ob er in der Gestaltung so freie Hand habe, wie ich es ihm angeboten hatte. Na klar! Dafür gehe ich ja zum Profi, auf daß er weiß, wie es aussehen soll und ich mich überraschen lassen darf.
Da fiel dann eine bemerkenswerte Menge an Haaren, denn ich war – wie erwähnt – schon etwas verwildert. Schloffer entschied sich für eine elegante Lösung, die er mir erläuterte. Was an Haupthaar verbleibt, kann schwungvoll nach hintern gelegt werden, wobei der Einsatz von etwas Pomade empfehlenswert wäre, es kann aber auch wahlweise links oder rechts gescheitelt werden. (Dabei sorgt Pomade für klare Linien.)
Die Natur war freundlich zu mir, denn ich bin kein Jüngling mehr, da müssen viele Männer längst ohne Scheitel auskommen oder haben, wie es heißt, einen extrem breiten Mittelscheitel. Bei mir hat der Barber noch gut zu tun. Schloffer räumte also runter, was weg gehört, daher durfte ich rechnen, gleich um rund zwei Jahre jünger auszusehen und im Gehen deutlich strömungsgünstiger, also etwa schneller zu sein.
Während dieser Arbeit haben wir uns über Haar- und Barttrachten unterhalten, über Frauen, kein bißchen über Autos, und darüber, was über mehrere Generationen hinweg das Bleibende sein mag, wenn es um Musik geht. Dabei wäre gerade dort gut über Autos zu reden, in jenem Laden, zu dem Frauen keinen Zutritt haben. Aber das hab ich an anderer Stelle schon erledigt. Siehe dazu: „Donnergrollen als Vergnügen“ (Customizing und Hot Rodding)!
- Das oben erwähnte Kunstsymposion bei Austria-Forum live: „Artist is Obsolete. Kunst und Technik"