Die Königin aller Riesendamen#
Der Prater feiert 2016 seinen 250. Geburtstag: "Unbekannte Praterg’schicht’n" Teil IX.#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 11. März 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Clemens Marschall
Wien. "Die ist renoviert", sagt Robert Kaldy-Karo, der Direktor des Wiener Circus- und Clownmuseums, und hält mit beiden Händen eine Riesenunterhose hoch, die vom Ausmaß her eher wie ein Bettüberzug aussieht. "Die hat Ludwig Zacharias, Mitzis Mann, vor ihrer Bude stolz hergezeigt und kommentiert, um Leute anzulocken. Sie war ja immer drinnen, und diese Unterhose hat sie selbstverständlich nie angehabt."
Die "Prater Mitzi" oder "Dicke Mitzi" wurde 1903 als Maria Skvrne geboren und nahm mit ihrer Heirat den Nachnamen Zacharias an. Schon von Jugendalter an litt sie an Diabetes, doch sie trug ihre Leiden bis zum letzten Atemzug mit Humor. So lachte sie laut damaligen Berichten auch, wenn Freunde zu ihr sagten: "Wer dich sieht, der weiß, warum andere am Hungertod sterben müssen."
Dabei aß sie nicht mehr als der Durchschnittswiener - eher sogar weniger. Wahrscheinlich war eine Unterfunktion der Schilddrüse Grund für ihre Fülle. Sie kam als normal schweres Kind zur Welt, erst ab dem Alter von elf fing sie an, die "Dicke Mitzi" zu werden. In einem Nachruf ist zu lesen: "Ihre ‚schwerste Zeit‘ hatte Mitzi mit 21 Jahren. Damals wog das jugendfrische Kind etwas mehr als 265 Kilogramm. Damals stand die dicke Mitzi allabendlich in der Manege des Zirkus Renz und ließ ihre Oberarmmuskeln spielen, die stärker waren als ein Baumstamm."
In ihrer Karriere trat sie in den verschiedensten Schaubuden auf, aber auch im renommierten Zirkus Zentral - etwa als "Mitzi - die Königin aller Riesendamen" oder "Königin der Kolossaldamen". Sie absolvierte zahlreiche In- und Auslandstourneen und war beim Publikum überaus beliebt, eine wahre Praterlegende. Im Wochenblatt vom 21. November 1957 ist zu lesen: "Eines ihrer bekanntesten Kraftstücke, das sie in allen internationalen Zirkussen vorführte, war, daß sie gleichzeitig mit vier dicken Männern in die Arena trat, die Vertreter des ‚starken‘ Geschlechts je zwei und zwei mit ihren muskulösen Armen umfing, hochstemmte und alle vier unter dem Jubel des Publikums umhertrug."
Kaldy-Karo plaudert aus dem Nähkästchen: "Ihr Mann Ludwig Zacharias war auch eine Figur: er hat sie nicht nur angepriesen, sondern ist auch selbst als Clown, Indianer, Praterausrufer, Zauberer,... aufgetreten. Und die Mitzi wird einen Mordsspruch und guten Humor gehabt haben. Wenn da jemand rein in ihre Bude ist und gesagt hat: ‚Servas, blade Mitzi!‘, wird sie ihm sicher die richtige Meldung zurückgeschoben haben."
Kaldy-Karo greift in eine Archivkiste des Museums und nimmt ein Buch heraus: eines, das Mitzis Tochter Blanka Zacharias, eine Bauchtänzerin, eigenhändig dekoriert und gefüllt hat; eine Art Tagebuch mit ausgeschnittenen Zeitungsartikeln, Fotos und persönlichen Notizen. Der in holpriger Kinderschrift notierte Titel: "Unvergessliche Erinnerungen an meine liebe MUTTI".
Darin zu finden ist auch ein Artikel von 1937, in dem berichtet wird, wie Fräulein Gisela Zambo wegen eines Ehrenbeleidigungsprozesses vor Gericht auftrat und die Prater Mitzi als Zeugin geladen wurde: "Das 2,10 Meter große Mädchen [Gisela Zambo], das sich selbst als größte Frau der Welt bezeichnet, hatte als Zeuginnen ‚die beiden dicksten Frauen der Welt‘ vorladen lassen. Nur eine, die ein Gewicht von 250 Kilogramm hat [Prater Mitzi], konnte vor Gericht erscheinen, denn ihre dickere Kollegin war nicht imstande, sich durch den Treppenausgang zu ‚quetschen‘." Die Prater Mitzi wurde beim Eintreten von zwei Männern gestützt; anschließend wurden noch vier kleinwüchsige Darsteller als Zeugen in den Saal gerufen.
"Zur schwersten Wienerin"
Die Prater Mitzi war eine tüchtige Frohnatur und hat ihre Gäste stets mit einem Lächeln begrüßt, so eine Beschreibung von dazumals: "Wenn sie ihre mächtigen Beine, die Baumstämmen gleichen, oder ihre Arme, um die sie ein Berufsringer beneiden kann, zeigt, hat sie immer ein heiteres Wort auf den Lippen." Neben ihren Shows betrieb sie in den 1930ern in der Ausstellungsstraße 15 zusätzlich das "Gasthaus zur schwersten Wienerin". Ging die Operettenliebhaberin als Zuschauer in eine Vorstellung, kaufte sie von sich aus immer zwei Sitzplätze. Sie hatte außerdem sehr zarte Hände und stets ihr Strickzeug bei sich: Auf einer Tournee durch die Schweiz soll sie einmal 120 Pullover gestrickt haben.
Schon in einem Zeitungsartikel von 1948, der im Erinnerungsbuch von Mitzis Tochter pickt, steht geschrieben: "Zirkusleute haben es nicht leicht heutzutage, im Zeitalter von Radio, Kino und Fernsehtechnik." In einem Artikel daneben ist die sensationelle Meldung mit Foto, dass Mitzi Siebenlinge bekommen hat. Daneben steht handschriftlich vermerkt das Erscheinungsdatum der Nachricht: 1. April 1949.
Die Prater Mitzi ist in ihrem 54. Lebensjahr nach langem schweren Leiden verstorben. Vor dem Tod ist sie auf 200 Kilo "abgemagert", und im Wochenblatt vom 21. November 1957 ist zu lesen: ",Das war freilich für die Mitzi kein richtiges Gewicht mehr‘, erzählen uns ihre Angehörigen. ‚Normalerweise hatte sie 265 Kilo. Das war das Gewicht, das sie seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr hatte." In einem Nachruf heißt es schließlich: "Die ‚dicke Mitzi‘, eines der letzten Wiener Originale, ist nicht mehr. Die letzte Attraktion vor ihrem allerletzten Gang ist ein Riesensarg" - ein mehr als 2 Meter langer und 1,30 Meter breiter. Der Sarg war groß genug, aber das Grab zu klein, und so konnte die Prater Mitzi erst nach einer Grabvergrößerung in ihre letzte Ruhestätte hinab gelassen werden.
Information#
Die Serie "Unbekannte Prater’gschicht’n" von Clemens Marschall und seinem wissenschaftlichen Berater Robert Kaldy-Karo erscheint zum runden Prater-Jubiläum wöchentlich in der Wiener Zeitung und beleuchtet eher obskure Nebenstränge der Geschichte des Praters. Am 16. März erscheint zudem Kaldy-Karos Archivbildband "250 Jahre Prater" im Sutton Verlag. Wer darüber hinaus in die Materie eintauchen möchte, dem sei ein Besuch der Sonderausstellung "250 Jahre Wiener Prater" im Circus- und Clownmuseum Wien (Ilgpl. 7, 1020 Wien) empfohlen, die ab 31. März zu sehen ist.
Wiener Prater G'schichten!#
- Marschall, C.: Im Prater blüh’n noch immer die Bäume (I)
- Marschall, C.: Vom Salamucci zur Praterikone (II)
- Marschall, C.: Gruseln im Panopticum (III)
- Marschall, C.: Irdische und überirdische Spiritismen (IV)
- Marschall, C.: Das Leben der Liliputaner (V)
- Marschall, C.: Kommt ein Zirkus in den Prater... (VI)
- Marschall, C.: Damenkapellen im Wiener Prater (VII)
- Marschall, C.: Kunst und Klobassi im Varieté (VIII)
- Marschall, C.: Handpufferl und Raquetten von Stuwer (X)
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- Marschall, C.: Blumen, Bier und Backhendl (XII)
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