Kontraste der Zuversicht#
(Eine kulturpolitische Debatte I)#
Von Martin Krusche#
Wir könnten kaum unterschiedlicher sein. Drei kontrastreiche Lebensgeschichten, völlig andersartige Berufswege. divergierende Blickwinkel. Ein guter Ausgangspunkt für eine kulturpolitische Debatte zum Stand der Dinge. Franz Majcen, ursprünglich Pädagoge, wurde Politiker, war zuletzt steirischer Landtagspräsident und ist heute als Kulturschaffender ruhelos.
Karl Bauer, aktiver Tierarzt, ist Gleisdorfs aktueller Kulturreferent vor dem Hintergrund langjähriger Praxis als Kulturschaffender. Ich, der gewesene Lehrbub, seit über 40 Jahren freischaffender Künstler, teile mit den beiden Männern ein lebhaftes Interesse an kulturellen Optionen abseits des Landeszentrums. Sagen wir ruhig: in der Provinz.
Genau das, dieses „Denkschema Zentrum/Provinz“ wirkt zwar noch in vielen Köpfen, ist aber vom Lauf der Dinge eigentlich längst abgeschafft worden, was vor allem bedeutet, diese Veränderung der Verhältnisse sollten sich auch in Politik und Verwaltung abbilden.
Wodurch kam das?#
Erst einmal wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bei uns ein radikales Ereignis-Paket wirksam: Sicherheit, Freiheit und ein wachsender Wohlstand für breite Bevölkerungskreise. Das gab es in der Menschheitsgeschichte nie zuvor. Das erhielt besondere Färbung durch den Eisernen Vorhang, der sich in manchen Abschnitten auf kuriose Art mit der alten Grenze zwischen Ostrom und Westrom deckte.Dem folgte spätestens in den 1960er Jahren eine weitreichende Volksmotorisierung. Das heißt, über den massenhaften individuellen Privatbesitz von Kraftfahrzeugen veränderten sich die Möglichkeiten der persönlichen Mobilität grundlegend. Auch das in einem historisch nie zuvor dagewesenen Ausmaß.
In Korrespondenz mit diesen Zusammenhängen entstand über einige Technologiesprünge eine vollkommen neuartige Info-Sphäre, die uns weltweit einhüllt. (Stichwort Internet!) Kommunikation wurde um Teleworking und Telepräsenz erweitert. Aber wozu hier diese umfangreiche Intrada zu einem Arbeitsgespräch in einem angenehmen Fürstenfelder Café? Meine kleine Hintergrundfolie soll nachvollziehbar machen, daß ich meine: Diese Debatte hätte im Landeszentrum Graz nicht besser stattfinden können.
Das Verhältnis Zentrum/Provinz ist heute völlig anders als in Tagen, da wir noch junge Leute gewesen sind. Von hier aus, von der Provinz aus, von der einstigen Randlage aus, setzen wir Schritte, die eine Kulturpolitik auf der Höhe der Zeit betreffen. Diese Angelegenheiten, also beide, nämlich die Kulturpolitik und die Höhe der Zeit, sind nicht mehr Domäne gebildeter Schichten im Zentrum. Dem kann man sich längst überall auf relevante Art widmen, wo sich der Diskurs via Telepräsenz aus alten räumlichen Bindungen befreien läßt. (Deshalb bleiben reale soziale Begegnungen dennoch unverzichtbar!)
Hinzu kommt, daß man ja die Geschichte der Steiermark kennen könnte, um zu wissen: was heute eventuell ein Dorf ist, war einst ein wichtiges Zentrum, ein Umschlagplatz, eine bedeutende Markierung auf einer Handelsroute, was auch immer von anderem Rang.
Falls Sie es genauer wissen wollen, fragen Sie sich einmal, welchen Klang der Name Wildon im Mittelalter gehabt haben mag oder was Pöllau bei Hartberg schon für Funktionen im geschichtlichen Verkehrswesen hatte. Aber warum nicht gleich Flavia Solva? Leibnitz ist ja etwas ruhig geworden, doch das einstige Verwaltungszentrum der römischen Provinz Noricum ist von einer etwas weit größeren Dimension gewesen.
Kann ich den wesentlichen Punkt deutlich machen? Wie sich Dinge und Orte zur Zeit anfühlen, das sind alles historische Episoden. Was also, wenn durch verschiedene Kräftespiele längst Umbrüche ausgelöst wurden, die unsere vertrauten Plätze und Begriffe in völlig andere Zusammenhänge setzen? Was, wenn vieles davon sich schon demnächst oder längst ereignet? Na, dann wären wir gut beraten, uns heute nicht all zu schlau fühlen zu wollen, stattdessen darüber zu reden, wie wir uns jetzt dem zuwenden könnten, was im Moment noch nicht gedacht werden kann.
Zukunfstfähigkeit#
Von all dem handelt zum Beispiel die Frage nach der Zukunfstfähigkeit eines Gemeinwesens. Genau das sind dann auch kulturpolitische Fragestellungen. Daher meine ich, wir sollten zuerst einmal herausfinden, was denn jetzt eine gute Frage sei. Oder ein kleiner Katalog guter Fragen.Wer jetzt Atemnot verspürt und mir schon aufgeregt mit Antworten kommen möchte, möge sich eine andere Party suchen. Wer jetzt schon Antworten hat, ohne die Fragen genau zu kennen, gehört zu einer Liga, von der ich seit Jahren an jeder Ecke einige Mitglieder treffe. „Ihr braucht mich nicht!“ möchte ich ihnen zurufen. Laßt mich in Ruhe nachdenken, also langsamer nachdenken! (Eurem Tempo traue ich nicht!)
Darüber haben wir übrigens in jenem Fürstenfelder Café auch gesprochen. Majcen betonte das Tempo, mit dem uns a) Nachrichten (Neuigkeiten) und b) Innovationen (Neuheiten) permanent überrollen. Gut. Das ist so. Wie man mit der Natur nicht verhandeln kann, sind solche Prozesse nicht ohne weiteres lenkbar.
Europa hat am Beginn der Dampfmaschinenmoderne die Ludditen erlebt, Maschinenstürmer. Das war keine nützliche Reaktion auf jene Dynamik der Entwicklungen. Wir brauchen andere Strategien, um abzuwenden, was Philosoph Günther Anders die „Prometheische Scham“ nannte; daß von uns entwickelte Werkzeuge und Maschinen uns in ihren Schatten stellen.
Deshalb möchte ich mindestens in diesem kleinen kulturpolitischen Diskurs auf dem Menschenmaß beharren und Langsamkeit einfordern, daran festhalten, wo es keine Abkürzungen gibt und wo uns Tempo keine brauchbaren Erkenntnisse liefert.
Es gilt immer noch diese alte Empfehlung aus der Antike: Erkenntnis möge sich nicht bezahlt machen, sondern erweisen. Ich muß auf der Beachtung dieser Empfehlung bestehen, wo es um Grundlagen der Wissens- und Kulturarbeit geht, auch um die Kunstpraxis. Mögen manche Bereiche dieser Genres ihre Expreßabteilungen haben. Da, wo ich arbeite, gibt es keine schnellen Lösungen und keinen Primat der Wow-Effekte.
Karl Bauer und Franz Majcen zeigten sich sehr geneigt, einen Teil unserer Überlegungen auf diese Aspekte zu konzentrieren. Wir generieren keine Wahrheiten, indem wir einfach Widersprüche eliminieren. Es geht hier um eine Praxis des Kontrastes. Zugegeben, das klingt jetzt noch recht allgemein. In Teil II dieser Notiz werde ich sehr viel konkreter werden.
- Fortsetzung: Teil II
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- Fotos: Martin Krusche
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