Kontraste der Zuversicht#
(Eine kulturpolitische Debatte II)#
Von Martin Krusche#
Beide sind als Politiker erfahren, beide versierte Kulturschaffende. Meine „Fürstenfeld-Session“ mit Franz Majcen und Karl Bauer zählt zu jenen erfreulichen Ereignissen, bei denen ich mit Politikern in aller Ruhe über inhaltliche Fragen reden kann, ohne daß wir einander als Ressourcen benutzen und dabei irgendeinen dahinterliegenden Zweck bedienen.
Niemand sollte behaupten, das sei unmöglich. Man muß es bloß wollen. Ich hab das bisher in allerhand Varianten erlebt. Quer durch die politische oder Verwaltungs-Hierarchie, vom lokalen Kulturreferenten über den steirischen Kulturamtsleiter und den Landeskulturreferenten, bis rüber zum Kulturminister. Dabei ist meistens nur die Zeit etwas knapp. Aber wenn sowas nicht von heute auf morgen geschehen muß, ist es machbar.
Außerdem sollten wir gelegentlich wieder über die Qualität dessen reden, was wir „ergebnisoffen“ nennen. Im Sinn der alten kulturellen Perle: Muße. Das absichtslose Schauen, welches zu neuen Eindrücken führen kann, gelegentlich auch zu Erkenntnis. Wer das für eine Übung aus „Orchideenfächern“ hält, hat von Kultur wenig Ahnung und plädiert für die Gemütlichkeit des Neandertals. Ohne solche Optionen würden wir Menschen nämlich endlos stagnieren.
Zentrum/Provinz#
Wir sind zwar Bewohner der Provinz, leben also abseits des Landeszentrums, doch man wird uns nicht nachweisen können, daß wir im Umgang mit unseren Aufgaben schwächer seien als Leute im Zentrum Graz. Damit möchte ich betont sehen, daß wir immer wieder auf das „Denkmodell Zentrum/Provinz“ stoßen, aber der Lauf der Dinge hat längst andere Situationen geschaffen, denen solche Denkmustern nicht gerecht werden.In der Kurzfassung: individuelle Mobilität, neue Kommunikationstechniken und die Verbreitung von Aspekten des urbanen Lebens in fast alle Winkel des Landes machen das „alte Denken“ hinfällig. (Dazu kommt, daß wir eine Ära hinter uns haben, in der soziale Mobilität möglich war wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.)
Damit meine ich aber auch, wir sollten uns nicht hinreißen lassen, kulturelle Zentrums-Modi in die Provinz zu übertragen, dahin weiterzuschreiben, sondern wir könnten das Potential zeigen, neben dem kulturellen Regelbetrieb auch eigenständige Konzepte zu entwickeln, die aus der Erfahrung eines Lebens jenseits des Landeszentrums kommen.
Mit der Betonung des kulturellen Regelbetriebes anerkenne ich ein wesentliches Stück unserer Sozialgeschichte. Selbstverständlich hat die ländliche Bevölkerung sich seinerzeit in wichtigen Abschnitten an der städtischen Kultur bessergestellter Krise orientiert und von da Anregungen bezogen. Aber diese Art des Prozesses sollte abgeschlossen sein, auch wenn das inhaltlich/konzeptionell noch präsent ist. Von da aus mag Neues entwickelt werden.
Zeit & Tempo#
Franz Majcen sagte an einer Stelle des Gesprächs: „Es ändert sich alles so schnell.“ Dauernd würden neue Trends forciert. Majcen: „Trends sind dann oft mit hohen Aufwendungen verbunden.“ Da will man Effekte sehen, gegebenenfalls auch einen Return of Investment.Nun finden sich leicht Leute, die gerne bestätigen, daß nicht alle Lebensbereiche durchökonimisiert werden dürfen, weil man damit in manchen Genres das zerstören würde, was man zu erreichen sucht. Aber wird das in der Praxis beachtet? Reden wir nicht bloß seit mehr als einem Jahrzehnt über Entschleunigung? Sind uns Beispiele konkreter Umsetzung geläufig? Ich zweifle!
Und was hindert uns allenfalls, in Bereiche zu investieren, die nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien des Tagesgeschäfts kalkuliert werden dürfen? Na vielleicht drei Dinge, über die wir in Fürstenfeld gesprochen haben:
- Wir leben in einer Zeit, da die Mühen des Wissenserwerbs als Witz und als Lachnummer gelten.
- Viele scheuen die Befassung mit Aufgaben, die einen erhöhten Zeitaufwand zur Voraussetzung haben, weil es da keine Abkürzungen gibt und Beschleunigung die Ergebnisse verfälscht.
- Wir nehmen Ergebnisoffenheit als wichtiges Mittel mancher Entwicklungen nicht ausreichend ernst und neigen dazu, „Innovation“ für konstruierbar zu halten, statt etwas zu erdenken, zu erproben, um dann im Rückblick zu prüfen: Ist Neues gelungen?
Bei solchen Gelegenheiten zitiere ich gerne Emeritus Hermann Maurer, der als Informatiker eine Weltkarriere absolviert hat: „Vieles, was vorausgesagt wurde, ist nicht gekommen. Viele was gekommen ist, wurde nicht vorausgesagt.“ Das stellt jemand fest, der große technische Entwicklungssprünge nicht bloß miterlebt, sondern mitgeprägt hat. Maurer gehörte als junger Mann zum Team von Heinz Zemanek. Diese Gang of Excellence baute in den 1950ern das „Mailüfterl“, den ersten Volltransistor-Rechenautomat auf dem Kontinent, welcher völlig ohne Elektronenröhren arbeiten konnte. Von da an veränderte sich unser Alltags-Inventar in Sprüngen. Manche Experten, wie Maurer, haben eine Innenansicht solcher Prozesse.
Dreiergruppen#
So stand es in Fürstenfeld schließlich zumindest einmal als Arbeitshypothese im Raum: Wir müssen in manchen Bereichen darauf bestehen, daß unsere Arbeit Zeit braucht, nur in angemessener Langsamkeit gelingen kann. Ganz egal, welche „Normative Kraft das Faktischen“ von benachbarten Feldern her geltend gemacht wird, wir haben die Kompetenz, um festzustellen, welche Vorhaben von jeglicher Beschleunigung ausgenommen bleiben müssen, um brauchbare Ergebnisse zu bringen.Das kann man freilich der Kulturpolitik keinesfalls allgemein vorschreiben. Bestehende Prioritäten des kulturellen Regelbetriebs können weder ignoriert, noch übersteuert werden. Wir müssen daher, wenn es um derlei Nischenbereiche geht, mit den Gegebenheiten so arbeiten, wie wir sie vorfinden.
Das würde für eine achtsam geführte Trennschärfe sprechen. Nicht jedes Genre kann nach den gleichen Regeln funktionieren. Das sollte eigentlich allgemein klar sein, ist es aber offenbar nicht. Also haben wir in unserer Debatte erst einmal drei grundlegende Genres genannt und komplementär angeordnet:
- Grundlagenarbeit
- kultureller Regelbetrieb
- Archive (Artefakte und Dokumente)
Das ist eine von mehreren Dreiergruppen, mit denen ich die Wissens- und Kulturarbeit beschreiben mag. Die Archive sind mein Rückhalt für inhaltliche Arbeit, sind Fundus und Fundament. Zum kulturellen Regelbetrieb hab ich derzeit nichts zu sagen. Der läuft ohnehin wie gewohnt, wird von unzähligen Menschen vertreten und betrieben, dazu werde ich nicht gebraucht.
Was aber an Grundlagenarbeit nötig wäre, um relevante Beiträge für die Zukunftsfähigkeit eines Gemeinwesens zu schaffen, ist voller schöner Fragen und Aufgaben. Das sollten wir im Austausch sehr verschiedener Menschen untereinander deutlich werden lassen. Somit sind nun Fragen zu formulieren, die mit Majcen, Bauer, aber auch anderen Kräften erörtert werden sollten.
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- Fotos: Martin Krusche
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