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Vom Lochstreifen zur Cloud[1]#

Von

Britta Schinzel

Erstpublikation unter "Erzählte Erfahrungen" im Heft 208 (2015), S. 7 - 30, der "Freiburger Universitätsblätter", im Rombach Verlag Freiburg, vom Verlag freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.


Britta Schinzel
Britta Schinzel

Ich danke dem Rektor Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Jochen Schiewer sehr dafür, im Rahmen dieser Reihe eine Stimme zu bekommen, und ich danke Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser für Ihr Interesse an diesem Text.

Vorab: Ich bin Österreicherin und das wird sich gelegentlich zeigen. Aber ich unterdrücke hier den in Österreich gepflegten Kulturpessimismus, denn ich bin doch auch wieder deutsch genug, um der österreichischen Lust am Grotesken und Abgründigen einen Idealismus entgegenzuhalten, der nach Maß der Vernunft zur Weltverbesserung beitragen will. Ich lebe von dem riesigen Vorrat an Erlebnissen und Erlerntem an der Universität und kann diesen nach wie vor weder erfassen noch gar beschreibend in diesen Text pressen. Ich pflegte zu sagen, daß ich in einer Woche mehr erlebt habe als andere in einem Jahr. Ein schönes, ungeheuer interessantes, vielschichtiges, bewegtes Leben hat mir die Universität ermöglicht und ich danke ihr sehr dafür. Sie war mir überdies während des Studiums Wärmestube in den wunderschönen Barocksälen der Bibliotheken von Wien und Innsbruck, sie war ein unübertreffliches Mittel zur Erweiterung meiner selbst, später so hoffe ich, als Lehrende auch anderer, und zu einem kleinen, aber nicht zu übersehenden Teil auch Narrenkobel.

Ich habe begeistert so viele kluge und interessierte Studierende erlebt, intelligente, mit ihren Aufgaben identifizierte MitarbeiterInnen – ihnen vor allem gilt mein Dank für ihr Dasein in meiner Gruppe, ihre Loyalität und sogar Zuneigung, ihre Identifikation mit den wissenschaftlichen Aufgaben und die unermüdliche Tätigkeit, aber auch für die wunderbare Atmosphäre, die wir in meiner Abteilung meistens hatten. Ich durfte interessante und manche bewundernswerten KollegInnen kennen lernen, und – eher von außerhalb als innerhalb der eigenen Universitätswände – das Ego wunderbar nährende Bestätigungen erhalten. Aber auch, wie überall wo Menschen zusammen arbeiten, jede Menge Frust, viel zu viel Bürokratie, absurde, aber notwendige Tätigkeiten. Ich hätte mir immer gewünscht, daß einmal einE JournalistIn oder eine BeamtIn des Ministeriums einE ProfessorIn für einen Arbeitstag lang begleitete. Sie würden sich vermutlich fragen, ob die Arbeit, die da anfällt, für Lehrende und Forschende nicht etwas deviant ist, und wann sie wohl Wissenschaft betreiben und wann sie die Lehre vorbereiten soll. Die zu leistende Arbeit könnte zehn Leben ausfüllen, und so kann frau auswählen, was sie davon verantwortungsvoll erledigen möchte.

Ich bin eine Dinosaurierin der Informatik, war von Anfang an dabei, und war 1977 an der TH (heute TU) Darmstadt die erste habilitierte Informatikerin im deutschen Sprachraum, 1981 die zweite Informatik Professorin im deutschen Sprachraum. Als solche, und nur deshalb, bin ich eine Pionierin. Und das war naturgemäß nicht einfach. Die Widersprüche zwischen den Männlichkeitsnormen dieser Wissenschaften und den Ansprüchen an die Weiblichkeitsrolle machen auch heute noch den Aufenthalt, zumindest in MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik)-Fächern, zu einer Gratwanderung mit gefährlichen Absturzrisiken.

Biografisches#

Meiner Mutter wäre es lieber gewesen, wenn ich Musik studiert hätte, aber mein Vater hat meine naturwissenschaftlichen Interessen immer unterstützt. Nach der Matura interessierte ich mich für alle möglichen Berufe und Fächer, begann dann mit Philosophie, Physik, Mathematik. »Sehnsucht nach Objektivität«, so formulierte es eine der von uns in der DFG-Studie »Weltbilder Informatik« befragten Studentinnen, das war auch für mich der Grund, Philosophie rasch hintan zu stellen und mich mehr auf die anderen Fächer zu konzentrieren. In Innsbruck und Wien habe ich dann Mathematik und das Nebenfach Physik studiert und in Innsbruck bei Prof. Wolfgang Gröbner promoviert. Er selbst war algebraischer Geometer der italienischen Schule, aber auch Schüler von Emmy Noether, der grande dame der Algebraischen Geometrie. In Innsbruck gab es auch den ersten Computer an einer österreichischen Universität, eine ZUSE Z 23, an der ich auch gerechnet habe. Deren Assemblersprache (d.i. die Maschinensprache, allerdings mit symbolischer Adressierung, damit man die langen Speicheradressen nicht jedesmal ausschreiben muß), hieß Freiburger Code, weil Freiburger Mathematiker sie entwickelt hatten.

Nach dem Studium wollte ich im Bereich nicht-numerischer Anwendungen arbeiten und kam so in die junge deutsche Computerindustrie zu AEG-Telefunken, wo wir Compiler-Compiler entwickelten. Das sind Übersetzer von höheren Programmiersprachen in eine Zwischensprache, BCPL, die Vorgängerin von C, von der dann das Übersetzungsprodukt ein für allemal auf Assemblerebene heruntergezogen wurde. Die Arbeitsrechner dort waren ein Hybridrechner TR 86 und eine Mainframe TR 440, die von Operateuren betrieben wurden. Die Eingabe geschah im Stapel- (Batch-) Betrieb mit 5-Kanal-Lochstreifen, die wir uns wie mehrreihige Ketten um den Hals hingen. (Das Markenzeichen der stolzen IBM-er waren die in die Brusttaschen gesteckten Lochkarten, als Notizzettel weiterverwendet). Man gab den Operateuren einen aus handschriftlichen Aufzeichnungen von Stanzerinnen gestanzten Lochstreifen ab und erhielt nach 2-3 Tagen einen Ausdruck auf Endlospapier zurück, der zunächst vor allem syntaktische Fehlermeldungen (Komma statt Semikolon, etc.) als Ergebnisse lieferte. Wenn möglich versuchte man den alten Lochstreifen durch eigenhändige Überstanzungen zu korrigieren und gab diesen dann wieder ab, bis der Prozeß konvergierte. Damit war immer noch nicht gesichert, daß das Programm Sinnvolles leistete, also endlich auf Eingaben Ausgabedaten lieferte, aber auch dieser Prozeß kam irgendwann zu einem Ende und stolz konnte man die Leistungen seines Programms bewundern.

Einschub: Lochstreifen und die nachhaltige Erfindung einer sehr schönen Frau #

Hedy Lamarr, eine Wiener Schauspielerin (im Film »Ekstase« spielte sie 1933 die erste Nacktszene der Filmgeschichte) arbeitete mit Lochstreifen für Pianolas. Sie war vor ihrem österreichischen Ehemann Fritz Mandl 1937 nach Paris geflohen. Er war Waffenfabrikant, was später noch relevant wurde, und er war sehr eifersüchtig (er hatte deshalb auch alle Exemplare des Films »Ekstase« aufgekauft), und er hatte sie eingesperrt, denn sie galt als die schönste Frau der Welt. Von Paris fuhr sie über London nach Amerika, und kam sofort mit größtem Erfolg bei Metro Goldwyn Meyer unter Vertrag, was äußerst ungewöhnlich war. Über ihre Film-Erfahrungen gibt es folgendes Zitat: »Any girl can be glamorous. All you have to do is stand still and look stupid«.

Bei ihrer Beschäftigung mit Filmmusik hatte sie zusammen mit dem Komponisten Georges Antheil das Frequenzsprungverfahren zur Synchronisation von durch 16 Lochstreifengesteuerten mechanischen Klavieren erfunden.

Hedy Lamarr
Hedy Lamarr, Sonderpostmarke 2011
© Österreichische Post

Während des 2. Weltkriegs wollte sie die deutsche Marine bekämpfen, indem sie aufgrund ihrer von ihrem Ehemann erfahrenen Kenntnisse über Funktechnik dieses Frequenzsprungverfahren umnutzte und es für eine unverfolgbare Steuerung von Torpedos anpaßte. Diese Methode wird heute für jede Kommunikation zwischen mobilen Telefonen, Funknetzwerken und mobilem Internet eingesetzt, um sie störungs- und abhörsicher zu machen. Praktisch jedes Smartphone, jeder Laptop und jedes Navigationssystem operiert auf Basis dieser Erfindung. Zurück zu AEG-Telefunken. Damals begann die Entwicklung von Timesharing an Mainframes und es gab auch einige Monitore, von denen aus ein direkter Zugang zu den Großcomputern möglich wurde. Doch hielten die Kollegen es für ausgeschlossen, daß je jeder Arbeitsplatz einen Monitor erhalten könne, sowohl wegen der Warteschlangenprobleme im Rechner als auch wegen der zu hohen Kosten (300.-DM pro Monitor). Im Compilerbau war das Vorgehen ingenieursmäßig, also wie man sagte, handgestrickt, d.h. methodenlos, und obgleich mir die Computerei gefiel, wollte ich doch mein Studium nicht ganz unter den Tisch fallen lassen und ging deshalb, wieder mein Gebiet wechselnd, nach vier Jahren Industrietätigkeit als Assistentin an die TH Darmstadt in die Theorie-Abteilung zu Prof. Walter. Hier wurde gerade der neue Studiengang Informatik aufgebaut, das Curriculum entwickelt und die sofort zahlreichen Studierenden mit einer Mischung aus Mathematik und E-Technik unterrichtet. Mathematisch waren die Chomsky’sche Theorie der Formalen Sprachen und logische Semantik formaler Sprachen, die u.a. von John v. Neumann und McCulloch und Pitts begonnene Automatentheorie, sowie die logischen Grundlagen der Algorithmik, die Theorie rekursiver Funktionen. Meine eigene Arbeit und die mit von mir betreuten Qualifikationsarbeiten der Studierenden lagen vorwiegend in den Bereichen Mosaikautomaten (heute zelluläre Automaten) und Rekursionstheorie (rekursionstheoretische Lernmodelle der Induktiven Inferenz, sowie Nummerierungen). Ich hatte mir die Letztere als Habilitationsgebiet ausgesucht, was dort eine Nische war, denn mein Gebiet »Nummerierungen« wurde vor allem in den Ostblockländern, u.a. der DDR im Rahmen der mathematischen Logik bearbeitet. Deshalb fand ich auch vor allem zunächst in der DDR und Polen Anklang und machte meine Erfahrungen mit den Beschränkungen, mit denen meine KollegInnen dort leben mußten, und in Folge auch mit den Kommunikationsschwierigkeiten der weitestgehend verbotenen wissenschaftlichen Kontakte, die wenn nicht auf Tagungen, in geheimen Treffen in Parks etc. stattfinden mußten. Briefe mußten an Privatadressen geschickt werden. Eine Ausnahme stellte die Universität Jena dar, wohin ich mehrfach eingeladen wurde, aber die Humboldt-Universität Berlin durfte ich nicht betreten, auch nicht befreundete Kollegen besuchen, bei denen ich mich angemeldet hatte: sie entschuldigten sich für die Unmöglichkeit. Die wissenschaftlichen Texte und Briefe wurden damals im Sekretariat, am Ende auf einer teuren IBM Kugelkopfmaschine, je nach verfügbarer Zeit von der Sekretärin des Chefs, oder abends und am Wochenende von uns selbst geschrieben.

Ich habilitierte mich an der TH Darmstadt in Theoretischer Informatik und mein Professor war stolz, daß unter seinen Fittichen eine Frau sich habilitierte. Es war eine Aufbruchzeit, die MathematikerInnen und E-TechnikerInnen, die sich für die Informatik entschieden hatten, viele Möglichkeiten bot. Auch ich bekam Rufe auf C3-Stellen und ich entschied mich 1981 für die

RWTH Aachen#

Anfang der 80-er Jahre wurden die Mainframes und persönliche Monitore an Timesharing-Maschinen zunächst ergänzt durch Homecomputer, wie der Name schon sagt, für Kochrezepte und Kalender gedacht. Später lösten Personal Computer die Mainframes weitgehend ab, eine Entwicklung, die niemand erwartet hatte. Mit der privaten Verbreitung erweiterten sich die Anwendungsfelder und so wurde auch die zuvor großenteils Frauen überlassene Software und Programmiersprachenentwicklung sehr viel wichtiger als die bisher vorrangige und weitgehend Männern vorbehaltene Hardware, was sich Mitte der 80-er Jahre auch in einem drastischen Einbruch der Frauenbeteiligung am Informatik-Studium niederschlug. In Aachen ging ihre Zahl von 24% auf 10% zurück. Im Folgenden gab es zwar arbeitsmarktabhängige Schwankungen, aber der ursprüngliche Frauenanteil wurde nie mehr erreicht.[2] Im Ostblock war das übrigens ganz anders, in der DDR gab es Anfang der 1980-er Jahre noch eine Frauenbeteiligung von 60-80%, die mit der Wiedervereinigung auf 8% herunterfiel.[3] Und in den arabischen Ländern (vor dem »arabischen Frühling«) dominieren Frauen in der universitären Informatik[4] oder die Verteilung war paritätisch, ähnlich in ostasiatischen Ländern mit Ausnahme Japans. Heute sind die Informatik-Frauenanteile in Deutschland gestiegen, aber sie sind vermutlich auf den höheren AusländerInnenanteil zurückzuführen. Immer schon haben die Ausländerinnen den Frauenanteil in der Informatik hinaufgedrückt.[5]

Inzwischen hatten wir je einen Monitor zum Timesharing-Mainframe oder einen Homecomputer am Arbeitsplatz. Für zu Hause wurden die kleinen Amiga, Commodore oder Atari angeschafft, mit denen man experimentieren und spielen, später auch Texte schreiben, Tabellen und Datenbanken anlegen konnte. Ab Mitte der 1980-er Jahre hatten wir bereits vernetzte PCs und Monitore zu den Universitäts-Großrechnern auf den Schreibtischen, der Batch-Betrieb war abgelöst durch direkte Ein-/Ausgabe, sodaß das Programmieren an eigenen Konsolen – für Studierende in Rechnerpools – aufwandsärmer möglich wurde. Wir konnten unsere Texte in Wordstar allmählich selbst schreiben und die Sekretärinnen konnten sich zunehmend organisatorischen Aufgaben widmen. Und auf einmal konnten auch Männer tippen, während es vorher geheißen hatte, die beweglicheren Finger von Frauen seien dafür geeigneter. Heute können sogar dicke Würstelfinger kleine Handytastaturen bedienen. Es wurde möglich, über das USENET e-mails zu schreiben und zu empfangen und neben den proprietären Betriebssystemen von IBM, Mac und später Microsoft Windows gab es schon das Betriebssystem UNIX, das auch für das spätere Internet und die gesamte OpenSource Bewegung grundlegend war.

Die Informatiker an der RWTH waren allesamt Theoretiker, weshalb der Drang zur Praxisorientierung immer dringender wurde. Ohnedies waren wir gezwungen, bei einer 180%-igen Überlast an Studierenden, alles quer über das ganze Curriculum zu lehren. Und so konnte ich die Qualifikationsarbeiten der Studierenden, bis zu 50 Diplomarbeiten pro Jahr, nur in interdisziplinärer Kooperation mit den Ingenieurswissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften, der Medizin, der Biologie, der Materialforschung, der Linguistik etc. bewältigen. Das war per se ein Zwang in die Praxis, den ich über den Weg der Künstlichen Intelligenzforschung (KI) nahm, in Fortsetzung der Darmstädter Arbeit am rekursionstheoretischen Lernmodell, der Induktiven Inferenz. So hatten wir neben Arbeiten über die logische Modellierung und Erklärungskomponenten von wissensbasierten Systemen viele Expertensystemprojekte, deren Anforderungen aus den Kooperationsfächern kamen: zur Haltbarkeit von Kunststoffen in unterschiedlichen Einbettungen, zur geschmacklich konstanten Schokoladeproduktion bei Lambertz, zu ökonomischen Simulationen, Robotikprojekte für die Bewegungsgeometrie im Maschinenbau, Wissensbasierte Systeme in der Neuroanatomie, neuronale Netze (Fukushma-Netzwerke) zur Simulation einiger menschlicher Sehleistungen, lernende Systeme, Bildgebung für die Medizin, etc. Darüber erschien mir allmählich die Beschäftigung mit philosophischen Aspekten (etwa der Aussagekraft des Turing-Tests, oder seine Konterkarierung in Searle’s Chinesischem Zimmer – Themen aus der Philosophie des Geistes) und gesellschaftlichen Wirkungen der KI unabdingbar und so suchte ich die Kooperation mit PsychologInnen, SoziologInnen, LinguistInnen, PhilosophInnen u.a., zunächst zur gemeinsamen Abhaltung von Seminaren, später auch in Forschungsprojekten, teilweise mit Drittmitteln gefördert.

In der Fakultät für Geisteswissenschaften, der einzigen nicht naturwissenschaftlich-technischen Fakultät an der RWTH, fühlte ich mich besonders wohl, besuchte die dortigen Ringvorlesungen, bis ich selbst eine solche betreute, dann schon zum Thema Frauenforschung in Mathematik, Naturwissenschaft und Technik. Und früh schon trat ich der NGO Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) bei, die von der ersten Informatik-Professorin Christiane Floyd, auch einer Österreicherin, initiiert worden war.

Freiburg#

Deutsche Lehrstühle für Informatik und Gesellschaft waren in der Informatik ab 1983 mit dem Erfolg für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung beim Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts eingerichtet worden. Inzwischen sind übrigens alle umdefiniert oder gestrichen, während gleichzeitig von der Gesellschaft für Informatik (GI) die zunehmende Dringlichkeit des Fachs beschworen wird. Ende der 1980-er Jahre hatte der damalige Baden-Württembergische Ministerpräsident Lothar Späth das Institut für Informatik und Gesellschaft an der Universität Freiburg ins Leben gerufen, das an drei Lehrstühlen die Wirkungen der Informationstechnik in der Wirtschaft, auf das Individuum und auf die Gesellschaft behandeln sollte. Den dritten Lehrstuhl wollte die Soziologie nicht nehmen, da sie (die von ihr als einzig einschlägiges Gebiet erachtete) Technikfolgenabschätzung als nicht ausreichend wissenschaftlich durchdrungen ansah, also nahm ihn die Mathematik, und so kam ich 1990 zu der Ehre, zur Bewerbung aufgefordert zu werden, da ich den Spagat von Mathematik zu Informatik und Gesellschaft zu leisten in der Lage schien. Als ich den Ruf bekam, hatte ich meinen Platz an der RWTH gefunden und es fiel mir durchaus schwer, an die Universität Freiburg zu wechseln. Unter anderem auch deshalb, weil in der Wertehierarchie der Informatik, wie der Naturwissenschaften überhaupt, die Mathematik und die von ihr abgeleitete formale Theorie am höchsten rangiert und ein in MINT so genanntes Laberfach wie Informatik und Gesellschaft (I&G) am niedrigsten. So war es für mich auch ein größeres Identitätsproblem, die narzißtischen Ansprüche an meine fachlichen Identitäten zurückzunehmen und einen solchen Lehrstuhl am Institut für Informatik und Gesellschaft (IIG) anzunehmen. Und die Erwartungen an die Wertschätzung meiner neuen Aufgabe erfüllten sich sogleich. Mit mir kamen auch die MitarbeiterInnen in den interdisziplinären KI-Projekten. Es waren das BMBF- geförderte MEDWIS Projekt HYBRIKON (ein wissensbasiertes System für einen Hirnatlas für die Neuroanatomie), das Projekt PARLEX (einem linguistischen Grammatik- und Verbanalyse-Programm, das Heringers Grammatik des Deutschen formalisiert, mit einem »semantischen Inspektor« zur Gewinnung von Chunks in großen Textkorpora), sowie SUSI, ein Projekt zu graphischen Benutzungsoberflächen (GUIs). Und ich habe mich auch lange noch in den alten Communities bewegt, wie zuvor schon natürlich auch in denen von Informatik und Gesellschaft, immer schon im FIfF und den GI-Fachgruppen von »Informatik und Gesellschaft«, also »Informatik und Ethik«, »Frauenarbeit und Informatik«, etc. Auch an der Universität Freiburg habe ich sehr viele Erfahrungen gesammelt, und obgleich hier, sowohl in den Wissenschaften als auch in der Verwaltung die Kulturen sehr verschieden waren von denen in Aachen oder Darmstadt und die Lehrbelastung deutlich geringer war, war es keineswegs einfacher. Eher bittere Lehren waren beispielsweise, daß die Einbettung in eine Fakultät auch einen Schutz darstellt; oder die von mir zwar erwartete, in ihren Auswirkungen für die Informatik-MitarbeiterInnen jedoch weit unterschätzte Bewertung des Faches I&G: Stellten sie sich für eine (Zweit-)Begutachtung ihrer Qualifikationsarbeit vor, so wurden sie manchmal zuerst abgeprüft, als hätten sie nicht ein Informatik-Diplom an einer renommierten technischen Universität erworben gehabt. Offenbar konnten manche Kollegen sich nicht vorstellen, daß einE gute InformatikerIn freiwillig an einem solchen Institut arbeiten will. Inzwischen hatte ab Mitte der 1990-er Jahre das Internet-Protokoll die Vorgängerlösungen für die Kommunikation über Netzleitungen verdrängt, mit MOSAIC kamen die ersten Webbrowser auf und das World Wide Web wurde etabliert. Die Textverarbeitungsprogramme waren benutzungsfreundlicher geworden, Interfaces mit Grafik-fähigen Oberflächen, Maus und Keyboard kamen in Gebrauch, und die Datenbanken wurden auch für Laien handhabbarer, sodaß auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften die ursprüngliche Skepsis gegen Computer allmählich einer mehr oder weniger begeisterten Aneignung wich.

Als sich die Informatik an der Universität Freiburg 1997 konstituiert hatte, wurden meine Lehraufgaben in der Kerninformatik als Nebenfach für die Mathematik sukzessive überflüssig, gleichzeitig hatten die aus Aachen mitgekommenen Mitarbeiter sich qualifiziert, mit Dissertationen übrigens fast sämtlich an anderen Universitäten (RWTH Aachen, Duisburg, Dortmund, Paderborn, Augsburg), da die interdisziplinären Arbeiten, trotz wichtiger Anteile an mathematisch-logischer oder informatischer Modellierung und Programmierung den Reinheitsprinzipien der mathematischen Fakultät und der Informatik nicht entsprachen. Da die Kollegen aus der Informatik konform mit den MINT-Methoden interdisziplinäre Arbeit mit geisteswissenschaftlichen Fächern für unmöglich hielten, wurde die Brücke der Informatik zu den Geisteswissenschaften ausschließlich in der Kognitionswissenschaft gesehen, welche sich in Freiburg wiederum als Naturwissenschaft geriert. Wert-Vorstellungen und Habitus sind meiner Erfahrung nach überhaupt die ersten und prägendsten Lernerfolge von Studierenden an einer Universität. Und so sprechen die Studierenden der MINT-Fächer bereits nach einem Semester von den Geisteswissenschaften als den »Laberfächern« und die Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen von den dummen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, die noch nicht einmal wissen, was ein Thesenpapier ist. Ja, richtig, die objektive Wissenschaft der MINT-Fächer braucht keine Thesen. Die Informatik hat zwar einen wesentlich kontingenteren Charakter, aber das wird im Zuge der Identifikation mit Mathematik und Ingenieurswesen nur selten bewußt, meist erst im Berufsleben außerhalb der Universität. Um bezüglich der Qualifikationsarbeiten eine Änderung herbeizuführen, also nicht nur Multidisziplinarität, sondern auch Transdisziplinarität aus den MINT-Fächern heraus zu ermöglichen, verfaßte ich für das Rektorat einen Text, der beschrieb, was interdisziplinäre Arbeit auszeichnet, und worin innovative Leistungen und deren Schwierigkeitsgrade bestehen.[6] Denn die Hauptprobleme liegen m.E. in der Auffassung, daß Interdisziplinarität die MINT-Fächer mit ihren selbst definierten Abschließungen und Zielvorstellungen angeblich nicht weiterbringen, und das in enger Verbindung mit weitgehend irrealen Ansprüchen an Objektivität und Methodenreinheit, und wohl auch häufig mangelnder Bescheidenheit gegenüber alternativen Epistemologien. Aufgrund der anhaltenden Schwierigkeiten, interdisziplinäre Promotionen durchzubekommen, stellte ich neben MINT-FächlerInnen zunehmend mehr Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen ein, die eine Nähe zur Informatik hatten. Fast alle von ihnen waren verhinderte Physikerinnen, Mathematikerinnen oder Informatikerinnen, denen Lehrer oder Eltern gesagt hatten, sie sollten als Frau so ein Fach doch lieber nicht studieren. Mit ihnen haben wir eine große Zahl von Drittmittelprojekten durchgeführt, wie empirische Studien aus den Bereichen Informatik und Gesellschaft, Softwareentwicklung und Gender Studies Informatik, u.a. eine große quantitative deutschlandweite Informatik-StudentInnen-Studie, eine Begleitstudie für den Verein Software Process Improvement Quality SPIQ, in dem ich Gründungsmitglied bin; eine SoftwareentwicklerInnenstudie, die den Begriff Work-life balance in diesen Berufen als blanken Euphemismus aufdeckte; weiter eine DFG-Studie zur Professionalisierung der Informatik PROFI, und einige e-learning-Projekte mit der Ende der 1990-er Jahre noch sehr schmerzhaft zu gebrauchenden Software, eine e-Lehr-Kooperation mit HistorikerInnen zur Aufarbeitung und Webdarstellung der Badischen Revolution, später auch das bundesweite BMBF-Projekt Rechtsinformatik online RION. Und dann das mit Kollegin Sigrid Schmitz gegründete Baden-Württembergische Kompetenzforum Gender Studies in Informatik und Naturwissenschaft (GIN), das eigentlich an der Universität Freiburg auch nach meiner Pensionierung hätte fortbestehen sollen. Innerhalb dessen wurden eine ganze Reihe von weiteren Projekten durchgeführt, wie GERDA – ein wissensbasierter Hirnatlas, oder Arbeiten zur Bildtheorie der medizintechnischen Visualisierungen in Kooperation mit der Kunstwissenschaft. Wir entwickelten auch eine eigene e-Lehr/Lernumgebung mitsamt einem Content Management-System (CMS), in dem wir unsere konstruktiven Ideen zu einer aus Gendersicht adäquateren nichthierarchischen Wissensrepräsentation verwirklicht haben. Diese Umgebung und das CMS leben jetzt weiter an der Universität Wien bei Frau Kollegin Schmitz an ihrer Lehrkanzel für Gender Studies in Naturwissenschaft und Technik.

Notizen aus meiner persönlichen Feldforschung #

Wie bin ich zur Mathematik, zur Informatik, zu Informatik & Gesellschaft und zur Frauen- und Geschlechterforschung gekommen?

Ältestes Kind, Vatertochter, Mädchenschule, das waren Mitte des letzten Jahrhunderts die Sozialisiationsbedingungen, die es Frauen erleichtert haben, MINT-Fächer zu studieren. Zehnmal mehr Frauen aus Mädchengymnasien studierten MINT-Fächer als solche aus koedukativen Schulen. Eine Universitätskarriere hatte ich nie angestrebt, sondern war dazu erzogen worden, Ehefrau zu werden, die aber doch, wenn der Mann in einem künftigen Krieg fallen sollte, in der Lage wäre, die Kinder zu ernähren. Auch wenn ich beruflich weitgehend ziellos Mathematik studiert hatte, so habe ich, wenn irgendein Handschuh an mir vorbei flog, ihn aufgenommen und mir angezogen und so gab es irgendwann keinen anderen Ausweg aus der beruflichen Verengung, die ich mit der Annahme der ersten Professur durchaus als Einschränkung meiner Möglichkeiten empfand. Der Weg zur Professur wurde sicher dadurch erleichtert, daß ich aus einer weit verzweigten Professorenfamilie komme, mein Vater, mein Bruder, meine Cousine und etliche Onkels waren Professoren aus den unterschiedlichsten Fächern, sodaß der Beruf mir nicht ganz so fremd erschien.

Nicht zu leugnen ist, daß ich immer sehr hart gearbeitet habe. Doch ich bin mir auch bewußt, wieviel Unterstützung durch Lehrer, Gutachter und Kollegen, aber auch Zufälle zu solch einer Karriere beitragen, und ich bin sehr dankbar dafür, daß mir dieses für eine Frau meines Alters höchst unwahrscheinliche Glück beschieden war. Auch verglichen mit den vielen jüngeren und jungen KollegInnen, die bestens ausgebildet und hochqualifiziert in prekären Arbeitssituationen zu überleben gezwungen sind, sehe ich mich als Hänsin im Glück. Erschwerende Bedingungen waren zuerst der Feind in mir selbst, also das misogyne Introjekt weiblicher Kompetenzen, das Introjekt des aus allen Poren unserer Gesellschaft kriechenden Vorurteils über weibliche Inkompetenz in MINT-Fächern. Harvard-Präsident und Ökonom Larry Summers verkündete noch 2004, daß Frauen für Naturwissenschaften wenig geeignet sind, weil sie mit der linken Gehirnhälfte nicht naturwissenschaftlich denken können. Frau kann das also qua biologischen Geschlechts nicht. Das bedeutet aber auch, daß Frau nur dann wirklich Frau sein kann, wenn sie Naturwissenschaften nicht versteht.

Ein befreundeter Arzt sagte zu meinem Vater, wie können Sie nur zulassen, daß Ihre Tochter Mathematik studiert. Sie wird ihre Hormone verlieren, wird nicht heiraten und keine Kinder bekommen. Mein Vater, selbst Mediziner, lachte nur darüber. Nun könnten Sie sagen, dieser Arzt war halt ein etwas zurückgebliebener Ostmarkseppl, aber: 2013 im Frauenstudiengang Informatik in Bremen erklärt ein männlicher Lehrender den Studentinnen, daß Frauen nicht gut programmieren könnten.

Eine hiesige Freundin, sehr viel jünger als ich, sie war im Gymnasium immer die beste in Mathematik, hatte immer nur Einsen, und obgleich dies von ihren Eltern und ihrer Schule sehr wohl akzeptiert wurde, begann sie sich in der Pubertät zu fragen, ob sie denn so wirklich eine Frau sein könne, sie hat sich dann aus dem Unterricht ausgeklinkt bis sie stolz die erste 5 geschrieben hatte – jetzt bin ich eine Frau! Im Studium verhielt ich mich paradox: Ich sagte, ich weiß, Frauen können so etwas nicht, aber ich versuche es einfach mal, ich hatte ja aus der Mädchenschule keinen Vergleich mit den Buben. Die Kommilitonen sagten, du brauchst in der Prüfung ja nur zu lächeln und schon hast du deine 1. Also fing ich an, immer böse dreinzuschauen, damit niemand mir unterstellen sollte, ich bekäme gute Noten durch Lächeln. Im Übrigen fühlte ich mich keinesfalls diskriminiert, ebenso wenig wie später in der Industrie (auch wenn der einstellende Chef mich in die Bildverarbeitungs-Abteilung stecken wollte, wo die Einarbeitungszeit kurz war, weil ich ja doch bald heiraten würde; ich wollte aber in die Compilerabteilung) oder als Assistentin an der THD, im Gegenteil, ich wurde überall dort sehr gut behandelt.

Dennoch zieht sich etwas durch die eigene Wahrnehmung, das Anderssein, das frau kaschieren muß, denn sie will ja fachlich gleich sein und so auch anerkannt werden. In der Mathematik wirkte sich das zu meiner Zeit in Freiburg so aus, daß Bewerberinnen für Professuren in dunklen Hosen und sackähnlichen weiten Pullovern auftraten, nicht nur der impliziten Anforderung genügend, es dürfe nicht erkennbar sein, daß sie sich mit irgendetwas anderem beschäftigten als mit Mathematik, sondern auch daß ihr Geschlecht nicht erkennbar sein sollte. Aber frau wird ständig darauf gestoßen, daß das nicht geht, daß sie anders ist, deshalb ist sie möglichst ruhig, versteckt sich, bloß nicht auffallen, angepaßt sein; manche regeln das auch durch Übereifer in Frauenfeindlichkeit.

Fremdkörper Frau#

Schwierig wurde es für mich erst als Professorin.

Wir hatten in Aachen eine große mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät mit 110 Professoren, darin ich als einzige Frau. Mit einer rumänischen Flugzeugtechnikerin (die an der Concorde mitgearbeitet hatte und der Drittmittel zugunsten ihres Lehrstuhl-Kollegen entzogen wurden, da den Herren Assistenten nicht zugemutet werden konnte unter der Leitung der Frau zu arbeiten) waren wir unter ca. 450 Professoren in MINT-Fächern die zwei einzigen Frauen. Nur in der geisteswissenschaftlichen Fakultät gab es ein paar wenige weitere Frauen und in der Architektur auch zwei. Es hieß immer, in den nächsten zehn Jahren werden nur mehr Frauen in diese Fakultäten berufen werden (Unterton, das wird die Qualität aber erheblich schwächen!), doch dem war nicht so, die Architekturfakultät verlor alle Frauen, die Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ihre einzige Frau. Erst die Exzellenzinitiative hat eine Umorientierung erzwungen, die sich tatsächlich auch niedergeschlagen hat, im Frauenanteil und in der Qualität: Die RWTH hat auch die zweite Runde der Exzellenzinitiative geschafft.

Die ganzen zehn Jahre, die ich an der RWTH arbeitete, war ich auch Fakultätsratsmitglied, wäre also, so denkt man wohl, sehr sichtbar gewesen. Aber so war es nicht. Alle Dekane bis auf eine Ausnahme begrüßten die Fakultät mit »meine Herren«, und wenn ich mich versuchte zu Wort zu melden, wurde ich konsequent übersehen. Umgekehrt wurde bekannt, daß in den Anfängervorlesungen der Ingenieure mit 1300 Studierenden jede einzelne Frau mit Johlen und Pfiffen, sowie mit Papierfliegern begrüßt wurde, was nicht so viele überstanden haben. Mit Papierfliegern wurde ich in meinen Vorlesungen an der Tafel übrigens auch einmal bedacht, bis ich die Studierenden an ihr Erwachsenenalter erinnerte.

Sichtbarkeit vs Unsichtbarkeit#

Die Diskrepanz zwischen Fach und persönlicher Identität nahm ich erstmals bewußt wahr als Abweichung des Verhaltens der männlichen Kollegen untereinander und mit mir. Die eher kumpelhaften Umgangsformen an der TH Darmstadt gewöhnt, hatte mich das Verhalten der RWTH-Professoren untereinander sehr überrascht. Man begrüßte sich mit einer in den Hüften abgeknickten tiefen Verbeugung, die auch den großen Abstand für die Handreichung überbrückte, mit den feierlich betonten Worten »guten Tag, Herr Kollege«, welches hieß: »Du bist ein großer Wissenschaftler, und du anerkennst, daß auch ich ein großer Wissenschaftler bin.« Es ist klar, daß man eine Kollegin so nicht begrüßen konnte, also sah man lieber an ihr vorbei.

Durchweg fiel auch auf, daß meinen Kollegen keine Formensprache im Umgang mit Kolleginnen zur Verfügung stand. Es war als traute sich niemand mit mir zu sprechen, ja sogar mich anzusehen. Ich weste mit Tarnkappe. Wenn ich auf der Straße Kollegen begegnete und sie, weil sie dies nicht taten, zuerst grüßte, schauten sie mir offenen Mundes nach – ohne selbst zu grüßen, – zutiefst erstaunt, daß ich sie mit Namen kannte. Als ich einmal bei einer Feier zu einem Ehrendoktorat meiner Fakultät zugegen war, fragte mich ein Kollege, mit dem ich 10 Jahre lang im großen Fakultätsrat saß, freundlich, wessen Gattin ich sei. Auf meine Antwort: ich bin nicht verheiratet, fragte er verdattert, in welcher Funktion ich an diesem Fest teilnähme. Ich antwortete: »ich bin Ihre Kollegin«. Er, »ja stimmt, wir haben eine Frau im Kollegium«, und, als ob ich nicht da wäre: »die heißt Frau Schinzel«. Ein langjähriger Dekan unserer Fakultät kam zu den jährlichen Informatik-Festen und ich mußte ihm jedes Mal neu vorgestellt werden. Nachdem ich ein Jahr zuvor eine fast einstündige Unterredung mit ihm gehabt hatte, passierte es wieder, daß er mich bei der Begrüßung leeren Blicks ansah. Ich sagte mehrfach in sich steigerndem Unglauben, »es ist doch nicht möglich, daß Sie mich schon wieder nicht erkennen!« Nachdem mich ein Kollege vorgestellt hatte, meinte er »Sie haben auch jedesmal eine andere Haarfarbe!«, was nicht der Fall war. Erst als ich mir ein Motorrad gekauft hatte und in schwarzem Motorraddress, Nierengurt und rotem Motorradhelm in der Fakultät erschien und mit meiner Honda wieder abzischte, kannte man mich, allerdings nur in dieser Verkleidung.

Nun war meine Unsichtbarkeit als Informatikerin kein Alleinstellungsmerkmal der RWTH Aachen, setzte sich vielmehr partiell an der Universität Freiburg fort und vermischte sich mit der Stellung des Fachs Informatik und Gesellschaft. So wähnte sich ein maßgeblicher Informatik-Kollege als bis 1997 der einzige Informatiker an der Universität Freiburg. Aber ich war hier seit 1991 in der gleichen Fakultät tätig. Ich habe alle Vorlesungen für das Mathematik-Nebenfach Informatik gehalten, von Komplexitätstheorie über Künstliche Intelligenz, Künstliche Neuronale Netze, Kryptographie, Natürlichsprachliche Systeme, Expertensysteme, Lernende Systeme bis hin zu nichtklassischen Rechnerstrukturen und evolutionären Algorithmen. Erst als die Fakultät sich konstituiert hatte und die diesbezüglichen Fächer allmählich besetzt waren, zog ich mich immer mehr auf die Gebiete von Informatik und Gesellschaft zurück. Ich blieb aber Mitglied der Mathematischen Fakultät und wurde später für die Informatik kooptiert. Noch einmal an die RWTH Aachen: EinE PsychologIn mag es vielleicht nicht wundern, ich hatte in dieser Situation große Identitätsprobleme, denn ich befand mich natürlich auch in sachlichem Konflikt mit engeren Informatik-Kollegen, sodaß die Rationalität meiner Argumente fraglich schien. Schon die rein zahlenmäßige Übermacht der durchgesetzten »Irrationalität« ließ mich manchmal an meinem Verstand zweifeln. Aber nicht nur Mackie Messer in der Dreigroschenoper bekam Hilfe von oben: »Doch wo die Not am größten, ist die Rettung am nächsten«. Mich rettete nicht des Königs reitender Bote sondern die Frauenforschung. Ich begriff endlich, daß ich die Rationalitätsstrukturen nicht verstanden hatte, daß wir bei allem, worüber wir debattierten, der unausgesprochenen Rationale der Macht folgten, d.h. daß sich fast alle Sachprobleme nur als Verpackungsmaterial für Ressourcen- und Machtfragen herausstellen. Im Jargon der Uneigentlichkeit kommt es mit all dem die Sicht verstellen sollenden Ungesagten, um das es ja eigentlich geht, zu den komischsten Widersprüchen, Situationen und Auftritten, Rabelais ist nichts dagegen. Oder wie Fritz von Herzmanowski-Orlando titelt: »Der Kongress der blinden Seher«.

Dank der Frauenforschung wurde ich nun auch sehend und verstand auf einmal, wieso ich meinen Kollegen als unberechenbar irrational erschienen war, weil meine Argumente als möglicherweise widerspruchsvolle Ansprüche wahrgenommen worden waren – »Was wollen Sie eigentlich?« fragte mich ein Kollege – statt als Beiträge zu einer offenen Diskussion. Und, daß ich die Schwierigkeiten, die ich mir als Person angelastet hatte, mit allen Frauen in meiner Situation teile, daß sie also strukturell bedingt sind, und daß ich nicht so allein bin wie ich dachte. Mit diesem Wissen konnte ich mich vor Identitätsverlust bewahren. Frauen sind an der Universität wie in der Wissenschaft unbehaust, sie leben dort unintegriert in einer Parallelwelt. »Ich rechte mit den Göttern nicht, allein, der Zustand ist beklagenswert«, wie Goethes Iphigenie beklagt, das Land der Humanitas mit der Seele suchend. Jacques Lacan’s Wort: »la femme n’existe pas«, von der Philosophin Luce Irigaray wiederholt, gilt an der Universität ganz real, keineswegs nur metaphorisch. Selbst die Inklusion inkludiert den Ausschluß. Aus männlicher Sicht ist die Wissenschaftlerin die Marquise von O, die ohnmächtig von der männlichen Wissenschaft im Traum geschwängert wird, sich darüber ärgert und schließlich aber doch den Erzeuger ihrer Kompetenz und die Wissenschaft lieben lernt. Aus Frauensicht muß sich die Wissenschaftlerin in die fremde Uniform zwängen, sich normalisieren lassen. Die ersten Wissenschaftlerinnen sind ja zum großen Teil in der Nervenheilanstalt gelandet, weil die Differenz zur Norm zu groß war. Oder sie reagieren wie das Käthchen in »der Widerspenstigen Zähmung«, die ständig aus dem Rahmen fällt, obgleich sie ja eigentlich immer recht hat, leider läßt sie sich dann doch zähmen. Nicht so Semiramis, vielleicht das Modell für erfolgreiche Frauen an der Universität. Sie sollte Königin von Babylon werden, weil ihr Mann, der König, gestorben oder ermordet worden war. Sie war tatkräftig und als man sie wegen ihres Frauseins als Königin ablehnte, hat sie sich als ihr Sohn verkleidet und weitergemacht. Sie hat sich dabei sehr bewährt. Ich beschloß also, fortan immer Frauen zu fördern.

Und so begann ich auch gleich eine Untersuchung zum Informatik-Unterricht an Schulen, die übrigens als Resultat zeigte, daß für Mädchen an Mädchenschulen Informatik das zweitinteressanteste Fach nach Englisch war und das zweitleichteste nach Kunst (was von überraschten Zuhörenden – kontrafaktisch – meist so erklärt wird, daß vermutlich dort das Fach sehr viel weniger anspruchsvoll gelehrt wird), während Mädchen an koedukativen Schulen Informatik als das zweitschwerste und zweituninteressanteste nach Physik empfanden.

Zur Gleichstellung#

Als ich nach Freiburg kam, begann ich auch sofort mit Seminaren zu Frauen und Mathematik, was sehr interessiert aufgenommen wurde. Das sprach sich offenbar herum, denn alsbald kamen etliche Frauen auch aus anderen MINT-Fächern, um sich von uns beraten zu lassen. Und so habe ich sehr viele Geschichten gehört. Eine Biologin erzählte, daß die Frauen vor die Alternative gestellt wurden, Assistentin zu werden oder Kinder zu bekommen, da sie als Biologinnen am besten wissen müßten, wie schädlich es für die Kinder sei, wenn die Mütter nicht bei ihnen zu Hause wären. Eine andere Biologin kam einigermaßen verzweifelt zu uns: Sie hatte von ihrem Professor den Auftrag bekommen, eine Expertise zu erstellen, die biologisch erklären sollte, wieso Frauen so wenig zum Humankapital beitragen. Wird der Begriff Humankapital nicht komplementiert durch die unbezahlte Arbeit, die die Gesellschaft eigentlich zusammenkittet, so ist er zutiefst androzentrisch. Das und sozialwissenschaftliche Erklärungen konnten wir ihr mitgeben. Jahrelang und immer wieder war ich Frauenbeauftragte und später Gleichstellungsbeauftragte zunächst der Mathematischen Fakultät, dann derselben mit Physik, später stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte der Universität neben Frau Kollegin Villinger, zuständig für die MINT-Fächer. Ich sammelte unterschiedlichste Daten, die durchaus Erhellendes zutage förderten, auch einiges, was sich leicht in ausgleichende Maßnahmen hätte umsetzen lassen, und schrieb auf Bitten des damaligen Prorektors für Lehre eine 25-seitige Expertise mit den eruierten Befunden und konstruktiven Änderungsvorschlägen für die Mathematik und die Physik, und allgemeiner für die naturwissenschaftlichen Fächer, ohne je eine Reaktion zu erhalten. Im Verlauf dieser Recherchen hörte ich viele Klagen, auch von Seiten der Professoren. So erzählten mir mehrere Mathematiker, daß wenn sie wirklich ausgezeichnete Frauen nach ihrem Abschluß fragten, ob sie nicht promovieren oder sich habilitieren möchten, sie das bedauerlicherweise fast immer ablehnten mit der Begründung, sie hätten schon andere Planungen. Und diese Frauen waren jeweils höchst erstaunt, daß sie dafür überhaupt in Frage kämen. Der zu ziehende Schluß wäre, ihnen schon viel früher zu vermitteln, daß sie »gut sind«, was sie selbst aufgrund ihrer Außenseiterposition auch bei guten Noten nicht so wahrnehmen. Doch dazu sah man sich aus Gründen der Gleichbehandlung außerstande. Mehrere Biologen antworteten mir auf analoge Beobachtungen bei Biologinnen, die Frauen seien einfach zu faul, sie wollten lieber Familie und Kinder haben als sich dem so anstrengenden Leben als Wissenschaftlerinnen auszusetzen.

Die Mathematik hatte und, so hoffe ich, hat noch immer, den besten Frauenförderplan und heute immerhin 3 hochrangige Professorinnen. In der Informatik wurde die Leibnizpreisträgerin Susanne Albers abgelöst von der ebenfalls sehr anerkannten Hanna Bast, und die Mikrosystemtechnik hat zwei Professorinnen und eine Juniorprofessorin. Im Vergleich zu anderen deutschen Universitäten fällt Freiburg mit 17% bei den Professorinnenzahlen dennoch zurück, diese werden allerdings auch von außerhalb berufen. Besorgniserregender ist m. E. die Entwicklung der weiblichen Qualifizierungen in Freiburg, insbesondere der Habilitationen, die 2010 und 2012 enorm zurückgegangen sind, unter den Professorinnenanteil, auf 15,8 %, trotz 56% weiblichen Studierendenanteils. Ein Gesetzestext zur allgemeinen Gleichstellung soll unabhängig von der Gruppe jene Gruppe, die unterprivilegiert ist, als förderwürdig darstellen. Und da tritt die grundsätzliche Frage auf, warum sollen nicht auch Migranten gefördert werden, Kinder von Nicht-AkademikerInnen, und viele andere, die sicherlich ebenso unterprivilegiert sind. Und andererseits, warum die Gleichstellung sich nicht auch auf die weniger gut bezahlten Berufsgruppen beziehen sollte, den Sekretariatsbereich, oder den Reinigungsbereich. Doch das alles wäre kaum mehr austarierbar und organisierbar. Wegen dieser Schwierigkeiten heißen an den Berliner Universitäten die Gleichstellungsbeauftragten nach wie vor Frauenbeauftragte und in Hamburg diskutiert man auch eine solche Rückkehr. Wie Felix Werdermann[7] schreibt: Wer glaubt, daß es gerecht zugehe auf dem Arbeitsmarkt, muß blind sein. Im Zweifel seien doch immer Qualifikationsvorteile von Männern auffindbar. Zu bedenken wäre evtl. doch sein Schluß: »Solange die Unis keine feste Quote erreichen müssen, kann man sich die übrige Diskussion sparen.« Als Mitglied vieler Berufungskommissionen, direkt in Aachen, Darmstadt und Freiburg, und als Gleichstellungsbeauftragte an der Universität Freiburg, konnte ich umfangreiche Erfahrungen sammeln. In der Mathematik ging es am fairsten zu, wenn auch auf Basis eines androzentrischen Objektivitätsmaßstabs. Allgemein wäre es, zumindest aus meiner Sicht, in den meisten Fällen aus Qualifikationsgründen möglich, wenn nicht sogar angezeigt gewesen, eine Frau an die erste oder zweite Stelle zu setzen, während sie dann an die dritte Stelle kam oder gleich ganz wegfiel: zu jung, zu alt, während das bei Männern jeweils toleriert wurde, noch nicht so weit, auch wenn die Gutachten das anders sahen, oder als letzte Ausflucht »wir können mit ihr nicht zusammenarbeiten«, ein Totschlagargument, denn welcher Frau will die Gleichstellungsbeauftragte zumuten, in einer sie ablehnenden Umgebung zu arbeiten. Die Freiburger Kognitionswissenschaftlerin Evelyn Ferstl, die auch bezüglich eines Drittels Teildenomination in Gender Studies meine Nachfolgerin ist, hat zusammen mit unserem (eigentlich Frau Kollegin Schmitz’s) Zögling Anelis Kaiser in ihrem jüngsten Artikel in der Zeitschrift »Gender« die innerhalb der Kognitionswissenschaften mit quantitativen naturwissenschaftlich-statistischen Methoden geführten Nachweise für solche Vorurteile aufgeführt, wobei u.a. einfach die Reaktionszeiten auf subjektiv passende oder unpassende Wort-Kombinationen gemessen wurden (also z.B. Mathematik – Frau, Mathematik – Mann). Das zeigt, daß es sich in den meisten Fällen keinesfalls um absichtsvolle Diskriminierung handelt, sondern um weitgehend unbewußte Vorurteile. Und – in der Erwartung von Unberechenbarkeit, wie Frauen sich verhalten und einfügen werden, wählt man eben lieber jemand Selbstähnlichen. Meine Robotik-Kollegin an der RWTH Aachen Sabina Jeschke arbeitet derzeit im Verbund mit meiner Kollegin Susanne Ihsen, Professorin für Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften an der TU München, an einem BMBF- und ESF- geförderten Projekt zu gendersensiblen und –neutralen Berufungsverfahren und »Genderation BeSt«. Untersuchungen haben etwa ergeben, daß Frauen zwar weniger veröffentlichen als Männer, aber daß sie dabei weniger von sich selbst und anderen abschreiben, sodaß der Gesamtgehalt ihrer wissenschaftlichen Produktion vermutlich (mindestens?) gleich hoch ist. Da die Publikationsliste ein zentraler Benchmark ist, zeigt sich hier schon die Fragwürdigkeit der scheinbar objektiven, tatsächlich androzentrischen Qualitätsnormen.

Zur Cloud#

Cloud Computing beschreibt Dienstleistungen über das Web, in denen die Internetarchitektur durch IT-Anbieter verändert wird. Dabei werden über zunehmend abstrakte Infrastrukturen und Softwarelösungen weltweit nutzbare Speicherkapazität, Rechenzeit, Software-Plattformen über festgelegte Schnittstellen und Protokolle bereitgestellt. Nutzende müssen Hardware und Software nicht mehr selbst örtlich vorhalten, sondern können die gewünschten Dienste dynamisch bedarfsangepasst abgreifen. Das klingt wunderbar, doch ist die Dynamik begrenzt und birgt erhebliche Sicherheits- und Überwachungsrisiken, selbst dann wenn Nutzende verschlüsselt zugreifen. Schnittstellen und Schaltpläne werden meist nicht mehr offengelegt, bleiben undokumentiert, auch um Backdoors verbergen zu können, insbesondere lassen sich Schaltpläne nicht mehr finden, die noch in den 1990er Jahren z.B. bei Intel oder bei AMD im Web auf den Firmenseiten verfügbar waren. Die Entwicklung der Cloud kann somit auch als Versuch angesehen werden, die durch die Web 2.0-Kulturen, P2P-Netze, Open Source Bestrebungen und Copyleft entstandene »Unordnung«, will heißen die teilweise verloren gegangene Marktmacht, durch eine Rezentralisierung der Architektur des Internet zurück zu den großen IT-Firmen IBM, Microsoft, Apple, Amazon, Google, Facebook und Yahoo in Silicon Valley holen.[8] Das globale Datenerfassungs- und -verdauungsprojekt mittels Data Mining und Machine Learning soll die Datenverarbeitung und -speicherung in zentrale Cloud-Server-Agglomerationen zurückverlagern, zur zentralen monopolisierten Informationsversorgung und IT–Dienstleistung für User, bei denen sich nicht nur diese Firmen zu kommerziellen Zwecken bedienen, sondern auch staatliche Institutionen und Geheimdienste als Haupttreiber einer globalen Agenda der Überwachung und der Aggregation und Analyse der Daten. Dafür ist jedes Mittel recht, u.a. die Einschleusung von Backdoors in Anwendungs- Software zur Ausforschung persönlicher Daten und Nutzungsgewohnheiten.

Wir sollten aber dem undurchdringlichen Konglomerat aus Überwachung, Konzernen und Software- Geschäftsstrategien nicht unbesehen unsere »Daten zur Profit generierenden Verdauung zur Verfügung stellen.«[9] Das Tauschgeschäft Bequemlichkeit, Komfort und Kostenlosigkeit gegen Abhängigkeit von einem Provider und Preisgabe der Privatsphäre zur kommerziellen Verwertung kann am Ende sehr teuer werden: »Wenn Dir ein Unternehmen etwas als *kostenlos* anbietet, bist Du wohl das Produkt.« (Rainer Rehak).

Auf die durch Edward Snowden endlich öffentlich gewordenen Gefahren einer Deleuze’schen Kontrollgesellschaft durch totalitäre Techniknutzung, hatten wir – zu wenigen – FIfF-AktivistInnen (der jüngere Chaos Computer Club war da etwas erfolgreicher) seit 30 Jahren und stets bezüglich der neusten Entwicklungen aktualisiert hingewiesen. Wir wurden aber nie wirklich gehört, sondern als Verfolgungswahnsinnige abgetan. Die angestrebte Zukunft der IT-Konzerne zielt auf eine »All-over-IP-Superinfrastruktur« auf Supercomputern von Petascale zu Exascale Dimensionen, mittels Data Intensive-Cloud Computing. In digitalen Weltprojekten soll die gesamte Information und Kommunikation des Internet gespeichert, verarbeitet und kontrolliert werden. Dabei sollen Softwareagenten interaktiv und selbstorganisierend zunehmend menschliche Akteure bei Problembearbeitungen ablösen. User hingegen sollen möglichst nur noch Daten liefern und im Übrigen die Segnungen des digitalen Paradieses, des »Internet der Informationen, Dienste und Dinge« in der globalen Infrastruktur im Alltag einer »anytime-anyplace-anything connectivity«.[10] genießen. Es ist wohl klar, daß eine solche Superinfrastruktur durch ihre Machtkonzentration die Demokratie gefährden und im »digitalen Gehäuse der neuen Hörigkeit«[11] Macht über die Menschen gewinnen würde.

Was gibt es nun für uns WissenschaftlerInnen zu tun?#

Wir InformatikerInnen sollten uns nicht nur der informatischen Rationalität und dem Effizienzdenken verpflichtet fühlen, sondern uns an der Alltagspraxis der Nutzenden orientieren und als SystemgestalterInnen für selbstbestimmte, und nicht von der Automatisierung getriebene Lebenswelten verstehen. Und wir sollten unsere Übersicht und Kompetenz auch in politisch-strategischen Bereichen einsetzen. Wir sollten aufmerksam machen auf Gefahren künftiger Entwicklungen und die Vielfalt und Kontingenz der technischen Entwicklungswege stets offenhalten.[12] Wir können uns beispielsweise in die EU-Forschungsförderungsplanung mit einbringen und statt wie im 7. Rahmenprogramm geschehen, wirklich schädliche Projekte zu fördern, lieber in eigene IT-Infrastrukturen investieren. Unter schädlich verstehe ich beispielsweise ein für 1,5 Milliarden gefördertes Projekt zur Überwachung mit sogenanntem »predicitve policing« oder die Verschwendung von 1 Milliarde für größenwahnsinnige Projekte wie Future ICT. »Predictive policing« ist die Vorhersage von kriminellem Verhalten und die Entwicklung von Richtlinien zur technischen Vorsorge dagegen, wobei zur Hälfte Firmen aus dem militärischen Bereich unterstützt werden. Deshalb haben wir als FIfF beispielsweise das Projekt Indect kritisiert, das alle Überwachungstechniken und biometrische Verfahren zusammenführen soll und automatisierte Verhaltenserkennung betreibt, welche von der polnischen Polizei modelliert wurde. Dabei war beispielsweise ein Indiz für erwartbar kriminelles Verhalten das Bewegungsprofil. Im Test wurde ein im Flughafen laufender Polizist als verdächtig entlarvt. Alle diese Projekte haben auch eine Ethikabteilung. Bei Indect leitet diese die Sekretärin des Polizeichefs von Irland, der das Projekt führt. Das neue HBP-Projekt schickt sich an, das Gehirn simulieren zu wollen, ein schon deshalb unerreichbares Ziel, weil noch gänzlich unklar ist, wie die neuronalen Strukturen funktionieren.[13] Gar absurde Ziele will etwa Future ICT »Moving the ICT Frontiers – a strategy for research on future and emerging technologies in Europe« vorantreiben, nämlich eine Techno-Omniscience, wortwörtlich mit »God’s eye view« ausgestattet, weil, Zitat: »it is obvious that virtual threedimensional worlds are waiting to be filled with life«. Die EU-Forschung sollte lieber bescheidener die entstandenen Probleme zu lösen helfen, statt stets neue zu schaffen. Was könnte die EU also im Kontext der Überwachung leisten? Z.B. eigene sichere Standards sowohl für die technische Sicherheit als auch für die soziale Kontrolle setzen, verbindliche Rechtsvorschriften für eine unabhängige Sicherheitsprüfung von Produkten schaffen, und mit offenem Quellcode eigene Produktschichten entwickeln. Das wird lange dauern und viel kosten. Dabei sollte Sicherheit von Anfang an zentrales Element der Spezifikation sein, und nicht, wie es die Wirtschaft gerne hat, ein Aufpfropf-Modell zur Verteuerung der IT-Produkte, also je mehr Sicherheit, desto höher der Preis. Die Lösung ist, transparente Open Source-Systeme, Unix-Derivate zu nutzen, wie dies in vielen Infrastrukturen bereits geschieht. In der Zwischenzeit sollten die kleinen Open Source-Firmen, die sehr gut arbeiten, aber der Marktmacht nicht standhalten können, nicht mehr dem Aufkauf durch die großen Firmen anheim gegeben werden, sondern von den EU-Staaten unterstützt oder übernommen werden, so wie Paris den Ausverkauf des französischen Videoportals Dailymotion an Yahoo blockiert hat, jetzt leider immer noch in prekärer Lage, weil die deutschen Partner ausgestiegen sind. Der Einsatz von IT-Anbietern, die per US-Patriot-Act zur Kooperation mit ihren Geheimdiensten verpflichtet sind, sollte zumindest im öffentlichen Bereich vermieden werden. Europäische Versuche, öffentliche Cloud-Computing-Plattformen zu etablieren, sind ebenso wie 5th generation wireless systems und sichere Netzkomponenten[14] bereits im Aufbau. Im FIfF haben wir Grundsätze für eine Datenschutzgrundverordnung entwickelt,[15] fordern die Beendigung der Cyberwars, die in vollem Gange sind, mit enormer deutscher Entwicklungshilfe an Brainpower, denn nicht nur die Bayrische Landesregierung (Bayerntrojaner) wartet noch immer auf die göttlichen Eingebungen; wir fordern weiter endlich die Entwicklung fairer Computer,[16] denn kaum eine Rohstoffgewinnung, Fertigung und Entsorgung wie die für Handys und Computer vergiftet so viele afrikanische Kinder und Inder. Mit der Humanistischen Union (HU) wurden Grundsätze zur Netzpolitik weiter entwickelt[17] und schließlich fordern wir als HU die Abschaffung des Verfassungsschutzes, der bisher mehr Schaden als Nutzen angerichtet hat, wie es in unserer diesbezüglichen Broschüre[18] dokumentiert ist. In diesen Kontexten veranstalten wir zusammen mit dem Institut für Kriminologie der Universität Freiburg die Vortragsreihe, Tacheles, wo juristische, informatische und politische ExpertInnen auftreten.

Informatische Weltbilder#

Als letztes möchte ich Ausschnitte der 2011 beendeten DFG-Studie »Weltbilder in der Informatik«[19] darstellen und begleitend Aspekte von Informatik und Gesellschaft und Gender Studies Informatik erwähnen. In diesem Forschungsprojekt wurden fachkulturelle Hintergründe des Studiums der Informatik an fünf Studienorten in Deutschland, auch Freiburg, untersucht. Wir haben solche Kategorien von Weltbildern betrachtet, die, weniger objektivierbar als der Stand von Forschung und Technik, dennoch das informatische Handeln und die Produktionsbedingungen von Software beeinflussen: zuerst das Technikbild, ob als gestaltbare Entwicklung oder als determinierte technische Evolution, mit ihm auch Qualitätsvorstellungen und Fragen der Verantwortung, dann die Wirklichkeitsauffassung und die Relation zwischen Realität und der informatischen Re- bzw. Neukonstruktion von (virtuellen) Realitäten, weiter das Menschenbild, auch im Vergleich mit der Maschine, Menschen als verantwortliche Entwickelnde und als Nutzende, und die Sicht auf die Informatik selbst. Wobei ich hier nur auf Technikbild, Verantwortung und Geschlechterbild eingehen möchte. Die Vorstellung vom Technikdeterminismus wird tradiert im Zusammenhang mit der großen Erzählung von der technischen Evolution, die eigengesetzlich den Fortschritt weiter treibe, in kontinuierlicher Verbesserung zu immer höher entwickelten technischen Lösungen, die »den Menschen weiterbringen« zu einer höheren Zivilisation und Zivilisierung. Bringt man die höchst voraussetzungsvollen historischen, epistemologischen und politischen Konstellationen zur Geltung, so wird diese Erzählung obsolet. Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Computer und der IT macht deutlich, welche mächtigen Akteure sich immer wieder, oft auch gegen existierende bessere technische Lösungen durchgesetzt haben und wie wenig vorhersehbar die Entwicklung war (»Ich glaube, daß es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird.« soll 1943 Thomas J. Watson, 1924 Gründer der IBM gesagt haben.[20]) Die Herkunft der Computertechnik und die weiterhin enge Verknüpfung der IT-Branche mit dem militärisch industriellen Komplex zeigen die Bedingungen für Investitionen in diesem Bereich. Allein die politische Aushandlung und Definition von Protokollen wie das OSI/ISO Schichtenmodell und das Internetprotokoll TCP/IP zur Standardisierung der Kommunikation in Netzwerken belegen die Kontingenz. Ebenso der Wechsel der Technikleitbilder, von der zu bedienenden Maschine über das Werkzeug zum Medium. Auch wenn die Entwicklung erweiterte Anwendungsmöglichkeiten bietet, und partikuläre Verbesserungen für bestimmte Zwecke, Firmen und Personen, verschließt sie gleichzeitig doch alternative Lösungen, und für viele Menschen gewohnte oder vorzuziehende Möglichkeiten. Doch die Versionierung und Generationierung mit Bezeichnungen wie Web 2.0, Industrie 4.0, G 5 (5th generation wireless systems), usw. suggeriert eine Verbesserung mit Bezug auf die Vorgängerversionen, eine offene Stufenleiter zur Perfektion, und daß es alternativlos sei, die nächste Stufe zu erklimmen.[21]

Daß die jeweils neuen Versionen keineswegs die alten verbessern, sondern oft nur so erweitern, daß mehr Platz und Geschwindigkeit erforderlich wird, hat jede von uns selbst erfahren. Dazu schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Karl-Georg Zinn:

Es ist unbestritten, daß sich erhebliche Erleichterungen beim Verfassen von längeren Manuskripten und beim raschen Kommunizieren ergeben haben.... hat der De-facto-Monopolist immer wieder neue Betriebssysteme oktroyiert, damit Milliarden verdient und die Fähigkeiten der Nutzer im Umgang mit den Geräten periodisch entwertet. Es kommt mir so vor, als würden Autofahrer gezwungen, alle paar Jahre eine Fortbildung zu absolvieren, um den Umgang mit den neuesten Kfz-Techniken zu erlernen.

Weiter K.-G. Zinn:

...der seit der Industriellen Revolution ausgebrochene Technikwahn, dem zufolge alle Menschheitsprobleme mit dem technischen Fortschritt hinfällig würden, ist eine den kapitalistischen Verhältnissen anzulastende Geistesverwirrung.

Doch was meinen unsere Studierenden dazu?

Unsere Studierenden sind vornehmlich der Ansicht, daß die Informatik der Menschheit diene und daß sie »der Motor von allem« sei. Zitat eines unserer befragten Studenten:

Die Technik hat Gott verdrängt. Im Prinzip schaffte die informatische Technik oder die informatische Revolution, meiner Meinung nach ’nen kompletten Gesellschaftswandel und zwar allein schon dadurch, daß sich die Möglichkeiten wie wir unsere Welt erfahren und wie wir unsere Welt benutzen, total verändern.

Sie meinen auch, daß die technische Entwicklung determiniert abläuft, was etwa im Kontext moralischer Anforderungen dadurch ausgedrückt wird: »wenn ich es nicht mache, dann macht es ein anderer«. Der »one best way« des Ingenieurs soll mittels objektiver Methoden zu optimalen Problemlösungen führen. Doch unterscheidet sich die Informatik von klassischer Ingenieurskunst, weil auf dem universellen Medium Computer in allen Anwendungsbereichen mit uniformer Methode operiert wird, während in älterer Technik Material und Aufgabe die Lösungen weitgehend einengen. Die deterministische Technikauffassung führt dazu, daß obgleich InformatikerInnen und Softwareentwickelnde die Welt sehr aktiv verändern, sie selten das Gefühl haben, selbst Gestaltende von Zukunft zu sein. Im Gegenteil, obgleich sie der Technik quasi selbsttätig großartige Macht zuschreiben, sprechen sie von ihrer Ohnmacht gegenüber Vorgesetzten und Auftraggebern. Dennoch sehen sie Kreativität als eine zentrale Kompetenz von InformatikerInnen an. Eine solche bedarf jedoch eines offenen Raums von Möglichkeiten. Software Entwickelnde haben tatsächlich enorme Freiheiten bei Grob- und Feinspezifikation, Architektur, Design, mit jedem Schritt der Entwicklung und Programmierung, und das ganz besonders, wenn neue Anwendungen in einen offenen Raum hinein entwickelt werden. Erfreulich ist zwar, daß die Studierenden trotz großer Fortschritts- und Technikgläubigkeit und Begeisterung für ihr Fach auch die negativen Folgen im Blick haben. Doch obgleich viele mit dem Anspruch ins Studium kommen, daß Informatiker Verantwortung für die Entwicklungen ihres Fachs und der Informationstechnik tragen sollten, lehnen die meisten nach zwei Jahren Studium solche Verantwortung ab und geben sie an die Gesellschaft zurück. »Ethik behindert den Fortschritt und sollte daher in der Informatik keine Rolle spielen« und »Algorithmen kennen keine Ethik«. Die Informatik sollte sich nicht selbst um ethische Fragen kümmern, Ethik sei zu kompliziert und widersprüchlich, während die Informatik objektiv sei, daher sind andere Fächer dafür zuständig. Der Widerspruch zwischen der Zuschreibung von Macht und Einfluß der Informatik auf die Gesellschaft und der gefühlten Ohnmacht und eigenen Wirkungslosigkeit scheint sich dank ihrer Vorstellung von einer technischen Evolution, einer deterministischen Technikentwicklung im Zuge einer stetigen Höherentwicklung aufzulösen.

Auch halten alle unsere befragten Studierenden die Informatik für eine objektive Wissenschaft. Sie sehen nicht, daß zwar sog. objektive Methoden eingesetzt werden, ihre Auswahl und vielfältigen Kombinationen jedoch, ebenso wie die Ziele kontingent sind. Damit einher geht auch, daß Diversity, auch die personelle, als Störfaktor der unterstellten Objektivität des Faches eher negativ wahrgenommen wird. Und so sei das Fach davon rein zu halten, höchstens in den abgewerteten äußeren Anwendungsschichten, die den unveränderlichen Kern der Informatik nicht berühren, sei sie zulässig. Frauen im Allgemeinen wird i.d.R. Kompetenz in der Informatik abgesprochen, wenn einige sich dennoch in die Informatik verirren, seien sie wie schon gesagt, keine richtigen Frauen oder sie seien gezwungen, sich zu vermännlichen, »männliche Denkweisen anzunehmen«, was auch die von uns befragten Informatikerinnen so sehen. Unsere Studierenden haben mehrheitlich ein unhinterfragtes differenzorientiertes Geschlechterbild: Frauen sind durchweg das »Andere«, daher sei »Informatik von Frauen eventuell eine andere, keine richtige Forschung«. Solche Stereotype unserer befragten Studierenden mit der kontrafaktischen Exklusion der Informatikerinnen aus der »eigentlichen Kerninformatik« und den Kompetenzzuweisungen für Frauen an »das weiche Drumherum«, die »Ränder« der Informatik, erklären, warum es für letztere nach wie vor schwer ist, sich in diesem Studium zu behaupten, auch wenn sie sich dies meist nicht bewußt machen bzw. sich Schwierigkeiten persönlich anlasten: In der direkten Befragung fühlen sich die Frauen gut eingebettet und angenommen. Aber alle bemerken ihre Differenz zur »impliziten Studierendennorm«,[22] fühlen sich unter besonderer Beobachtung, und sie müssen, anders als ihre männlichen Kollegen, denen das unhinterfragt zugestanden wird, ihre Kompetenz stets neu beweisen. Eine Erstsemester-Studentin bekennt überrascht, wie sehr sie die Vereinzelung irritiert und an der Teilnahme hemmt; eine andere Fortgeschrittene nennt als erste für das Studium notwendige Kompetenz das »Aushalten, allein unter Männern zu sein«. Auch manche männlichen Studierenden bestätigen das mehr oder weniger direkt, z.B. so: »Informatikerinnen sind vermännlicht, sonst könnten sie nicht damit zurechtkommen.« Was sagt die Genderforschung zu alledem? Es ist umfassend untersucht, wie in den technischen Kulturen der hohe osmotische Druck an der Geschlechterwand aufrecht erhalten wird, unnötig und für alle und alles schädlich, versteht sich.[23] Bekannt ist, wie beispielsweise eine geschlechter- und diversity-gerechte Lehre aussehen müsste, z.B. indem nicht Inselwissen vermittelt, sondern die Inhalte verbunden und in die Anwendungs- und sozialen Kontexte gestellt werden müßten.[24] Und daß statt wie in der universitären Forschung üblich, die zu lösenden Probleme jeweils als direkt gegeben anzunehmen, es besser wäre, einen Schritt zurück zu treten und sich zu fragen, was im Kontext des eigenen Forschungsgebietes für welche menschlichen Umgebungen wirklich nützlich wäre. Das alles geht weitgehend konform mit den Forderungen des Wissensschwerpunktes von Informatik und Gesellschaft. Denn die Informatik betreibt ja genau jene Realisierung der Abstraktion, die Hegel für gewalttätig hält, sie muß daher, wie Jörg Pflüger richtig sagt, ihre Fertigung rechtfertigen.

Die Genderforscherinnen Donna Haraway und Lucy Suchman fordern deshalb, die jeweils situierten wissenschaftlich-technischen Praktiken explizit zu machen, ihre Kontingenz darzustellen, also die Konstellationen unter denen alles ganz anders geworden wäre, aufzuzeigen. Der politische Akt, der das konkrete Design spezifiziert, sollte in die Perspektive partieller Wissensproduktion zurückgeholt werden. So wird die Verführung der objektivistischen Annahme, mit »Gods eye view« von nirgendwo her zu sehen, ersetzt durch »views from somewhere«, und die Subjektposition deR (bescheidenen) wissenschaftlichen ZeugIn (Donna Haraways’s »modest witness«) expliziert. Der konstruktive Vorschlag ist also, anstelle des schneller, weiter, höher, in einer slow science die Möglichkeiten und Alternativen auszuloten. »Ausgehend von Milieus der Hervorbringung gibt es nämlich keine Verbesserungen, sondern nur gute oder weniger gute Lösungen für situationsspezifische Probleme. Allerdings wird dadurch alles umständlicher und weniger großartig«.[25] Statt die technische Entwicklung als alternativlose Erweiterungen im Sinne einer Fortsetzung der Evolution anzusehen, ist danach zu fragen was sie tun, nämlich einfügen, trennen, verbinden, ermöglichen, auslöschen, regeln, figurieren und rekonfigurieren. Karen Barad[26] bezeichnet solche Intra-Aktionen, mittels derer neue materiell-semiotische Grenzen gezogen werden, agentielle Schnitte. In solchen inszenierten (enacted) Grenzen entfaltet sich die Wirkung der jeweiligen Konfigurationen, die fürderhin Irreversibilitäten erzeugen, die als Sachzwänge gelten. Nutzende sollten die Sachzwänge aus der black box holen und revidieren, z.B. durch Umgehen, Umnutzung, Umfunktionieren. Denn die technischen Medien sind nicht gleichgültig, wie unser Student richtig gesagt hat, sie verändern die Wahrnehmung und vermitteln als Kulturtechniken Welt, Wissen und Machtverhältnisse. Ab und zu werden wir uns der dort anwesenden Macht gewahr, der Tatsache, daß stets etwas mit uns mithört, mitsieht, mitdenkt, mithandelt, wie beim Bekanntwerden der Überwachung durch Prism, Tempora, Eikonal u.a.. Doch in der Alltäglichkeit der Benutzung vergessen wir diese Einschlüsse auch wieder rasch, das Tauschgeschäft Kostenlosigkeit, Bequemlichkeit gegen Preisgabe der Privatsphäre funktioniert nur zu gut. Darum wird Achtsamkeit dringender, damit nicht die in der IT verkörperte Logik von Berechnung und Technik tatsächlich totalitär wird. Ansätze dazu und Übergriffe in unsere Lebenswelt durch die hegemonialen Informationsinfrastrukturen, denen vor allem die digital natives bereitwillig ihre digitalen Lebensspuren und Sozialbeziehungen zur unbegrenzten kommerziellen Nutzung zur Verfügung stellen, gibt es bereits in beängstigender Weise zuhauf. Auch wenn die heutigen soziotechnischen Systeme unübersichtlich sind und die Technik absichtlich, z.B. mangels gewährter Einsicht in den Quellcode undurchsichtig gemacht wird, können und müssen wir dennoch entscheiden. Wie es im Band »Gewissensbisse« von Deborah Weber-Wulf et al. anhand von Fallbeispielen realisiert ist, scheint es am ehesten angemessen, mithilfe von solchen moralischen Überlegungen zu entscheiden, die sich auf Praxisformen und nicht auf Wissen, auf Interessenskonstellationen und nicht auf die Fiktion eines vom scheinbar souveränen Subjekt ausgehenden Willens beziehen. Und so wünsche ich der Informatik an unserer Universität, und natürlich der ganzen Universität, dem Rektor, den Lehrenden, MitarbeiterInnen und Studierenden für die kommenden Jahre von ganzem Herzen Glück und Erfolg. Und wo sind unsere/Ihre Aktionsfelder zu finden? Donna Haraway fordert uns auf: »stay where the trouble is!« And there is plenty of trouble.

Fußnoten#

[1] Wilhelm von Humboldt’s Vorstellung folgend, daß nur das ins Bewußtsein dringt und somit Beachtung erlangt, was explizit gesagt wird oder aufgeschrieben ist, verwende ich hier die (zugegebenermaßen wenig schöne) geschlechtergerechte Schreibweise mit Großbuchstaben im Wortinneren.
[2] Britta Schinzel, Kulturunterschiede beim Frauenanteil im Studium der Informatik (2005), Teil II: Frauen im Informatikstudium in Deutschland vor und nach der Wiedervereinigung, http://mod.iig.uni freiburg.de/cms/fileadmin/publikationen/online publikationen/Informatik.Frauen.Deutschland.pdf.
[3]Britta Schinzel, Kulturunterschiede beim Frauenanteil im Studium der Informatik (2005), Teil III: Partikularisierung der Informatik Frauenbeteiligung, http://mod.iig.uni freiburg.de/cms/fileadmin/publikationen/online publikationen/Frauenbeteiligung.Informatikstudien.pdf; Teil IV: Abschließende Interpretation und Literaturangaben; http://mod.iig.uni freiburg.de/cms/fileadmin/publikationen/online publikationen/Informatik.Kultur.Literatur1.pdf.
[4]Britta Schinzel, Kulturunterschiede beim Frauenanteil im Studium der Informatik (2005), Teil I: Frauenanteil Computer Science International; http://mod.iig.uni freiburg.de/cms/fileadmin/publikationen/online publikationen/Frauenanteil.Informatik.International.pdf
[5]Schinzel, Kulturunterschiede beim Frauenanteil im Studium der Informatik (2005), Teil II (wie Anm. 2).
[6]Britta Schinzel, Transdisziplinäre Fragestellungen der Genderforschung in Technik- und Naturwissenschaften, in: Ilse Modelmog/Diana Lengersdorf/Mona Montakef, (Hg.), Annäherung und Grenzüberschreitung, Konvergenzen Gesten Verortungen; Sonderband der Schriftenreihe des Essener Kollegs für Geschlechterforschung; Essen, 2009.
[7]In: Der Freitag, Nr. 46, vom 14.11.2013
[8]Siehe Hans-Dieter Hellige, in: artec-paper Nr. 184, 2012, zur Entstehung der Cloud-Architektur und zur Mystifikation der Rezentralisierungsstrategie im Cloud-Begriff.
[9]Karin Harrasser, Körper 2.0, Transkript Verlag, Bielefeld, 2013.
[10]Friedemann Mattern (Hg.), Die Informatisierung des Alltags – Leben in smarten Umgebungen, Berlin/Heidelberg/New York: Springer, 2007.
[11]Hans-Dieter Hellige, Die Informatisierung der Lebenswelt. Informatiker als Architekten des digitalen »Gehäuses der neuen Hörigkeit« in: artec-paper Nr. 196, 2014.
[12]Hans-Dieter Hellige, Die Informatisierung der Lebenswelt (wie Anm. 11).
[13]Vgl. http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/das gehirn im computer/ /id=660374/nid=660374/did=11452350/thynev
[14]http://www.heise.de/netze/meldung/Mit ASMONIA SKIMS und UNIKOPS zum sicheren-Netz-2062286.html?wt_mc=sm.feed.tw.netze.
[15]https://www.fiff.de/themen/Stellungnahme des FIfF zur EU-DSGVO an die Ausschuesse.pdf/view.
[16]FIfF Kommunikation 4, 2013; Schwerpunkt Faire Computer.
[17]http://www.humanistische unon.de/nc/themen/datenschutz/datenschutz_detail/back/da tenschutz/article/stellungnahme des fiff zur datenschutz grundverordnung vom 25 januar 2012; http://www.humanistische union.de/nc/aktuelles/aktuelles_detail/back/aktuelles/article/internationale grundsaetze fuer die anwendung der menschenrechte in der kommunikationsueberwachung.
[18]Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein!. Gemeinsames Memorandum, hg. von Humanistische Union, vereinigt mit Gustav Heinemann-Initiative, Internationale Liga für Menschenrechte und Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, Berlin/Norderstedt 2013.
[19]Britta Schinzel/Monika Götsch/Yvonne Heine/Karin Kleinn, Michael Richter, Verlernen Informatik-Studierende Verantwortungnahme?, in: FIfF-KO 1, 2012, S. 55–63; Britta Schinzel (Hg.), Informatik-Spektrum 3, 2013, Sonderheft: »Weltbilder in der Informatik«; Britta Schinzel, »Sehnsucht nach dem Objektiven«. Gemeinsamkeiten und Diversität, Widersprüche und Zusammenhänge zwischen Informatik – Weltbildern, in: Tanja Paulitz, Bianca Prietl (Hrsg.): »Akademische Wissenskulturen und Soziale Praxis«: erscheint 2015.
[20]Paul E. Ceruzzi, *An Unforeseen Revolution: Computers and Expectations, 1935–1985, in: Joseph Corn (Hg.), Imagining Tomorrow, Cambridge, Mass. 1986, S. 188–201.
[21]Vgl. Harrasser, Körper 2.0 (wie Anm. 9).
[22]Gabriella Hauch/Ilona Horvath, TEquality – Technik.Gender.Equality. Das Technikstudium aus der Sicht von Frauen und Männern, Linz 2007.
[23]Susanne Ihsen/Yves Jeanrenaud/Verena Wienefoet/Andrea Hackl-Herrwerth/Victoria Hantschel/Cornelia Hojer, Potenziale nutzen, Ingenieurinnen zurückgewinnen. Drop-Out von Frauen im Ingenieurwesen: Analyse der Ursachen und Strategien zu deren Vermeidung sowie Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Rückgewinnung. Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, Stuttgart 2009; Wibke Derboven/Gabriele Winker, Ingenieurwissenschaftliche Studiengänge attraktiver gestalten: Vorschläge für Hochschulen, Springer: Berlin 2010.
[24]J. Margolis/A. Fisher, Unlocking the clubhouse: Women into computing Cambridge, Mass.: MIT Press 2002; Britta Schinzel, Frauenförderung in Mathematik, Technik- und Naturwissenschaften an der Universität Freiburg: Curriculare und weitere Maßnahmen in höheren Qualifikationsstufen, Freiburger Universitätsblätter 177, 2007, Nr. 3, S. 25–36; Britta Schinzel, Geschlechtergerechte Informatik-Ausbildung an Universitäten, in Marita Kampshoff/Claudia Wiebcke (Hg.), Handbuch der Geschlechterforschung und Fachdidaktik, Springer VS, Heidelberg, 2012, S. 331–344.
[25]Harrasser, Körper 2.0 (wie Anm. 9).
[26]Barad, Karen: Posthumanist Performativity: Toward an Understanding of How Bodies Come to Matter. In: Signs: Journal of Women in Culture and Society, Band 28 (3), 2003, S. 801 – 31.