Automotive 12: Fahrwerk und Fuhrwerk#
(Einige Grundlagen zum Thema Steyr-Puch Haflinger)#
von Martin KruscheManchmal lassen sich Punkte markieren, an denen die Weltgeschichte unsere Regionalgeschichte berührt. Im Jahr 2019 blicken wir in der Steiermark auf zwei Jubiläen, den 60er des Steyr-Puch Haflinger und den 40er des Puch G. Diese Autos aus Grazer Produktion tragen Merkmale des Wagenbaus, deren Geschichte weit zurückreicht. Dazu eine kleine historische Betrachtung.
Das Wort Automobil ist ein Bastard. Da wurde ein lateinischer Teil an einen griechischen Teil getackert. Das sich selbst bewegende (autos + mobilis) Fahrzeug wurde ursprünglich treffender als pferdeloser Wagen bezeichnet. Vehikel mit und ohne Zugtiere bestanden etliche Jahrzehnte nebeneinander. Das reichte noch bis mitten in den Zweiten Weltkrieg.
Da blieb der „Hafermotor“ unverzichtbar, wo immer motorisierte Verbände im Morast steckenblieben. So hat der Jahrtausende währende „Kentaurische Pakt“ zwischen Mensch und Pferd als eine Art Grundvereinbarung europäischer Kultur erst vor recht kurzer Zeit geendet, um den Großteil der Pferde in unsere Welten von Sport und Freizeit zu entlassen.
Wie passend, daß die erste völlig eigenständige Automobilkonstruktion Österreichs in der Zweiten Republik genau diesen Übergang ausdrückt. Der Puch’sche Haflinger ist ein hochkarätiger Motor-Muli, sollte primär Pferde von Tragtierkompanien ersetzen und hat den Namen einer populären Pferderasse des Alpenraums. Zugleich zeigt der Hafi repräsentativ einige Merkmale, die schon den Wagenbau in der Antike ausgemacht haben. Da sind drei Sektionen:
- Das Fahrwerk
- Der Unterwagen mit seiner Lenk- und Zugvorrichtung
- Der Oberwagen
Dem entsprechen beim Haflinger:
- Das Fahrwerk mit dem Zentralrohrrahmen
- Die Plattform
- Diverse Aufbauten
Pferde waren, wie erwähnt, Jahrtausende lang unsere wichtigsten Tempomaschinen. Sie überflügelten die kraftstrotzenden Ochsen an Geschwindigkeit bei weitem, sind aber in der Haltung viel aufwendiger. Sie stehen in direkter Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Pferde können zwar Gras und Heu verwerten, aber sie beziehen nicht die notwendigen Kalorien daraus, wie das die Wiederkäuer tun. Dafür brauchen sie zusätzliches Kraftfutter, welches die Menschen einst mit ihnen teilen mußten. Darum war jede Mißernte und der folgende Nahrungsmangel einst auch ein Schlag für die Wirtschaft.
Diese unsere Wirtschaft wäre seinerzeit ohne die enorme Traktionskraft der Stiere, denen man durch Kastration das Temperament beschnitten hat, nicht vom Fleck gekommen. Und ohne das Tempo der Pferde hätte sich unsere Kultur nur langsam bewegt. Das änderte sich mit der umfassenden Motorisierung in mehreren radikalen Schritten. Zwischen dem Haflinger von 1959 und dem ersten bedeutenden Fahrzeug aus dem Hause Benz liegen kaum mehr als sieben Jahrzehnte.
Die Firma Mercedes-Benz läßt uns gerne wissen, daß der Benz Patent-Motorwagen Nummer 1, im Jahr 1886 patentiert, das erste moderne Automobil sei. Er ist allerdings mehr noch ein motorisiertes Fahrrad. Das legt auch die Patentschrift offen, denn dieses Tricycle war damals eine gängige Konstruktion. Eine fahrtechnisch stabilere Variante des gefährlichen Hochrades, mit dem zu stürzen schwere Verletzungen, manchmal sogar den Tod nach sich ziehen konnte.
Zehn Jahre später, 1896, rollte in Cannstatt der von Daimler und Maybach entwickelte Motor-Lastwagen in die Automobilgeschichte. Er gilt als unser erster LKW. Dieses Fahrzeug war in wesentlichen Details seiner grundlegenden Bauart, wie viele frühe Automobile, aus der Kutschen-Welt hervorgegangen. (Die Drehschemel-Lenkung, die Klotzbremse, welche auf Eisenreifen der Speichenräder wirkt etc.)
In jenen Jahren war noch nicht entschieden, daß sich Gasmotoren als vorrangig durchsetzen würden. Auch Dampfmaschinen blieben für geraume Zeit wichtige Kraftquellen auf den Straßen Europas, während sich gelegentlich Hybridfahrzeuge mit elektrischen Radnabenmotoren zeigten. Mit dem Stichwort Dampf wäre auf das eigentlich erste taugliche Automobil unserer Geschichte zu verweisen. Das war von hausaus ein Nutzfahrzeug. Ein Transporter, um Kanonen zu bewegen.
Damit geht nun der Blick für einen Augenblick mehr als hundert Jahre hinter das filigrane Benz-Dreirad zurück. Der französische Artillerie-Offizier Nicholas Cugnot baute und erprobte seinen Fardier, der sich damals noch nicht durchsetzen konnte, aber eine wichtige Markierung in der Kraftfahrzeuggeschichte darstellt. Er wurde erstmals 1769 in Paris vorgeführt. Ein Dampftraktor, der erstaunlich fahrtüchtig ist, wie im 20. Jahrhundert mit einem originalgetreuen Nachbau belegt werden konnte.
Während die Automobile von Benz und Daimler in kleinen Stückzahlen zu ersten Serienproduktionen führten, blieb Cugnots Maschine ein Unikat. Ein Technologieträger. Was der Fardier übrigens mit dem Zweiten Marcus-Wagen (zirka 1888) gemeinsam hat: er ist keine motorisierte Kutsche, sondern eine eigenständige Konstruktion, in der Bauart von seinem Zweck bestimmt.
So läßt sich zusammenfassen, die Geschichte der Automobile, der pferdelosen Wagen, begann im Geist des Transports, also mit einem Nutzfahrzeug. Auch wenn Cugnots Dampftraktor von 1769 für die rasante Feldartillerie, wie sie etwa Napoleon schätzte, um Europa zu erschüttern, keine Rolle spielte, wies er einen bedeutenden Weg. In erwähnten Jahr 1769 erhielt James Watt das Patent No 913 für seine optimierte Dampfmaschine: „My method of lessening the consumption of steam, and consequently fuel, in fire engines consists of the following principles…“ Das löste massive Innovationsschübe aus, von denen das Antlitz der Welt verändert wurde. Raumüberwindung bekam ganz neue Dimensionen.
Doch der aufkommende Automobilismus hatte noch über Jahrzehnte keine angemessenen Straßennetze. Und militärische Zwecke legten schon in den ersten 1900er Jahren nahe, Automobile im Gelände tauglich zu machen. Gleisketten (Raupen) waren ein Weg der entsprechenden Lösungen, der Allradantrieb ein anderer, den übrigens neben Spyker (mit dem 60 HP Sechzylinder Rennwagen) der Austro-Daimler Panzerwagen einschlug.
Der Steyr-Puch Haflinger steht auf puristische Art in dieser gesamten Tradition. Seine Bauweise reflektiert übrigens auch spätere Entwicklungsschritte des Wagenbaus. Sie schimmern durch, wenn man in Gedanken die Bilder übereinander legt. In dieser Geschichte mußten sich erst einmal Wagenbau und Straßenbau einander annähern, was sehr lange gedauert hat. Damit meine ich, das Rütteln der „Marterkästen“, wie man Kutschen einst empfand, bestimmte das Reisen über Jahrtausende. Männer von Stand verachteten außerdem lange Zeit diese Fortbewegungsart demonstrativ und zogen das Reiten vor. Was also der Haflinger im Gelände schafft, ist die Essenz solcher Entwicklungsgeschichten. Dabei kann man freilich auch im Hafi gründlich durchgeschüttelt werden. Aber das wird heute als Vergnügen gewertet.
Die Achsschenkel-Lenkung ist im 18. Jahrhundert erfunden und im frühen 19. Jahrhundert erstmals patentiert worden, nämlich 1816. (Augrund der einstmals spärlichen Informationslage wurde sie mehrmals erfunden und patentiert.) Damit muß beim Einlenken nicht mehr die ganze Achse geschwenkt werden, sondern nur ein Paar kurzer Achsstummel. Bis heute wird an manchen Wagen auf diese komplexe und daher kostspielige Entwicklung verzichtet. Wo es im Einsatz hinreicht, etwa bei Anhängern, finden wir immer noch den Drehschemel mit der Deichsel, an der eine Zugmaschine zerrt. Lebrun notierte in seinem Buch "Der vollkommene Stellmacher und Wagner" (1824) an einer Stelle: "Man ist mit Recht der Meinung gewesen, daß der Stellmacher nicht mit der Berechnung der Pferdekraft unbekannt sein darf, damit er gehörig über die Natur des Ziehens urtheilen kann." Auch der Haflinger ist teilweise dieser Natur des Ziehens gewidmet, kann Lasten auf diese Art bewegen. Doch lieber gibt er den Solisten.
Ich hab hier eine historische Fotografie (1925) von Georges-Louis Arlaud, die uns einen herkömmlichen Leiterwagen mit Drehschemel-Lenkung zeigt. Sie erkennen daran, was auch die Bauform des Steyr-Puch Haflinger ausmacht. Es gibt ein Fahrgestell und darauf eine Plattform, die verschiedene Aufbauten zuläßt. Der durchgehende Langbaum, mit dem Hinterachse und Drehschemel verbunden sind, ist beim Haflinger der Zentralrohrrahmen. Was darauf die Plattform ergibt, bilden bei solchen Wagen üblicherweise zwei sogenannte Tragbäume; hier sind es zwei Leitern, zwischen denen ein Boden liegt. (Franz Xaver Joseph Schreiner notierte 1829 in "Die Fahrkunst theoretisch und praktisch dargestellt" dazu: „Leiterwagen oder die gewöhnlichen Fuhrwerke der Bauern und Landwirthe für Brennholz, Getraide, Feldfrüchte, Heu ec. haben an jeder Seite eine Leiter, die aus zwei Bäumen und aus 8 bis 10, 3 - 4 Fuß hohen Sprossen bestehen.“)
Bei Automobilen findet man übrigens die zwei Tragbäume quasi als den klassischen Leiterrahmen wieder. So zum Beispiel als Basis für den Puch G, dem jüngeren verwandten des Hafi, der während seiner Entwicklung im Werk H2 genannt wurde: Haflinger zwo. Hochwertiger Stahl ist stabil genug, daß dabei das Äquivalent eines Langbaumes entfallen konnte, respektive zur Alternative für ein anderes Chassis-Konzept wurde. Hier haben sich also die Wege gegabelt.
Personenkraftwagen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg mehrheitlich mit selbsttragenden Karosserien gebaut, übrigens auch Autobusse. Bei Nutzfahrzeugen fielen gewissermaßen die Langbäume und die Tragbäume des historischen Wagenbaus auseinander. Der Zentralrohrrahmen bei Haflinger und Pinzgauer entspricht dem Langbaum aus der Welt der Pferdewagen. Der Leiterrahmen des G-Wagens entspricht den Tragbäumen.
Das Häusel des Puch G ruht auf einem Rolling Chassis, wie das schon einst bei den Luxus-Karossen und Nutzfahrzeuge der frühen Automobilgeschichte üblich war. Da wurde oftmals ein und dasselbe Fahrgestell mit Motor von der Kundschaft per individueller Karosserie entweder zum Lastwagen oder zum privaten PKW gemacht. Im Johann Puch Museum Graz findet man ein schönes Beispiel dafür, das aus dem Jahr 1914 stammt.
Leiterrahmen und Zentralrohrahmen empfehlen sich für geländegägige Fahrzeuge. Ein Offroader mit selbsttragender Karosserie würde nicht lange halten, sondern sich sehr zügig verwinden, verziehen, auf daß keine Tür mehr zuginge, von anderen Problemen ganz zu schweigen. Dieser Aspekt des Wagenbaus kann hier also flott abgehakt werden. Doch da bleibt noch eine exotische Nische.
Aus dem Rennsport kennen wir Gitterrahmen, die Zug- und Verwindungskräfte aufnehmen können. Das sind komplexe und daher teure Lösungen. Sie finden solche Gitterrahmen allerdings im Rallye-Betrieb, in den Dünen und bei einer extremen Motorsportart, dem Rock Crawling.
Nun kann ein konventioneller Haflinger unbestritten recht viel, wenn es auf abwegiges Terrain geht. Das läßt sich sogar noch etwas überdehnen. Wer dabei aufkommende Grenzen hinter sich lassen will, wird sich im Haflinger-Trial versuchen; wie etwa Felix Wegleiter.
Manche Enthusiasten verpassen dem Hafi wenigstens das Doppelte an herkömmlicher Motorkraft. Damit ist das Aggregat ja keineswegs überfordert. Nach oben ist zwar noch weiter Spielraum, doch da macht der Verschleiß dann Quantensprünge. Aber das ist im Rennsport kein vorrangiges Problem. So sind dem Haflinger nicht gar so viele Limits aufgebürdet. Man hat ihn auch schon schwimmen oder auf Schneehängen herumwieseln gesehen. Aber zugegeben, senkrechte Wände gehen sich nicht aus. Und er klettert auch auf keine Bäume.
- Automotive (Text-Übersicht)
- Der Geist des Transports (Mythos Puch V)
- Das Haflinger-Projekt
ein 'muss' für alle studenten des kfz-baus (BULME und TUG)!
-- gamauf gerald antal, Freitag, 28. Dezember 2018, 11:47