Notiz 061: Flottenfragen#
von Martin KruscheHier endet langsam der erste Teil des Haflinger-Projektes. Dies ist der vorletzte Tag im August 2019. Das Buch ist da, die Reaktionen darauf sind hauptsächlich sehr angenehm für mich. Die Erzählung geht weiter. Einerseits ist das Thema Haflinger natürlich noch nicht ausgeschöpft. Andrerseits haben wir gute Gründe, von hier aus auf das gesamte 20. Jahrhundert zu blicken.
Der heutige Tag hat dazu einen eigentümlichen Anlaß geliefert. Mittags widme ich mich meist kurz der Zeitungslektüre. Ich dabei die Leserpost nie aus, weil das ein interessanter Informationskanal ist.
Robert Lehmann schreibt in der Ausgabe vom 30.8.2019 „Unser Heer kann das Land nicht schützen, jeder Fünfte fällt bei der Musterung durch. … Kasernen lässt man verfallen, Panzer werden zum Schrottpreis verschachert, und auch in den Hangars lässt man Flugzeuge vergammeln, dann gibt man Heeresfahrzeuge noch an Privat ab.“
Josef Höller meint: „Das Bundesheer wäre im Krisenfall nicht einmal in der Lage, für sich selbst zu sorgen und einsatzfähig zu bleiben bzw. zu sein. Im Krisenfall hätte es keinen Strom, könnte nicht einmal seine Fahrzeuge auftanken.“ Martin Krämer merkte an, „dass unser Heer nur noch Makulatur mit einem gewissen folkloristischen Aufputz ist und keinesfalls mehr das Land im Ernstfall verteidigen könnte“.
Ich kann das nicht kommentieren, da mir die nähere Sachkenntnis in diesen Fragen fehlt. Österreich war, wie große (westliche) Teile Europas nach dem Zweiten Weltkrieg ein sicherheitspolitisches Protektorat der USA. Welchen Anforderungen hätte sich dieser Teil Europas ohne die Nato stellen müssen? Ich kann hier nicht nachvollziehen, was Krämer meint, wenn er heute beklagt, unser Heer sei nicht in mehr der Lage „das Land im Ernstfall“ zu verteidigen.
Erstens waren wir das nie allein und aus eigener Kraft, mußten es aber auch nicht überprüfen, zweitens ist Krieg heute etwas ganz Anderes als vor 50 Jahren. Das paßt nun zum Thema Haflinger, weil Österreich schon in den 1950ern nicht in der Lage war, ein Bundesheer aufzubauen, das sich einer Großarmee hätte in den Weg stellen können.
Genau das war einer der wenigen Gründe für andere strategische Konzepte und schließlich die Spanocchi-Doktrin. Der Haflinger ist ein Produkt eben dieser Zusammenhänge, wurde zwar gelegentlich bewaffnet, ist aber im Kern kein Waffensystem, sondern ein Nutzfahrzeug.
Ich zitiere aus dem haflinger-Buch: „Österreich führte im November 1969 das Großmanöver ‚Bärentatze‘ durch. Daran nahmen 12.508 Mann, 345 Ketten- und 2.181 Räderfahrzeuge teil. Das Ergebnis wurde als Desaster gedeutet. Im April 1970 berichtete das deutsche Magazin ‚Der Spiegel‘ darüber: ‚Die Mini-Streitmacht siecht dahin,…“ Das Fazit jener Tage: „An nationalen Feiertagen präsentiert sich die Truppe auf dem Wiener Ring. Spätestens beim Manöver 'Bärentatze' im Herbst letzten Jahres stellte sich heraus, daß sie im Ernstfall nur bedingt einsatzfähig wäre.“
Ich hab im Buch Divisionär Ernest König zitiert. Der sah Österreich historisch und (damals) gegenwärtig in einer „Flankenposition Richtung Osten“. König konstatierte: „Ausschlaggebend für die weitere Entwicklung war die Erkenntnis des damaligen US-Präsidenten, daß die europäische Gegenküste ohne Deutschland ein sowjetisches Europa zur Folge hätte.“
Die europäische Gegenküste Amerikas. Ist heute die geopolitische Aktion vergleichbar? Wie sehen aktuelle Bedrohungsszenarien aus? Welchen Anforderungen stünde unser Bundesheer aktuell gegenüber? Haben nicht Info-Krieg, Wirtschaftsmaßnahmen und Cyberwar das alte Säbelrasseln in vielen Bereichen abgelöst? (Von autonomen Waffensystemen noch ganz zu schweigen.)
Der Haflinger mit seiner Geschichte betont also eine Ära und eine weltpolitische Situation, die uns derzeit als Hintergrundfolie nützen kann, um über Gegenwart und nahe Zukunft nachzudenken. Falls das Bundesheer seinen Fuhrpark nicht mehr aus den Hallen bekommt, sind doch inzwischen genug ausgemusterte Fahrzeuge in Privatbesitz angekommen, wurden restauriert, sind gut in Schuß.
Wir könnten mit mehreren privaten Flotten an Haflingern, Pinzgauern und G-Wagen unsere Soldaten im Land spazierenführen. Es wären auch genug 680er in treusorgenden privaten Händen, sogar mancher 380er. Man fände selbst den einen oder anderen alte Mannschaftswagen darunter. Es würden sich auch diverse Dodge WC zugesellen. Da wären ferner so manche Steyr 12M18, die begeisterte Camper mit komfortableren Quartieren versehen haben, als sie viele Kasernen bieten können.
Da Legionen von Stadtbewohnern sich überdies auf den Besitz von großen SUVs und Pickups versteift haben, hätte Österreich im Ernstfall sicher kein Transportproblem, solange der Sprit reicht. Fragt sich bloß, über welche Art Ernstfall wir zu reden hätten.