Notiz 047: Erkundungen#
von Martin KruscheKommt der Brocken um die Ecke des Rathauses, die spröde Fuhre mit jenem V8 Diesel, dem eine Ausgleichswelle verpaßt werden mußte, damit er nicht gar so rüttelt. Klingt eigentlich wie ein Traktor. Der bleibt nicht von selbst auf der Straße, braucht eine strenge Hand. Man möchte sagen: so was kann nur eine Mutter lieben. Und es ist auch fast so.
Am Steuer Techniker Markus Rudolf, der mit dem G-Wagen aufgewachsen ist. Sein Vater Egon Rudolf war als Konstrukteur im Puchwerk tätig, zuletzt als Werksdirektor. Die Geschichte des Puch G ist eng mit dieser Familiengeschichte verwoben. Rudolf mag das Spröde.
Wir machten uns auf den Weg nach Nestelberg bei Ilz, um in der „Bierwerkstatt“ den Kameramann und Produzenten Fritz Erjautz zu treffen. Mit dem hatte ich mich vor einer Weile besprochen, um zu erörtern, wie verstreutes Wissen rund um steirische Technik- und Mobilitätsgeschichte zusammengetragen und gesichert werden könnte. Siehe dazu: „Puch. Ein Mythos“ (Der Auftakt einer Erkundung)
Das ist freilich keine Aufgabe, die von zwei, drei Leuten in einem einzelnen Projektchen erledigt werden könnte.
Dazu bedarf es eines Netzwerkes engagierter Menschen, die Sachkenntnis mit Selbstbewußten verbinden. Weshalb Selbstbewußtsein? Weil auch in diesem Genre so allerhand an Eitelkeiten den Wissensgewinn und den Zugang zu wichtigen Informationen blockieren. Wenn aber jemand weiß, wer er ist, nicht auf Kosten anderer expandieren muß, dann geht viel weiter.
Ein vorzügliches Beispiel, wie jemand sein Wissen und seine Archivalien auch anderen verfügbar macht, ist Ferdinand Micha Lanner. Der Enkel des Rennfahrers Ferdinand Lanner und Sohn jenes Ferdinand Lanner, welcher gemeinsam mit Giovanni Marcellino eine Kärntner Vertretung der Steyr-Daimler-Puch AG aufgebaut hatte, betreibt im Web die „Zuckerfabrik 24“, auf die kein Puch-Fan verzichten kann.
Ich hatte zu unserem Treffen einige seltene Blätter mit Werkzeichnungen mitgebracht, die mir Lanner leihweise überlassen hat, um das Material in meine aktuelle Arbeit einzubeziehen. Siehe dazu Notiz 042: „Pharaonen und Wegelagerer“!
Nun hat sich aber die Geschichte an jenem Wochenende noch weiter gerundet. Die „Bierwerkstatt“ mit ihren Musikveranstaltungen und der hauseigenen Brauerei ist in jenem Anwesen eingerichtet, das einst der Bergbauernsohn und gelernte Dreher Siegfried Graf errichtet hat, um seinen Betrieb zu etablieren.
Dazu hatte er vor Jahrzehnten aus einem längeren Aufenthalt in Schweden die Idee mitgebracht, daß man geschwächten, auch versehrten Menschen geeignete Fahrzeuge bauen sollte, die ihnen eine individuelle Mobilität zurückgeben würden, welche sie aus eigener Kraft nicht mehr hätten. Dazu war nach Erfahrungen des Handwerkers damals ein elektrifizierter Rollstuhl nicht hinreichend.
Das Ergebnis seiner Entwicklungsarbeit ist die Fahrzeugpalette „Graf Carello“, wovon wir im Stadtverkehr alle Wochen ein Vehikel zu sehen bekommen. Es war entsprechend anregend, mit Graf über seine Erfahrungen und derlei Geschichten zu reden. Daß mit ihm auch über den Haflinger zu plaudern gewesen ist, versteht sich von selbst. Aber eigentlich spannend ist diese exemplarische Biographie.
Jener Bergbauernhof, wo Grafs Vater erstens schon auf ein Pferd setzte, was in bescheidenen Wirtschaften eher selten vorkam, wo der Tüftler zweitens durch eine eigene kleine Turbine den Betrieb elektrifizierte.
Graf war eines von neun Geschwistern, verließ den Hof, ging nach Hamburg, absolvierte die Lehre zum Dreher, verbrachte danach Jahre in Schweden und in Italien, knüpfte Geschäftskontakte nach Amerika, baute seinen Betrieb auf.
Das ist geradezu exemplarisch, wie im 20. Jahrhundert verstreute Talente aus der agrarischen Welt neue Wege fanden, während sich die zweite Industrielle Revolution Richtung Digitaler Revolution entwickelte.