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Netzwerke im Wandel – Perspektiven zu Volkskultur 4.0 #

Eine Serie zum Kulturellen Erbe. Erster Teil. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Steirische Berichte 1/2017

Von

Günther Ludwig


Puch
Foto: Archiv „Mythos Puch“

Die Darsteller dieser Geschichte gruppieren sich um einen kleinen Star – ein simples Auto – , dessen Wiedererkennungswert selbst bei Laien erstaunlich hoch ist, und man seinen derzeitigen Bekanntheitsgrad noch immer als enorm bezeichnen kann. Unser Star ist, und das kann man ihm nachsehen, in die Jahre gekommen. Er feiert 2017 sein 60-jähriges Jubiläum. Aber dazu später. Dieser Bericht versucht einen klitzekleinen Aspekt der „technischen Welt“ aufzunehmen, um ihn in seiner weiteren Entwicklung und späteren Bedeutung zu beobachten. Die Menschen in dieser Geschichte sind Teil dieser (vergangenen) technischen Welt, wobei der Grad der Verwobenheit mit dem Thema Technik/ Motorisierung, nicht immer mit Ihrer eigentlichen beruflichen Tätigkeit zusammenhängt, sondern eher mit Ihrer Affinität zur Technik, die Welt der Modernisierung (Fahrzeuge) und der der Liebe zum – im weitesten Sinn – „Schrauben und Sammeln“.

Mit der „vergangenen“ (analogen) Technik hat die Mehrzahl der Menschen heutzutage nichts mehr am „Hut“, sondern bevorzugt eher das „Wischen“ und ähnliche Handfertigkeiten auf digitalem Gerät. Wir begeben uns in diesem Bericht auf uns nicht bekanntes Gebiet und somit in Schleudergefahr und versuchen in diesem Bericht, uns der Szene der „Schrauber und Sammler“ behutsam zu nähern.

Wir glauben, dass das der Beginn eines gedanklichen „Anstupsers“ sein kann, der den derzeitigen Wandel im Umgang mit altem oder älterem Handwerk, handwerklichen Fähigkeiten, Geschick, beruflichen Erfahrungen etc. pp aufzeigt. Dieser Beitrag ist ein Versuch, den Prozess über die sinnvolle Weiterverwendung „alten Wissens“, weiter zu denken und entwickeln zu helfen. Nicht das Verehren der „guten alten Zeit“, als emotionalem Fluchtpunkt in einer sich rasant verändernden Gesellschaft und Umwelt, liegt uns am Herzen, sondern die Bewahrung und Entwicklung gelebten Handwerks und Brauchtums im Wandel der Zeit. Vor allem in diesem Wandel werden Elemente traditionellen Handwerks nach wie vor in Handwerksbetrieben gelebt und von Generation zu Generation oder in Gemeinschaften (etwa Familien) weitergegeben.

Wenn Sie so wollen, entspricht dieser Ansatz dem der Bewahrung von Erfahrung und Kompetenz, also dem Aufzeigen und Erhalten von „Kulturgütern im weiteren Sinn“. Damit wären alle Formen traditioneller Kultur, also kollektive Werke, die von einer Gemeinschaft hervorgebracht werden und oftmals auf mündlicher Überlieferung beruhen, gemeint.

Dazu zählen Bräuche/Brauchtum, Rituale, Feste u.v.m., aber auch alle Arten von Fertigkeiten, die mit materiellen Aspekten von Kultur in Verbindung stehen, wie zum Beispiel Werkzeuge. Zusammengefasst kann man unter dem Begriff „Kulturgut“ auch Symbole verstehen, die neben ihrer materiellen auch eine ideelle Bedeutung für eine Bevölkerung haben.

Wir kommen zurück zum Star der Geschichte und fragen uns, wofür der Puch, das Pucherl, das Puchauto, der Fünfhunderter als Symbol dieser Geschichte steht?

In einer Broschüre zum Pucherl-Jubiläum „60 Jahre Steyr-Puch 500“ liest man, dass der „Fünfhunderter“ eine Ikone der heimischen Massenmotorisierung in der Zweiten Republik ist; sozusagen ein Stück österreichischer Industrie-Folklore. Das Puchschammerl – als Teil einer damaligen Alltagskultur, welches verschiedene Lebenswelten verknüpft. Erst die Volksmotorisierung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg machte das Medium „Kraftfahrzeug“ und damit das „Puchauto“ verfügbar, an dem gezeigt wurde, was geschickte und inspirierte Menschen leisten können, wenn die Erwerbsarbeit ruht und sie ganz selbstbestimmt ihren speziellen kulturellen Interessen nachgehen können.

Puch
Foto: Archiv „Mythos Puch“

Einfallsreichtum, Geschick, Kommunikations- und Netzwerkfähigkeiten, ja selbst ästhetische Komponenten wurden eingebracht, wenn es um die Optimierung und um die Modernisierung der Fahrzeuge, bis hin zum Restaurieren und Erhalten dieser Vehikel, ging. Das Pucherl oder von manchem liebevoll als „Asphaltblaserl“ apostrophiert, ist in der speziellen technischen Szene – gemeint ist die „Schrauber- und Sammlerszene – besonders exponiert und steht somit stellvertretend für das ganze Genre. In so vielen Biographien des Landes ergeben sich Verknüpfungen über die Marke Puch und daraus, dass der Mischkonzern einst Fahrräder, Motorräder und Mopeds produzierte, aber auch Nutzfahrzeuge und Panzer, bis hin zu Schiffsmotoren, vor allem aber leistungsfähige Traktoren sowie Lastwagen aller Art. Überspitzt formuliert ist die Motorisierung Österreichs demnach von der Steyr-Daimler-Puch AG, im Volksmund auf „Puch“ reduziert, umfassend geprägt worden. André Pförtner[1] nennt den historischen Mischkonzern einen „österreichischen Gedächtnisort, (…) der bereits vor 1945 ein österreichischer Mythos war“. Aus einer Diplomarbeit der Grazer Wissenschafterin Hilde Harrer[2] wissen wir, dass die neuen Fahrzeugarten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Anlass für ein ausdifferenziertes Brauchtum waren, dessen Pflege sich rasch ausbreitete. Ebenso findet sich in Ihrer Dissertation „Automobilismus in der Steiermark um 1900“ eine detailreiche Schilderung der „Herausbildung brauchtümlicher Aspekte“.

Uns interessiert dabei weniger der Aspekt des Brauchtums oder der Identitätsstiftung, sondern vielmehr der Gesichtspunkt der „Weitergabe handwerklichen Wissens“, fern jeglicher derzeitiger Musealisierung. Alljährlich wiederkehrende Aktivitäten einer sehr lebendigen „Schrauber- und Sammlerszene“ geben Aufschluss über die Pflege handwerklicher Tradition und Kompetenz, die in der Industrie 4.0 keinerlei Marktfähigkeit mehr besitzen, daher nicht mehr benötigt werden und mit der Zeit – drastisch formuliert „akut“ – vom Vergessen bedroht sind.

Woher wissen wir aber, ob diese vielschichtigen Kompetenzen auf dem Weg in die Vierte Industrielle Revolution nicht doch gebraucht werden? Durch diese exemplarisch ausgewählte Szene der Sammler und Schrauber werden Wissen und Erfahrung erhalten, lebendig erhalten. Dies korrespondiert mit einer aktuellen UNESCO-Studie[3] über den Erhalt von immateriellem Kulturerbe, wobei der substanzielle Gehalt an Erfahrung sogar als „Wirtschaftsfaktor für Österreich“ dargelegt wird. Die Frage nach Sinnhaftigkeit und dem Erhalt des immateriellen Kulturerbes, im Sinne eines so bezeichneten „Wirtschaftsfaktors“, stellt sich nicht.

Puch
Foto: Archiv „Mythos Puch“

Eine diagnostizierte „Marktfähigkeit“ ist obsolet. Wichtig wären Maßnahmen zur Sicherstellung des Fortbestandes des immateriellen Kulturerbes, die Ermittlung, Dokumentation, Förderung, Aufwertung, Weitergabe, insbesondere durch schulische und außerschulische Bildung. Eine Belebung der Aspekte im Sinne eines kultur-und sozialpolitischen Auftrages für die Erhaltung und Bewertung der Erinnerung, Erfahrung, Kompetenz ist notwendig. Die erwähnten Sammler und Schrauber stehen stellvertretend für viele andere nicht erwähnte Sammler und Sammlergebiete. Hier findet de facto eine umfassende Wissens- und Kulturarbeit statt.

Durch die Globalisierung der Beschaffungs- und Absatzmärkte, durch die Liberalisierungs- und Konzentrationsprozesse sowie durch die laufende Technisierung und Standardisierung von Produktionsabläufen sind traditionelle Herstellungsmethoden und Strukturen im Handwerk, besonders in den letzten zwei Generationen, immer stärker unter Druck geraten und teilweise bereits vom Markt verdrängt worden. Verdrängung kann nicht nur Verlust der Einkommensbasis bedeuten, sondern auch Verlust einer Lebenssphäre, einer sozialen gesellschaftlichen Grundlage, bis hin zur Aufgabe der Lebensqualität und Absiedlung.

Die wirtschaftlichen und sozialen Parameter, die zu einer Landflucht, somit auch zur Verarmung vieler Gebiete führen, sind bekannt. Vielleicht sollten wir dem Abbau tradierten Wissens entgegenwirken, um Innovation – im Sinne eines Aufbaues und Wirkung neuer Strukturen – zuzulassen.

Fußnoten#

[1] André Pförtner „Memoria Austriae III“
[2] Hilde Harrer „Fahrradkultur im Spiegel der Grazer Radfahrvereine 1182–1900“
[3] Heidrun Buchler-Ripfel, Roman Sandgruber, Maria Walcher „Traditionelles Handwerk als immaterielles Kulturerbe und Wirtschaftfaktor in Österreich“

Weiterführendes#