Die Folgen der gekrümmten Raumzeit #
Albert Einsteins Vorhersagen beschäftigen bis heute die Wissenschaft: Durch den Nachweis von Gravitationswellen etwa könnte sich demnächst ein neues Verständnis des Universums abzeichnen. Zum 100-Jahr-Jubiläum der Relativitätstheorie. #
Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE (Donnerstag, 3. Dezember 2015)
Von
Peter Christian Aichelburg
Stellen Sie sich vor, Sie kommen mit dem Auto in eine fremde Stadt und wollen zum gebuchten Hotel. Sie schalten das Navigationssystem ein, das Sie sicher durch das Straßengewirr bringen soll. Anfangs stimmen die Hinweise recht gut, aber schon nach zehn Minuten werden die Hinweise ungenau. Die Straße, in die Sie aufgefordert werden einzubiegen, ist die falsche, und alsbald sind die Hinweise unbrauchbar. So oder so ähnlich muss es dem US-Geheimdienst ergangen sein, als er das erste Globale Positionierung-System (GPS) getestet hat. Gott sei Dank haben die Verantwortlichen auf die Physiker gehört und eine Korrekturmöglichkeit eingebaut, um die Folgen aus der Einstein’schen Relativitätstheorie zu berücksichtigen.
Diese Theorie, die nun ihren 100. Geburtstag feiert, hat damals das Weltbild revolutioniert: Im Newtonschen Verständnis waren Raum und Zeit vorgegebene Größen, gleichsam die Bühne, auf der sich die physikalischen Begebenheiten zutragen. Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie wurden sie zur gekrümmten Raumzeit und somit zum Teil des dynamischen Geschehens.
Beweis bei Sonnenfinsternis #
Am 20. November 1915 legt der Göttinger Mathematiker David Hilbert in einer Mitteilung an die „Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen“ jene Gleichungen einer geometrischen Formulierung der Gravitation vor, um die sich Einstein jahrelang bemüht hat. Fünf Tage später gibt Einstein dieselben Gleichungen der Preußischen Akademie bekannt. Wie konnte dies geschehen? Einstein war im Juni 1915 zu Vorträgen in Göttingen, in denen er über seine Ideen zu einer neuen Theorie der Gravitation und den noch ungelösten Problemen berichtete. Als er am 25. November die endgültigen Gleichungen vorlegt, kannte er zwar Hilberts Ableitung flüchtig. Aber es ist unwahrscheinlich, dass er diese aus Hilberts Arbeit übernommen hat. Jedenfalls führte dies zu einer Verstimmung mit Hilbert – bis dieser ausdrücklich feststellte, dass die neue Gravitationstheorie ganz das Werk Einsteins sei.
Eine der Konsequenzen der Einstein’schen Theorie ist, dass Licht im Schwerefeld eine Ablenkung erfährt. Dieser Effekt sollte sich bei Sternenlicht, das nahe am Sonnenrand vorbei geht, bemerkbar machen. Um diese Ablenkung zu beobachten, bedarf es einer totalen Sonnenfinsternis, weil sonst das Sonnenlicht das Sternenlicht überstrahlt. Einstein wollte bereits 1914, also noch bevor er die endgültigen Gleichungen hatte, diesen Effekt bei einer Sonnenfinsternis in Russland testen. Dazu kam es aber wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs nicht. Erst 1919 plante der britische Astronom Sir Arthur Eddington eine entsprechende Expedition nach Westafrika. Als ein halbes Jahr später in einer feierlichen Sitzung der „Royal Society“ und der „Royal Astronomical Society“ in London die Vorhersage der neuen Theorie offiziell bestätigt wurde, war Einstein über Nacht international bekannt.
Welche Bedeutung aber kommt Einsteins Theorie heute noch zu? Viele der Konsequenzen sind schwer nachzuweisen und doch spielen sie, wie sich am Beispiel des GPS zeigt, auch in unser tägliches Leben hinein. Unbestritten sind die Effekte der Theorie für die Erforschung des Kosmos. Die oben erwähnte Lichtablenkung im Gravitationsfeld wird heute dazu benützt, um etwa die Masse von Galaxienhaufen abzuschätzen. Das durch Materie-Ansammlungen hervorgerufene Schwerefeld führt zu einer Bündelung der Lichtstrahlen, die von einer dahinter liegenden Quelle stammen. Diese sogenannten Gravitationslinsen ermöglichen es, auch Objekte zu sehen, die wegen ihrer Lichtschwäche sonst kaum zu beobachten wären. Eine der wohl spektakulärsten Konsequenzen aus Einsteins Theorie sind Schwarze Löcher: auf dem Papier Lösungen für Gleichungen, bei denen die Geometrie in einem Gebiet so stark gekrümmt ist, dass nichts daraus entweichen kann – nicht einmal Licht, daher der Name. Solche Schwarzen Löcher entstehen, wenn ein massereicher Stern am Ende seiner Entwicklung durch die Gravitation in sich zusammenbricht. Heute sind Forscher überzeugt, dass es unzählige solcher Objekte auch in unserer Milchstraße gibt. Die Beobachtung erfolgt indirekt durch das Aufleuchten hineinfallender Materie. Zuletzt ist es evident geworden, dass sich riesige Schwarze Löcher im Zentrum vieler Galaxien befinden – in unserer Milchstraße etwa eines mit circa vier Millionen Sonnenmassen. Dies zeigen Beobachtungen von Sternen, die das Schwarze Loch umkreisen.
Einsteins „kosmologische Konstante“ #
Allerdings ist es bis jetzt nicht gelungen, eine der Vorhersagen von Einsteins Theorie direkt nachzuweisen: Während sich die Gravitationswirkung nach der Newton’schen Theorie instantan, also augenblicklich ausbreitet, so verlangt schon die Spezielle Relativitätstheorie, dass sich jedes Signal höchstens mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzt. Wie aber sieht es mit Veränderungen in der Geometrie aus?
1918 publiziert Einstein eine Arbeit über Gravitationswellen, in der er nachweist, dass sich Störungen der Geometrie mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und Energie transportieren, ähnlich wie elektromagnetische Wellen. Gravitationswellen werden durch bewegte Massen erzeugt, sind aber meist zu schwach, um bemerkt zu werden. Indirekt gibt es Beweise für die Existenz von Gravitationswellen, denn sie entziehen dem System Energie.
Rund um den Erdball gibt es Forschungsteams, die sogenannte Gravitationswellen- Detektoren entwickelt haben und laufend Messungen durchführen. Dieses Ziel verfolgt nun auch das „eLISA“-Projekt der Europäischen Raumfahrtagentur ESA (vgl. FURCHE Nr. 48, S. 24). Hier arbeiten Theoretiker und Experimentalphysiker zusammen. Denn um das extrem schwache Signal aus dem Hintergrund herauszufiltern, bedarf es einer genauen Vorhersage über die Form des zu erwartenden Signals. In den nächsten Jahren sollte es gelingen, Gravitationswellen direkt nachzuweisen. Dies würde ein neues Fenster in den Kosmos öffnen und uns Kunde von dramatischen Vorgängen in fernen Galaxien bringen – und somit auch zu einem besseren Verständnis der Entwicklung des Universums beitragen.
Schon 1917 hat Einstein seine Theorie auf den Kosmos als Ganzes angewandt. Er war der Meinung, das Universum sei im Großen unveränderlich, und hat daher nach einer statischen Lösung gesucht. Als der exzentrische Physiker erkannte, dass seine Gleichungen eine solche nicht zulassen, fügte er die „kosmologische Konstante“ ein: Dies hat er später angeblich mit „die größte Eselei meines Lebens“ quittiert. Denn er hätte die Expansion des Kosmos, die 1929 der Astronom Edwin Hubble durch Beobachtung des Auseinander-Driftens der Galaxien entdeckte, vorhersagen können.
Zurück in die Ursuppe #
Die Einstein’sche Theorie ist die Grundlage für die moderne Kosmologie. Wir haben starke Hinweise, dass sich das Universum vor circa 14 Milliarden Jahren aus einer extrem dichten und heißen „Ursuppe“ entwickelt hat, aus der die heute zu beobachtenden Strukturen nach und nach entstanden sind. Dennoch zeigt diese Urknall-Theorie die Grenzen der Einstein’schen Theorie auf: Denn verfolgt man die Entwicklung des Kosmos in der Zeit zurück, so gelangt man zu immer höheren Dichten bis, wie die Theoretiker es nennen, eine „Singularität“ entsteht. Hier muss die Theorie durch Neues ersetzt werden.
Quantengravitation ist das neue Schlagwort, denn den Gesetzen des Mikrokosmos sollte auch die Gravitation unterworfen sein. Trotz interessanter Ansätze wie etwa die String-Theorie oder die Schleifengravitation gibt es aber noch keine zufriedenstellende Lösung. Zweifellos gehört Einsteins Gravitationstheorie auch noch nach hundert Jahren zu den größten geistigen Leistungen in der Physik. Und sie prägt unsere Vorstellung von Raum und Zeit bis heute.
Der Autor war Prof. für theoretische Physik an der Uni Wien und Vorsitzender des wiss. Beirats zum Europ. Forum Alpbach.
Auszug aus der Furche vom 30. April 1955 / Nr. 18 #
Das Werk Albert Einsteins #
Von Peter Weinzierl
Die Physik hat heute weltpolitische Bedeutung erlangt .... In dieser Situation ständig wachsender wissenschaftlicher Betriebsamkeit ist eine Betrachtung des Werkes Albert Einsteins, der am 17. April in Princeton gestorben ist, gewiß am Platz. Denn wenn einer, so repräsentierte er jenen Typ des Gelehrten, der – weltfremd bis zur Absonderlichkeit – ohne Rücksicht auf Nutzen und praktische Anwendung sich in rein philosophischem Streben nach Erkenntnis ein Leben lang bemühte .... Wenn heute jeder Mittelschüler mit mehr oder weniger Verständnis lernt, daß Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist, so sind diese Begriffe bereits so weit zum Allgemeingut geworden, daß sie uns beinahe als Selbstverständlichkeit erscheinen. Wir haben kein Gefühl mehr dafür, welche großartige intuitive Leistung die Aufstellung dieser Axiome der Newtonschen Mechanik bedeutete, auf der dreihundert Jahre physikalischen Denkens fußen. Und wenn auch heute bei der bloßen Nennung der Relativitätstheorie den Laien leichtes Gruseln befällt, so werden dennoch auch diese Begriffe einmal Allgemeingut der Menschheit werden. So ist das Kennzeichnende des Weltbildes, das Albert Einstein entworfen hat, die exakte Gesetzmäßigkeit, nach der sich alles Geschehen vollzieht, das letzten Endes durch ein einziges Formelsystem wiedergegeben werden kann. Ebenso unbedingt wie seine Überzeugung von der Existenz dieser geordneten Harmonie des Alls war in unserer Zeit skeptischer Erkenntniskritik sein Vertrauen in die Fähigkeit des menschlichen Geistes, sie zu ergründen.