Kosmische Schwergewichte#
Österreichische Nanosatelliten sollen am 25. Februar zu ihrer Weltraummission aufbrechen: Sie messen die Licht- und Durchmesserschwankungen von Riesensternen, um zu ergründen, was das All zusammenhält.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So. 9./10. Februar 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Christian Pinter
Eigentlich sollen die beiden österreichischen BRITE-Satelliten (das Kürzel steht für BRIght Target Explorer) am 25. Februar 2013 ins All entlassen werden. Doch womöglich wird der Start noch ein weiteres Mal verschoben, wie schon so oft im letzten Jahr. Man setzt auf eine indische Rakete mit dem prosaischen Namen "PSLV-CA". Sie fungiert quasi als Sammeltaxi und hebt gleichzeitig noch vier weitere Satelliten aus Indien, Kanada und Dänemark in den Orbit. Das spart Kosten. Auch die ersten heimischen Erdbegleiter sind leicht in der Raketenspitze zu verstauen: Jeder dieser Würfel weist eine Kantenlänge von nur 20 cm auf - und ist mit sieben Kilo Masse ein "Fliegengewicht".
Die Teleskoplinsen besitzen Durchmesser von nur 30 mm. Handelsübliche Ferngläser trichtern oft mehr Licht ein. Doch hinter der bescheiden dimensionierten Optik sitzt ein sehr präziser CCD-Sensor. Der registriert jede Helligkeitsänderung der anvisierten Sterne akribisch und erfasst winzige, höchst verräterische Variationen des Sternenlichts.
Das störende, atmosphärisch bedingte Funkeln gibt es in einer Flughöhe von 800 Kilometer längst nicht mehr; es würde zu unliebsamen Fluktuationen der Messergebnisse führen. Einer der beiden Satelliten misst Helligkeiten im roten, der andere im blauen Spektralbereich. Jeder strebt eine Genauigkeit von mindestens einem Promille an.
Blendende Sterne mit schwankendem Licht#
Später werden baugleiche Modelle aus Polen und Kanada nachfolgen. Im All treffen sie auf Konkurrenz: "Kepler" und andere Weltraumteleskope halten ebenfalls Ausschau nach subtilen Veränderungen im Sternenlicht. Die wollen aber möglichst viele Sternchen erfassen; ihre Optiken sind daher für schwache Lichtpunkte optimiert. Die 500 hellsten Sterne würden sie "blenden". Für diese besonders glänzenden Lichter steigen nun die Österreicher in den Ring. Ihre Mission besteht darin, mindestens zwei Jahre lang Messergebnis um Messergebnis zur Erde zu funken.
Diese beiden sogenannten "Nanosatelliten" entsprangen der Zusammenarbeit von Universitäten in Graz, Wien und Toronto. Die Technische Universität Graz beherbergt das Kontroll- und Datenzentrum. Was die himmelskundliche Seite anbelangt, führt Professor Werner W. Weiss vom Institut für Astronomie in Wien die Feder.
Trotz ihres Durchmessers von 1,4 Millionen Kilometern gilt unsere Sonne als "gelber Zwergstern". Astronomen teilten sie dieser informellen Klasse zu, bevor sich 95 Prozent aller Sterne als noch viel schmächtiger entpuppten: So lauern überall, auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, Rote Zwerge. Sie sind deutlich kühler. Mangels Leuchtkraft zeigt sich keiner von ihnen dem freien Auge. Selbst unsere Sonne wäre schon aus 85 Lichtjahren Abstand nicht mehr ohne optische Hilfsmittel auszumachen.
Ganz anders verhält es sich etwa mit dem Stern Deneb. Trotz seiner Distanz von satten 1400 Lichtjahren bildet er den auffälligsten Lichtpunkt im Sternbild Schwan. Denn dieser Superriese strahlt mit der Kraft von einigen zehntausend Sonnen. Fast alle Sterne, die wir mit bloßem Auge am Nachthimmel erblicken, gleißen in Wahrheit stärker als unsere Sonne. Die BRITE-Mission wendet sich diesen "Athleten des Lichts" zu.
Die Vertreter der kosmischen "Schwer-" und "Superschwergewichtsklasse" rafften schon bei ihrer Geburt extra viel Wasserstoff an sich. Seither presst sie das eigene Übergewicht brutal zusammen. Drucke und Temperaturen in Rekordhöhe zwingen sie, im Zentrum unverhältnismäßig viel Strahlung zu erzeugen.
Nach außen drängend, verhindert nur diese Strahlung den Kollaps des Sterns. Auch dessen Oberfläche wird immens erhitzt. Während man auf der Sonne 5500 Grad C messen würde, sind es auf den Sternen Atair, Sirius, Regulus oder Spica 8000 bis 20.000 Grad. Diese Hitze verrät sich durch eine äußerst zarte Blautönung im Sternenweiß.
Mit der Hitze schnellt die Leuchtkraft dramatisch hoch. Ein Stern mit 15 Sonnenmassen strahlt wie 10.000 Sonnen. Noch eine Massenverdopplung, und seine Kraft steigt auf das 400.000-Fache. Ein solcher Riese gibt pro Sekunde so viel Licht ab, wie unsere Sonne in viereinhalb Tagen. Gerade die heißesten Sterne wirbeln dabei oft in atemberaubendem Tempo um ihre Achse. Regulus ist dadurch arg abgeplattet; es fehlte nicht viel, und die Fliehkraft risse den Löwenstern auseinander. Die Wega im Sternbild Leier schafft ihre Pirouette in 17 Stunden; unsere schmächtige Sonne braucht dazu fast vier Wochen.
Fusionsprozesse bis zum stellaren Burnout#
Im Sonnenkern fusioniert Wasserstoff zu Helium. Später wird aus dem Helium noch Kohlenstoff geschmiedet. Auch Sauerstoff entsteht. Dann ist Schluss, zumindest bei unserer Sonne. Erst die extremen Zentraltemperaturen der massereicheren Sterne ermöglichen weitere, allerdings immer kurzlebigere Fusionsprozesse. Dabei wird die "Asche" der aktuellen Fusionsrunde zum Brennstoff für die jeweils nächste.
Bei steigenden Temperaturen zünden dann zunehmend weiter außen liegende Schalen der Sternenhülle. Dort wiederholen sich nach und nach jene Prozesse, die zuvor im Zentrum abliefen. Immer flinker verändert der alternde Stern solcherart seine Chemie. Und bald ähnelt er im Aufbau einer Zwiebel.
Die wachsende Strahlung drängt den Stern auseinander. Er schwillt zum Riesen an. Beim Aufblähen sinkt allerdings die Oberflächentemperatur, weshalb sich nun ein pastellartiges Goldgelb oder sogar Orangerot ins Licht mischt. Riesensterne wie Arktur, Antares oder Beteigeuze führen uns das meisterlich vor Augen.
Die extremen Kerntemperaturen verleiten massereiche Sterne zu einem höchst verschwenderischen Umgang mit ihren Ressourcen. Sie brennen gleichsam aus. Unsere Sonne leuchtet seit 4,6 Milliarden Jahren und hat dennoch kaum die Hälfte ihres Daseins hinter sich. Die Lebenserwartung der kosmischen Superschwergewichte misst man hingegen nur in Jahrmillionen. Sie sinkt rascher als mit dem Quadrat des Gewichts: Bei zehn Sonnenmassen ertönt der finale Gong schon nach 35 Millionen Jahren, bei 30 Sonnenmassen nach drei Millionen. Die mächtigsten Sterne gehen nach 50.000 Jahren zu Boden.
Der Ausgang steht schon fest: Hünen mit mehr als acht Sonnenmassen beschließen ihr kurzes Dasein in einer gigantischen Supernova-Explosion. Dabei reichern sie das All mit Elementen an, die später zum Teil in neuen Planeten aufgehen.
Die absoluten "Champions" des Alls besitzen die 150-fache Sonnenmasse. Mehr schaffen heutige Sterne nicht. Zwar hat man auch einen Ausreißer mit 265 Sonnenmassen gefunden, doch der besteht in Wahrheit vielleicht aus zwei Sternen. Astronomen der Europäischen Südsternwarte (ESO) zeigten ja jüngst, dass die meisten heißen Riesensterne intime Begleiter besitzen.
Ein Roter Riese namens Beteigeuze#
Das Wintersternbild Orion stellt uns weitere Supernova-Kandidaten vor. Am rechten Fuß funkelt der leicht bläuliche Rigel. Er strahlt mehr Licht in den Raum als 40.000 Sonnen. Der Kopfstern Heka glüht mit 35.000 Grad C, und auch die drei Gürtelsterne zählen zu den Heißspornen des Universums. An der linken Schulter der Figur funkelt der aufgeblähte Stern Beteigeuze. Rückte man diesen Roten Riesen an die Stelle der Sonne, verschluckte er die Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars und Jupiter.
Vor dem endgültigen K.O. geraten alternde Sterne aus dem Gleichgewicht. Heiße, dichte Gasschichten stellen sich der Strahlung in den Weg. Der Energiestau bläht sie auf. Das Gas kühlt dabei und lässt die Strahlung leichter passieren. Es sinkt somit ab und erhitzt sich wieder. Dann startet die nächste Pulsation. Diese regelmäßigen Veränderungen des Sterndurchmessers verraten sich in rhythmischen Lichtschwankungen. Bei einigen Sternen geschieht das allerdings ohne ersichtliche Regel, etwa beim Roten Riesen Scheat im Pegasus. Im Radius hundertmal größer als die Sonne, ist auch er "ein Fall für BRITE".
Zumindest in den äußersten Zonen von Sternen wird die Energie nicht durch Strahlung, sondern durch das Aufsteigen heißer Gasblasen transportiert. Das "Brodeln" erzeugt Schwingungen, die zu bescheidenen Pulsationen führen. Winzige Helligkeitsvariationen sind die Folge. Irdische Seismologen nützen Erdbebenwellen, um Informationen über das Erdinnere zu erhalten. Astroseismologen analysieren Frequenzen und Stärken von Sternschwingungen, um den inneren Aufbau ferner Sonnen zu ergründen.
Quecksilberwolken und Magnetfelder#
Die Schwingungen hängen nämlich von der Schallgeschwindigkeit in den verborgenen Gasschichten ab. Da sich das Sterneninnere mit der Zeit verändert, lässt sich solcherart auch das Alter der fremden Sonnen ermitteln: Astroseismologen werden wohl bald Altersschätzungen mit Fehlern von nur wenigen Prozenten vorlegen.
Die BRITE-Satelliten sollen auch junge Delta-Scuti-Sterne aufs Korn nehmen, die man in Wien seit längerem erforscht. Ihre Pulsationen liegen im Stundenbereich. Auch die chemisch pekuliären ("sonderbaren") CP-Sterne sind ein Ziel. Manche von ihnen, darunter Sirrah in der Andromeda, besitzen Wolken aus Quecksilber.
Andere wie CU Virginis in der Jungfrau wiederum generieren beim Achsschwung enorme magnetische Felder, die wie Bremsen wirken. Magnetfelder erzeugen außerdem dunkle Sternflecken, die beim Vorbeirotieren für rhythmische Lichteinbußen sorgen: die wiederum geben die exakte Umdrehungszeit des Sterns preis.
Auch stellare Schwergewichte können Planeten besitzen. Ziehen diese vor ihrem Mutterstern vorbei, bricht dessen Glanz bei jedem Umlauf um eine Nuance. BRITE kann Exoplaneten aufstöbern, die etwa ein Tausendstel der Sternoberfläche bedecken. Große Gasplaneten hätten eine Chance, ins Netz zu gehen; schmächtige Himmelskörper wie die Erde hingegen nicht. In diesen Fällen werfen die beiden Österreicher das Handtuch.
Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".