Konrad Lorenz#
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus dem Buch: "Fachlexikon Forscher und Erfinder", Nikol Verlag, Hamburg bzw. Harri Deutsch Verlag, Frankfurt a.M.
Lorenz, Sohn des Begründers der modernen Orthopädie, Adolf Lorenz, wuchs im väterlichen Anwesen in Altenberg auf. Er studierte trotz seiner ausgeprägten Interessen für Zoologie zuerst Medizin in Wien und wurde 1928 Dr. med. und danach Assistent bei dem Anatomen F. Hochstetter. Er studierte aber noch Zoologie, schloss Bekanntschaft mit zahlreichen Zoologen und promovierte 1933 in Zoologie zum Dr. phil. Nachdem er ab 1935 freischaffend wirkte, 1937 Privatdozent in Wien wurde, übernahm Lorenz 1940 den Lehrstuhl für Vergleichende Psychologie an der Universität Königsberg (Kaliningrad). Seine damaligen wissenschaftlichen Stellungnahmen zu völkischer Degeneration bzw. Wahrung der genetischen "Gesundheit" im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie trugen ihm im Lauf seiner späteren Karriere heftige Kritik und auch Ablehnung ein.
Im zweiten Weltkrieg war er seit Herbst 1941 eingezogen und verblieb 1942-1948, als Arzt tätig, in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr begründete Lorenz 1949 sein privates Institut für vergleichende Verhaltensforschung in Altenberg. 1950 berief ihn die Max-Planck-Gesellschaft zum Leiter einer Forschungsstelle für Verhaltensphysiologie im Wasserschloss Buldern bei Dülmen (Westfalen), das zum Max-Planck-Institut für Meeresbiologie in Wilhelmshaven gehörte. Ab 1953 lehrte Lorenz auch als Honorarprofessor an der Universität Münster. 1958 ging er an das unter seiner und E. v. Holsts Leitung begründete selbständige Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen bei Starnberg (Bayern), in dem Lorenz zunächst stellvertretender Direktor, ab 1961 Direktor wurde.
Nach seiner Emeritierung 1973 zog Lorenz nach Altenberg und gründete hier unter der Schirmherrschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ein neues Institut für vergleichende Verhaltensforschung mit einer Abteilung für Tiersoziologie.
Lorenz, der viele einzigartige Tierbeobachtungen durchgeführt bat, zeigte und erklärte als erster oder etwa gleichzeitig mit E. v. Holst, N. Tinbergen u. a. eine Reihe bedeutsamer Vorgänge des tierischen Verhaltens im Evolutionsgeschehen und definierte dafür Begriffe wie Prägung, Erbkoordination, Schlüsselreiz, Angeborener Auslösender Mechanismus (AAM).
Sehr bekannt geworden ist Lorenz’ Entdeckung der Prägung: Die aus dem Ei geschlüpften Jungen der Graugans werden innerhalb einer gewissen Zeitspanne auf den ersten erblickten Gegenstand, der sich bewegt, irreversibel festgelegt (1936); unter Normalbedingungen ist dieser Gegenstand der Prägung ein Artgenosse, normalerweise die Mutter. Im Experiment kann ein Jungvogel aber auch auf einen Menschen („Kumpan“) geprägt werden oder einen Ball. Bei Dohlen beobachtete Lorenz die Prägung auf den Sexualpartner.
Lorenz zeigte neben v. Holst, dass nicht jedes Verhalten als Reaktion auf Umgebungsveränderungen (Reize) betrachtet und als Reflex erklärt werden kann, sondern dass es auch spontanes Verhalten (Appetenzverhalten) gibt (1932).
Lorenz betonte die von manchen Verhaltensforschern, besonders den amerikanischen Behavioristen, übersehenen, angeborenen Komponenten des Verhaltens, die in der Phylogenese auf dem Wege von Mutation und Selektion entstanden sein müssen und auf deren Grundlage Modifikationen in Form von Lernvorgängen möglich sind. Auch das Erkenntnisvermögen des Menschen ist nach der Auffassung von Lorenz durch die angeborene Struktur des Gehirns bestimmt und begrenzt; Kants Apriorisches würde damit aus der Evolution, die nur Notwendiges entstehen ließ, erklärt. So neige der Mensch angeborenerweise zu disjunktiven (gegensätzlichen) Begriffen, denke in ihnen mehr, als in der höher entwickelten Kultur günstig sei.
Viel Aufmerksamkeit fand die Behauptung von Lorenz, dass Tiere eine angeborene Aggressivität besäßen, die sich nicht nur gegenüber artfremden Tieren, sondern auch gegenüber Artgenossen spontan äußere. Aggressivität sei ein Selektionsvorteil, weil sie den stärksten Individuen bevorzugte Fortpflanzungschancen gewähre, in hierarchisch strukturierten Tiergemeinschaften den stärksten Tieren eine ranghöhere Stellung einräume und zur Verteilung der Individuen im Raum zwinge. Die Aggressivität führe aber im allgemeinen nicht zur Vernichtung des arteigenen Gegners, da Demutsgebärden des Unterlegenen beim Sieger Hemmungsmechanismen auslösen und das Töten des Artgenossen verhindern würden.
Solcherart angeborene Aggressivität schreibt Lorenz auch dem Menschen zu; sie könne biologische Ursache für Kriege sein, weil sie die Tötungshemmung beim Menschen abbaue; die Selbstvernichtung des Menschen durch Waffen jeglicher Art wäre aus biologischen Gründen nicht auszuschließen. Irenäus Eibl-Eibesfeldt verwies bei grundsätzlicher Anerkennung des Konzepts von Lorenz auch auf angeborene Mechanismen der Bindung der Menschen aneinander. Wickler u. a. erhoben begründete Zweifel an der Spontaneität der Aggression, an ihrem Ausbruch ohne Frustration und ungünstige Umweltbedingungen.
Unter dem Eindruck seiner vielen Kritiker hat Lorenz seine Vorstellungen zur Aggressivität abgeschwächt und betont, dass er den Menschen nicht als höheres Säugetier eingeschätzt habe. Auch lasse gerade die Kenntnis der angeborenen Verhaltensweisen bis zu gewissem Grade deren Steuerung zu.
Für die Stützung der Selektionstheorie der Evolution war wichtig, dass Lorenz viele auffällige Farbmerkmale der Tiere, z. B. die Farbenpracht der Korallenfische, die als zwecklos angesehen wurden, als „Signale“ erkannte, die dem Zusammenhalt der Individuen in einer Art oder einem sozialen Verband dienen. Überhaupt betonte Lorenz die Rolle von Einzelmerkmalen, z. B. des „Kindchen-Schemas“ (1940) zur Auslösung des Pflegeverhaltens beim Menschen. Bei neuen Entdeckungen sollte nach der Meinung von Lorenz der Intuition eine große Bedeutung zukommen; Messungen in der Verhaltensforschung stand er kritisch gegenüber. Lorenz wirkte in großem Maße für den Umweltschutz.