Das Gift der Attentäter#
Eine Entdeckung von Wiener Forschern könnte Rizin-Gegengift ermöglichen.#
Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 20. September 2017) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Wien. Der Rizinusstrauch (Ricinus communis) erfreut sich unterschiedlichster Beliebtheit. Sein Öl etwa, das aus den Samen des tropischen Wunderbaums gewonnen wird, dient nicht nur als Rohstoff für Schmierstoffe und Lacke, sondern findet auch in der Kosmetik und Pharmazie ein großes Anwendungsspektrum. Besonders bekannt ist sein Einsatz als Abführmittel. Die Samenschalen dieses Wolfsmilchgewächses beinhalten allerdings ein äußerst giftiges Protein, das Agenten und Terroristen als "Wunderwaffe" dient. Und so wurde der natürliche Eiweißstoff in der Vergangenheit schon mehrmals bei Attentaten als Biowaffe eingesetzt.
Der wohl berühmteste Fall ereignete sich im September 1978 auf der Waterloo-Brücke in London. Im Vorbeigehen piekst ein Geheimdienst-Agent den bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georgi Markow mit einer mit Gift versehenen Schirmspitze in den Oberschenkel. Das sogenannte "Regenschirmattentat" nimmt seinen Lauf und nur vier Tage später ist Markow tot. Im Jahr 2013 wiederum entgeht der US-Senator Roger Wicker in Washington nur knapp einem Rizin-Anschlag. Auch der damalige US-Präsident Barack Obama soll dieser Gefahr ausgesetzt gewesen sein.
Zwei Gene identifiziert#
Bereits 70 Mikrogramm dieses Eiweißstoffes sind tödlich. Wissenschafter des Instituts für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Akademie der Wissenschaften in Wien identifizierten nun allerdings zwei Gene, die Rizin so tödlich machen, wie sie im Fachblatt "Cell Research" berichten. Diese Entdeckung könnte künftig die Herstellung eines Gegengifts ermöglichen.
Einmal in den menschlichen Organismus gelangt, entfaltet Rizin seine toxische Wirkung. In den Zellen werden die Proteinfabriken zerstört, die sogenannten Ribosomen. Bereits winzige Dosen können innerhalb von 36 bis 72 Stunden tödlich sein. Schon seit Jahrzehnten seien die Wissenschafter auf der Suche nach einem Gegengift.
Der Schlüssel scheint laut Imba-Forschern bei Rizin im Zucker zu liegen. Zwei Gene namens Fut9 und SLc35c1 seien für die tödliche Wirkung verantwortlich, indem sie dem Gift Zugang zum Transportsystem der Zelle gewähren. So gelangt es auch zu den Ribosomen.
Die beiden Erbgutbausteine regulieren einen besonderen Zuckerstoffwechsel in der Zelle. Werden die Gene blockiert - etwa durch ein künstlich hergestelltes Molekül -, "bringt das den Transport von Rizin in den Zellen durcheinander und es gelangt erst gar nicht an die Orte, wo es so großen Schaden anrichten kann. Denn dafür braucht das Gift eine charakteristische Zucker-Signatur an der Zellwand, an die es binden kann", erklärt Jasmin Taubenschmid vom Imba.
Die Forschung brachte auch neue Erkenntnisse über die Liaison von Proteinen und Zucker, die für eine Vielzahl von fundamentalen biologischen Prozessen eine Rolle spielt. "Bisher hat man Proteine und Zucker separat erforscht. Tatsächlich ist allerdings vor allem deren Interaktion spannend und liefert uns eine zusätzliche Ebene an Informationen", skizziert der Proteinforscher Johannes Stadlmann.
Die Universitätskliniken Münster und Heidelberg stellten dem Imba Zellproben eines Patienten zur Verfügung, bei dem aufgrund eines sehr seltenen Gendefekts dieser bestimmte Zuckerstoffwechsel nicht funktioniert. Er wäre womöglich immun gegen Rizin, ohne diesen Zucker ist die Biowaffe nämlich nicht giftig. "Die Erforschung seltener Erkrankungen führt oft zu erstaunlichen Erkenntnissen, die einem großen Kreis an Menschen nützen kann", betont Imba-Direktor Josef Penninger. In dem Fall habe dies wesentlich dazu beigetragen, die Idee einer präventiven Therapie gegen Rizin-Vergiftungen entstehen zu lassen.