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Gestalter und Beobachter#

Der Politiker und Jurist Josef Redlich zählte zu den markantesten Erscheinungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Nun wurden seine Tagebücher veröffentlicht.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 3./4. September 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Friedrich Weissensteiner


Josef Redlich
1931 (auf dem Höhepunkt der Währungskrise) gehörte Josef Redlich für kurze Zeit der Regierung Buresch als Finanzminister an. In diesem Jahr entstand auch diese Aufnahme.
Foto: © ÖNB/Rübelt

Josef Redlich war der zweitgeborene Sohn einer deutsch-böhmischen Adelsfamilie und erblickte am 18. Juni 1869 in den kleinen südböhmischen Stadt Gösing (Hodoníce) das Licht der Welt. In seinem Geburtsjahr wurde in Wien mit einer Aufführung von Mozarts "Don Giovanni" das neue Opernhaus an der Ringstraße eröffnet, auf dem noch unverbauten Josefstädter Glacis, dem Exerzier -und Paradeplatz des Militärs, demonstrierten 20.000 Arbeiter für das Koalitionsrecht, das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften.

Zwei Jahre vor der Geburt des Industriellensohnes war nach der folgenschweren Niederlage bei Königgrätz gegen die preußische Armee das Habsburgerreich auf eine neue verfassungs- und staatsrechtliche Grundlage gestellt worden. Der absolutistisch regierte Vielvölkerstaat wurde zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie umgestaltet, der unumschränkt herrschende Kaiser wurde ein konstitutioneller Mo- narch, dessen Rechte im Großen und Ganzen allerdings bestehen blieben. Das aus zwei Häusern bestehende Parlament, der Reichsrat, war ein verhältnismäßig zahnloses Organ, in dem die Interessen der verschiedenen Gruppierungen und Parteien heftig aufeinander prallten.

Josef Redlich verbrachte im Gödinger Elternhaus und in dessen ländlicher Umgebung eine sorglose Kindheit. Eine slawische Kinderfrau betreute ihn, er wurde von einem Hauslehrer unterrichtet und zeigte frühzeitig großes Interesse an Büchern historischen Inhalts. Im Alter von zehn Jahren schickte ihn der liberal gesinnte Vater gemeinsam mit seinem um ein Jahr älteren Bruder Fritz zum Besuch eines Gymnasiums in Wien. Die beiden wohnten zunächst bei Pflegeeltern in der Leopoldstadt und wechselten dann in ein Kosthaus in der Innenstadt. Josef besuchte ab der vierten Klasse das Akademische Gymnasium, wo ihm eine ausgezeichnete humanistische Bildung zuteil wurde. Er brillierte in seinen Lieblingsfächern Geschichte, Geographie und Deutsch, die Naturwissenschaften waren ihm ein Gräuel.

Nach der Matura entschied er sich überraschenderweise für das Studium der Jurisprudenz, das er 1891 mit dem Dr. jur. abschloss. Ein paar Jahre als Konzepts- und Rechtspraktikant folgten.

Bereits als Gymnasiast und danach als junger Student war Josef Redlichs Interesse durch anglophile Lehrer auf Großbritannien und den englischen Parlamentarismus gelenkt worden. Aus diesem Interesse wurde durch ein paar Aufenthalte eine tief wurzelnde Neigung. Der junge Jurist beginnt sich mit dem englischen Verfassungs- und Verwaltungsrecht zu beschäftigen und publiziert 1901 als Ergebnis seiner Studien ein Buch über die "Englische Lokalverwaltung", das ihm internationale Beachtung einträgt und mit dem er seinen Ruhm als Experte für Verwaltungsrecht begründet.

Eine rasche wissenschaftliche Karriere in seinem Heimatland hätte folgen müssen. Aber es dauerte dann doch acht Jahre, ehe Redlich am 15. August 1909, acht Jahre nach seiner Habilitation, zum ordentlichen Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Wiener Technischen Hochschule ernannt wurde.

Seit Josef Redlich als zehnjähriger Schüler den Boden der Kaiserstadt an der Donau betreten hat, ist indessen mehr als ein Vierteljahrhundert verflossen. Die prachtvollen Bauwerke an der Ringstraße sind fertig gebaut. Wien, das zur Weltstadt geworden ist, beherbergt zwei Millionen Menschen, vom Bettgeher bis zum Hocharistokraten. Der angesehene Jurist ist in die geistige und gesellschaftliche Elite der Stadt hinein gewachsen und in dieser voll integriert. Er sieht gut aus, ist hoch gebildet und hat breit gefächerte künstlerische Interessen. Er ist ein geistreicher Ratgeber und ein wortgewandter Unterhalter. Sein Beobachtungs- und Urteilsvermögen reicht vom ironischen Spott bis zum scharfzüngigen Sarkasmus.

Josef Redlich hat 1897 Alice Simon, die Tochter eines Bankiers, geheiratet. In seiner geräumigen Wohnung in der Josefstädter Kochgasse Nr. 8, dann auf dem Maximiliansplatz 12 (heute: Roosevelt-Platz) in der Nähe der Votivkirche und danach in seiner Villa mit einem dazu gehörenden Park mit Altbaumbestand in der Döblinger Armbrustergasse 15, das er 1905 angekauft hat - Jahrzehnte später wird es Bruno Kreisky als Wohnsitz dienen - , finden sich Gäste zum kultivierten Gespräch ein: Wissenschafter, Politiker, Diplomaten, Schauspieler, Schriftsteller. Es gab kaum eine Persönlichkeit von Rang und Namen, die ihn und die er nicht kannte. Zu einigen von ihnen, Arthur Schnitzler etwa, hält er Kontakt, mit Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal ist er (eng) befreundet. Sie besprechen mit ihm ihre Pläne und widmen ihm ihre Werke.

Das turbulente politische Geschehen in der Welt, besonders aber das bunte Treiben und den trostlosen Nationalitätenhader im Reichsrat beobachtet Redlich mit Aufmerksamkeit und steigendem Missvergnügen. Langsam reift in ihm der Entschluss, selbst gestaltend in die Politik einzugreifen. Er wird zunächst 1906 als Kandidat der Deutschfreiheitlichen Partei in den mährischen Landtag gewählt und erringt dann bei der ersten Wahl nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechtes einen Sitz im Reichsrat, den er bis November 1918, also bis zum Ende der Habsburgermonarchie, innehat.

Der junge, tatendurstige Abgeordnete agiert eigenwillig und eigenständig, lässt sich nicht in die Zwangsjacke der Parteipolitik stecken. Mit seinem großen Fachwissen und seiner Rednergabe schafft er sich im Parlament bald einen guten Ruf.

Als Gegner des Ausgleichs mit Ungarn plädiert Redlich für eine föderative Umgestaltung der Donaumonarchie und tritt zur Wahrung von deren Großmachtstellung für eine aktive Außenpolitik ein. In diesem Sinn befürwortet er 1908 die Annexion Bosniens und der Herzegowina und begrüßt 1914 ausdrücklich die kaiserliche Entscheidung zum Krieg gegen Serbien, die bekanntlich den Ersten Weltkrieg auslöste.

Die bitteren Erfahrungen der Kriegszeit machen aus dem Hurrapatrioten bald einen Pazifisten. Er nimmt Kontakt zur Friedensgruppe um den Großindustriellen Julius Meinl und zum "Friedensapostel" Heinrich Lammasch auf und befürwortet die Friedenspolitik Kaiser Karls, den er als Persönlichkeit allerdings nicht sehr schätzt.

Der Kaiser erwägt im Sommer 1917 die Bildung einer Regierung Lammasch - Redlich, die dann erst im zweiten Anlauf zustande kommt. Redlich ist vom 27. Oktober bis zum 11. November 1918 kaiserlicher Finanzminister. An der Textierung der Verzichtserklärung Karls auf die Ausübung der Amtsgeschäfte ist er mitbeteiligt. Mit dem Ende der Monarchie geht auch das Dezennium seiner Tätigkeit als aktiv gestaltender Politiker zu Ende.

Im Leben des Vielseitigen beginnt ein neuer Abschnitt. Am 10. August 1919 heiratet Josef Redlich ein zweites Mal. Seine erste Ehe, der zwei Söhne entstammten, war 1908 gescheitert. Diesmal findet er das häusliche Glück, nach dem er sich sehnt. An der Politik nimmt er weiterhin regen Anteil, aber die Republik, der er seine Dienste anbietet, benötigt ihn nur als Ratgeber und in Notsituationen als Fürsprecher für wirtschaftliche Hilfestellung im Ausland.

Nur ein einziges Mal noch kehrt er in die aktive Politik zurück. Im Juni 1931 übernimmt er auf dem Höhepunkt der durch den Zusammenbruch der Creditanstalt ausgelösten Währungskrise im Kabinett Buresch das Amt des Finanzministers, das er, vom Parteiengezänk angewidert, nach fünf Monaten zurücklegt.

Nach 1918 widmete der unermüdlich Schaffende den Großteil seiner unbändigen Arbeitskraft seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Er verfasst eine Reihe hervorragender Bücher ("Das österreichische Staats- und Reichsproblem", "Kaiser Franz Joseph von Österreich. Eine Biographie"), schreibt zahlreiche Artikel für Zeitungen im In- und Ausland, übernimmt Lehrtätigkeiten an amerikanischen Universitäten (Harvard, Stanford) und wird für eine fünfjährige Amtsperiode zum Deputy Charge am Internationalen Gerichtshof in Den Haag gewählt. Die damit verbundenen Verpflichtungen und die strapaziöse Reisetätigkeit zehren an seiner ohnehin nicht sehr robusten Gesundheit. Josef Redlich hat sich buchstäblich zu Tode gearbeitet. Er starb am 11. November 1936.

Josef Redlich hat die wichtigsten Begebenheiten seines außerordentlich bewegten Lebens in Tagebüchern festgehalten. Diese Aufzeichnungen von unterschiedlicher Dichte und Intensität reichen von 1902 bis 1936 und geben in ihrer Gesamtheit einen wohl persönlich gefärbten, aber in ihrer Verquickung von politischen Zuständen, gesellschaftlichen Ereignissen und wissenschaftlicher Tätigkeit tiefen Einblick in diesen Zeitraum, insbesondere in die Jahre zwischen 1908 und 1918.

Es ist das große Verdienst des bedeutenden österreichischen Historikers Fritz Fellner, diesen archivalischen Schatz gehoben, ihn wissenschaftlich minutiös bearbeitet und sorgfältigst ediert der Öffentlichkeit präsentiert zu haben. Fellner hat in jungen Jahren die Tagebücher unter dem Titel "Schicksalsjahre Österreichs 1908 -1918. Das politische Tagebuch Josef Redlichs", 2 Bände (1953 -1954), publiziert.

In der im Verlag Böhlau nunmehr erschienenen Neuauflage hat der emeritierte Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Salzburg unter Mitarbeit von Doris A. Corradini das gewichtige Werk um die Erinnerungen Redlichs über seine familiäre Herkunft, seine privaten Aufzeichnungen und durch Auszüge aus Briefen an seine Jugendfreundin Flora Singer erweitert. Diese Hinzufügungen eröffnen nun auch Einblicke in das komplexe Wesen und das sensible Innenleben dieser imponierenden Persönlichkeit und runden diese wichtige Geschichtsquelle zu einem autobiographischen Lebensbild ab.

Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher, u.a. "Der ungeliebte Staat. Österreich zwischen 1918 und 1938" und "Große Österreicher des 20. Jahrhunderts".

Literatur#

  • Fritz Fellner /Doris A. Corrodini (Hrsg.): Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs, 1869 - 1936. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2011. 3 Bände, 1622 Seiten, 98.- Euro.
Wiener Zeitung, Sa./So., 3./4. September 2011


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