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Die Zigarrenfabrik Stein an der Donau (1920 - 1991)#

Zigarrenfabriken gegen Frauenarbeitslosigkeit#

Sozialgeschichtlicher Essay

von

Karl Anton Glaubauf (September 2011)


Austria Tabak
Austria Tabak: Aufklebeetikett einer Zigarrenkiste, 1908
© Austrian Archives, Wien

Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 herrschte in der neuen Republik "Deutsch-Österreich" zunächst fast totale Arbeitslosigkeit. Davon waren vor allem Frauen ganz besonders betroffen, da sich hunderttausende Männer noch in Kriegsgefangenschaft befanden und über 50.000 Heimkehrer in der Volkswehr Beschäftigung fanden.

Als das soziale Musterunternehmen der Republik errichteten daher die als Monopolbetrieb im Staatsbesitz befindlichen Austria-Tabakwerke in Stein an der Donau Stein an der Donau eine Zigarrenfabrik, die achthundert Frauen jahrzehntelang als größter Arbeitgeber des Bezirkes Krems Beschäftigung bot.

Im klassischen Stil des sogenannten "Dritten Barocks" wurde dafür eine große neue Fabrik errichtet, deren Gebäude -äußerst solide gebaut- heute ein Teil der "Donau-Universität Krems" ist. Vergleichbares gibt es auch in Sevilla, Sevilla , wo die aus der Oper Carmen bekannte Tabakfabrik ebenfalls universitäre Einrichtungen beherbergt.

Hergestellt wurden Virginier-Zigarren, zu deren prominentesten Rauchern neben kaiser Franz Joseph auch der österreichische Staatsvertragskanzler Julius Raab gehörte. 1931 erreichte die Produktion mit fünfundsiebzig Millionen Stück ihren Höhepunkt. Weitere Fabriken mit denselben hohen Sozialleistungen wurden in Linz, Fürstenfeld und Hainburg errichtet.

Bezeichnenderweise schufen damals schon gerade die Tabakwerke vorbildliche soziale Einrichtungen wie Ínvaliden- und Krankenversicherungen, Behandlungszimmer für den Betriebsarzt, Betriebsküche und Arbeiterbad, Kinderheime mit Säuglinsstation (!) und großangelegte Arbeiterwohnungen. Eine Tätigkeit in der Tabakindustrie war daher für Frauen mit Kindern oft die einzige Möglichkeit, einem Beruf nachzugehen.

Ähnliches hatte - allerdings ausschließlich- für männliche Arbeitnehmer im nahen Herzogenburg Herzogenburg der Schließwarenhersteller Carl Grundmann, der hier 1874 seine Fabrik errichtete, geleistet. Als privates Unternehmen konnte er jedoch aus Kostengründen nicht voll an die sozialen Standards der in Staatsbesitz befindlichen Firmen anschließen.

Raab und Adenauer
Staatsbesuch des Deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer
in Österreich. V.l.n.r. Julius Raab, Virginier rauchend trotz höchstrangiger Gäste, Konrad Adenauer und der Apostolische Nuntius Giovanni Dellepiane.
Photographie. Wien. 1957. Foto: Harry Weber, IMAGNO/ÖNB/Harry Weber

"Aztekenzigarren"#

Die Tabakpflanze war übrigens nach der Entdeckung Amerikas zunächst als Heil- und Zierpflanze nach Europa gekommen. Im Dreißigjährigen Krieg verbreitete sich das Rauchen über ganz Europa, wodurch die Tabakproduktion infolge der dabei zu erzielenden hohen Gewinne im 18. Jahrhundert zum Staatsmonopol wurde und es bis 1997 blieb.

Besonders beliebt war die Virginier-Zigarre, die im Zentrum einen Strohhalm aufwies, um den Rauch konzentriert inhalieren zu können. Dieses Prinzip war von den Azteken übernommen worden, die um ein Schilfrohr gewickelte Tabakblätter rauchten.

Die gesundheitsschädigenden Wirkungen des Rauchens wurden lange nicht voll erkannt. Es war zunächst eher auch ein Privileg des Adels und ein Statussymbol.

In der Versammlung des "Deutschen Bundes" in Frankfurt am Main war es dem österreichischen Präsidialgesandten Leopold Graf Thun-Hohenstein vorbehalten, bis Bismarck dieses Privileg auch für sich als Gesandter Preußens in Anspruch nahm, um die Gleichrangigkeit der beiden Mächte zu demonstrieren. Die Vertreter der übrigen Bundesstaaten durften weiterhin in der Bundesversammlung nicht rauchen.

Zigarrenrauchen war im 19. Jahrhundert bis in die Zeit von Julius Raab also ein ganz besonderes Privileg, das auch den gesellschaftlichen und politischen Status der rauchenden Person unterstreichen sollte. Dass Österreich als Präsidialmacht des Deutschen Bundes, der von 1815-1866 aus 35 Einzelstaaten und vier freien Hansestädten bestand, nur ihrem eigenen Gesandten in der Bundesversammlung in Frankurt am Main das Rauchen gestattete, zeigt darüber hinaus die realitätsferne Aussenpolitik Österreichs im Deutschen Bund bis 1866, die die übrigen 38 Mitglieder ganz offensichtlich als zweitrangig betrachtete.

Paradigmenwechsel in der EU#

Wissenschaftliche Erkenntnisse haben erfreulicherweise zu einem eklatanten Paradigmenwechsel in der Beurteilung des Rauchens geführt, das in der Vergangenheit - wie dargelegt- sogar eine wesentliche Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen spielte.

Heute ist von einer Heilpflanze nicht mehr die Rede, das Nikotin - zunächst nach einem französischen Arzt benannt - wurde als extrem schädliches, sehr rasch schwere Sucht verursachendes Alcaloid erkannt. Die Europäische Union versucht daher dankenswerterweise das Zigarettenrauchen einzuschränken, das Zigarren- und Pfeifenrauchen wurde von der Zigarette automatisch verdrängt.

Günstig wäre es bei der EU-Kampgne statt Schockparolen vor allem die Jugend schon in den Schulen durch die Schulärzte auf den extrem gefährlichen Suchtcharakter des Rauchens, der durchaus der Heroinsucht vergleichbar ist, hinzuweisen und stärkere Hilfestellung bei der Nikotinentwöhnung anzubieten.

Den Zugang zu Rauchwaren zu erschweren bringt wenig, da keinem Raucher dadurch die Zigarette abgewöhnt werden kann, indem man ihm den Aschenbecher wegnimmt. Auch in den USA wurde in der "Prohibitiontime" von 1918-1933 keineswegs weniger getrunken, sondern "Fuselalkohole" konsumiert, die Mafia und Cosa Nostra reich machten.

Mit vordergründigen Maßnahmen wird sich der Erfolg der Kampagne leider in Grenzen halten. Wesentlich effizienter wäre es, die Raucherentwöhnung zu fördern, etwa durch ein Gutscheinsystem der Krankenkassen für Therapien etc.....


Der Siegeszug der nicht wie Zigarren manuell sondern industriell hergestellten Zigaretten bewirkte Mitte der dreißiger Jahre das rasche Ende dieses Frauenbeschäftigungskonzepts: Der Zigarrenabsatz brach ein, die Arbeiterinnen verloren ihren Arbeitsplatz, die letzten Virginier wurden in Krems in geringer Stückzahl 1989 produziert. Heute wird in der ehemalige Tabakfabrik gedacht statt geraucht, da sie mangels Bedarf an Zigarren zur Weiterbildungsuniversität umgewandelt wurde.