Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Das Digitale und die Digitalisierung #

Analoges gilt als verstaubt. Doch warum wird der Faktor Mensch im digitalen Zeitalter allzu oft übersehen?#


Von der Wiener Zeitung (2. Februar 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Gregor Kucera


Digitalisierung, Transformation, digitale Transformation, Metaverse und Web 3.0 - wer noch nicht über diese Begriffe gestolpert ist, der dürfte wahrlich in einer sehr einsamen, analogen Welt leben. Für den Rest der Welt sind diese Begrifflichkeiten gerade in den letzten Jahren, der großen Welle der Digitalisierung durch Corona sei es gedankt, in aller Munde. Wie so oft, so auch in diesem Fall, wenn es um Technologie und Innovation geht, wird das Menschliche allzu oft vergessen. Erst recht, wenn es um die Fähigkeit geht, in größeren Zeitspannen zu denken.

Als die IT noch EDV hieß#

Als die IT-Abteilungen noch EDV hießen, Rechner die Größe eines Kühlschranks hatten und Lochkarten zum Programmieren verwendet wurden, schon damals war es Digitalisierung. Es gab eine Zeit, da wurden Lottoscheine gedruckt - nicht in der Trafik als Quicktipp vor Ort ausgedruckt, nein, wirklich gedruckt. In einer Druckerei und dann an die Trafiken geliefert. Die Großrechner der Banken waren die Wunderwerke der modernen, digitalen Welt und selbst Elon Musk musste sich einen Fahrschein aus Papier drucken und bekam sein Taschengeld in bar. Immerhin erhielten seine Eltern schon einen maschinenlesbaren Gehaltsscheck, den sie zur Bank tragen mussten. Nein, damals war nicht alles besser und heute auch noch nicht. Aber diese Beispiele sollen illustrieren, dass Digitalisierung ein Prozess war und ist, der wahrscheinlich nie mehr aufhören wird. Was hingegen aufgehört hat, ist der immer gleich sichtbare Nutzen, das Verständnis für große Projekte, die Unsummen an Geld verschlingen, wenn doch gleichzeitig Mitarbeiter abgebaut werden. Die Angst vor dem Digitalen und der Digitalisierung beruht somit auch auf einem großen Missverständnis - nämlich, dass man den Nutzen erkennen muss, und zwar unmittelbar und dass man es nicht erklärt bekommt. Wenn eine Werbung im Fernsehen läuft, die erklärt, warum ein Deckel auf dem Topf sinnvoll ist, so ist das fein und vermutlich notwendig. Wenn man den Menschen aber nicht erklärt, dass eine "Maschine" oder ein "Algorithmus" ein Unterstützer und Ermöglicher sein soll, sondern lediglich in Einsparungspotenzialen und unrealistischen Zukunftsvisionen verbleibt, ist Skepsis wohl eine sehr menschliche Reaktion.

Doch was ist denn eigentlich nun "das Digitale" und die "Digitalisierung"? Und wieso findet sich im englischsprachigen Raum auch noch der Begriff "Digitization"? Das Deutsche fasst dies ebenfalls als Digitalisierung auf, ist hier aber nicht so präzise, wie das Englische. Bei der Digitization handelt es sich um die Umwandlung von analogen Informationen (Objekte, Bilder, Töne, Dokumente oder Signale) in ein numerisches beziehungsweise maschinenlesbares Format. Im Laufe der Zeit wurden aus den "Umwandlungen" eigene Formate - etwa MP3, PDF oder Word. Wir alle nutzen bei der Arbeit und in der Freizeit täglich unzählige dieser Anwendungen. Darauf aufbauend beschreibt die Digitalization die (Weiter-)Entwicklung eines bestehenden Geschäftsmodelles unter Nutzung digitaler Technologien (Internet, Algorithmen, Blockchain) hin zu einem digitalen Business. Ziel ist die Generierung neuer Umsatz- und Wertsteigerungschancen. Firmen wie Microsoft, Apple und auch Google haben es beispielsweise geschafft, rund um die oben erwähnten Digitization-Formate eigene Digitalization-Geschäftsmodelle entstehen zu lassen.

Das Digitale ist nicht greifbar, es erstreckt sich überall und am Ende sind es doch nur Server und Leitungen. Aber so richtig scheint es sich nicht regulieren und kontrollieren zu lassen. Oder aber es dauert viel zu lange, bis gesetzliche Regelungen geschaffen sind, und schon ist eine Neuerung wieder altes Eisen.

Nach den Goldgräbern#

Solange es gelingt, dass Menschen ihre Wertsachen in Müllsäcken vor die Türe stellen, um sie von falschen Polizisten abholen zu lassen, darf man sich nicht wundern, dass das Digitale noch mehr Angst macht. Vor dem Jahr 2000 als die Goldgräberstimmung in der digitalen Welt ausbrach und der Glaube an das Gute in der Technologie so groß war, wie fast nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, da wurde das Internet gefeiert. Nicht nur Wissen sollte weltweit verfügbar sein, auch der Wohlstand sollte kommen und bleiben.

"Second Life" und Metaverse#

Die virtuelle Welt des "Second Life" - Parallelen im Hochjubeln des Metaverse sind unübersehbar - 3D-Hologramme, die Geschäftsreisen und Messen ersetzen sollten, nicht nur jetzt schon wieder, sondern schon vor bald 30 Jahren, und das große Geld, die Erwartungshaltungen waren hoch. Der Fall nach dem 2000er-Crash groß. Zurück blieben eine Angst der "traditionellen" Branchen und Unternehmen und das Neuaufflammen der Start-up-Kultur. Veränderungen schnell umsetzen, in kleinen Teams, am besten die Welt verbessern und am Ende um Milliarden Dollar an Google verkaufen und nächstes Start-up hochziehen.

Es schien, als würden diese zwei Felder sich nicht treffen, doch dann kam Corona. Auf einmal konnte man Medikamente auf seine E-Card buchen lassen, plötzlich waren die unermesslich fruchtbaren persönlichen Meetings durch Jogginghosen-Teams-Calls zu ersetzen. Plötzlich ging alles; irgendwie anders, aber es ging. Und doch, etwas blieb gleich. Man versuchte nie, alle Menschen mitzunehmen und abzuholen.

Wer kennt nicht die Geschichten über die 93-Jähringe, die doch so toll ein Tablet nutzen kann und nur noch digital Zeitung liest. Oder jene des 44-Jährigen, der sich Smartphones und Onlinebanking gekonnt bis zum heutigen Tage widersetzt. Genau hier zeigt sich die Herausforderung für die Medienbranche, und die "Wiener Zeitung" im Besonderen. Haben nicht alle Menschen das Recht auf Information? Auch wenn sie kein Internet haben oder haben wollen? Sollte es nicht in Zeiten der Digitalisierung ein Medium geben, dass man auf Papier - und im Internet, übrigens schon seit Mitte der 1990er Jahre und das als zweite Tageszeitung im deutschsprachigen Raum - nutzen kann? Was bringt das Digitale, wenn nicht alle Menschen daran teilhaben können. Digitalisierung kostet viel Geld und Jobs, es schafft aber natürlich auch neue Jobs und kann Geld bringen. Wertvolles Analoges zu erhalten, kostet ebenfalls Geld, muss aber auch sein, wenn man holistisch denkt. Die digitale Transformation ist oftmals nicht nur schneller als die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch als die Menschen. Es reicht bei weitem nicht aus, wenn man Berater engagiert, die Strukturen über Bord werfen oder mit Floskeln um sich werfen, wenn man nicht darauf schaut, dass auch die Menschen abgeholt und integriert werden. Tools kann man schnell auswechseln, Menschen auch, die Frage ist nur, ist es notwendig oder nur bequemer?

Wiener Zeitung, 2. Februar 2023


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten