Kollege Roboter#
Stachanows, Robys und Blitzgneißer erobern die Büros und Fabrikshallen. Und Automatisierung heißt der Weltgeist, der sie hervorbringt.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung, 9. Juni 2018
Von
Franz Zauner
Nennen wir ihn Stachanow. Er packt zu, hebt, schweißt, fräst, hobelt. Und lässt wieder los. Er packt zu, hebt, schweißt, fräst, hobelt. Und lässt wieder los. Er packt zu, hebt, schweißt, fräst, hobelt. Und lässt wieder los. Er ist ein starker Arm, und keine Räder stehen still, denn es ist nie der Fall, dass er nicht mehr will.
Das ist der gute, alte Roboter, wie wir ihn schon lange kennen. Mehr als drei Millionen solcher semi- bis vollautomatischer Wesen arbeiten in der Industrie, vermeldet die International Federation of Robotics (IFR). Bis 2020 sollen noch einmal 1,7 Millionen Stück dazukommen. Eine Faustformel besagt, dass mit jedem Roboter zwischen drei bis sechs Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren.
Solche Prognosen passen gut zu dem Dramolett, das sich Nerds in Googles Firmenzentrale in Mountain View ausgedacht hatten: Dort wurde dem britischen Wissenschafter Guy Standing ein Roboter gezeigt, der tanzen und sprechen konnte. Die wundersame Maschine verstand sich nicht nur auf Tai Chi, sondern auch auf Provokationen. "Ich werde dem Prekariat die Jobs wegnehmen", sagte sie zu dem als kritischer Geist bekannten Standing. Er antwortete: "Das werden wir noch sehen."
Meist sind Roboter charmant, wenn sie öffentlich in Erscheinung treten. Die avanciertesten Modelle machen freundliche Gesichter, erfreuen mit Mienenspielen und strahlen aus blauen Augen. Das ist der humanoide Roboter neuester Bauart, nennen wir ihn Roby. Roby arbeitet als Concierge in Hotels. Er, sie oder vielleicht besser es erteilt Auskünfte in Kaufhäusern. Es mixt Drinks in Bars. Es gibt auch schon Interviews, man kann es auf Youtube verfolgen. Es spricht formelhaft, redet aber nie schlecht von uns Menschen. Es wirkt seriös und gut integriert wie alle Wesen mit sicheren Arbeitsplätzen und Aufstiegschancen.
Weich und gelenkig#
Der freundliche Eindruck verbessert sich laufend, da die Konstrukteure das Schema des starken Arms zunehmend hinter sich lassen und die Modellpalette zügig erweitern. Roby wird mit jeder Iteration weicher. Es soll so weich, gelenkig und überraschend werden wie das Wunder Mensch. Diese Entwicklung wird auch von der Pornoindustrie mit regem Interesse begleitet.
Doch auch Insekten, Reptilien und Fische sind brauchbare Role-Models für Automaten. Sie breiten sich aus, egal ob zu Wasser, zu Lande oder in der Luft. Sie dringen ins Private und Öffentliche vor, sie werden alltäglich. Immer öfter stolpert man in Wohnungen über autonome Staubsauger.
Im Frühtau der Vorstadtgärten konkurriert das Gesurre des Mähroboters mit dem Gezwitscher von Lerche und Nachtigall. Und in den Kinderzimmern tuten und fiepen die Spaßroboter. Die Automaten verlassen die Fabriken und mischen sich unter uns. Sie arbeiten im Service, steuern Autos und Flugzeuge. Auch beim Militär treten sie an. Nur tragen sie dort keine niedlichen Namen mehr, sondern heißen SGR-A1 oder Me-thod-2. Sie sind nicht so beliebt wie Roby oder Stachanow. Über 1000 internationale Wissenschafter und Unternehmer forderten 2015 in einem offenen Brief ein Verbot von Killerrobotern.
Roboter sollten hilfreich und gut sein, sich ethisch verhalten, auf Sicherheit achten, die menschliche Privatsphäre respektieren, kontrollierbar bleiben und vor allem keine Leute umbringen. Da wartet noch viel Arbeit auf Experten, die Standards, Normen und Gesetze machen. Die Vielfalt der digitalen Geschöpfe ist schon jetzt enorm. In allen Größen zwischen nano und mega stapfen, kreuchen, schwimmen, fliegen und rollen Prototypen aus den Denkfabriken. Und noch öfter nehmen sie überhaupt keine Gestalt an, sondern existieren körperlos und geisterhaft als Analysegenies, Gesichtserkenner, Spontanübersetzer, Gesprächssimulanten oder Schachgroßmeister in der vagen Elektrizität dicht gepackter Halbleiter. Man könnte diesen Phänotyp mit dem schönen wienerischen Wort Blitzgneißer bedenken.
Tiefes Lernen#
Das Innerste jedes Blitzgneißers besteht aus künstlichen Miniautomaten, die sich gegenseitig elektrisch erregen, dem sogenannten neuronalen Netz. Es ist ein sich selbst ständig umschreibendes Stück Software, das Myriaden von Daten schlürft, ähnlich wie ein Wal Plankton. Nach ausgeklügelten Versuchs- und Irrtumsprinzipien bildet das neuronale Netz Regeln zum richtigen Erkennen und Verhalten aus. Sie verfeinern sich je nach Datenlage in raffinierten Feedbackschleifen. Man nennt den Vorgang tiefes Lernen.
In der alten IT konnte man Ziele nur erreichen, wenn die Wege dorthin in stupender Genauigkeit vorbestimmt wurden. Es kam heraus, was im Code geschrieben stand. Oft genug war es Unsinn. Kofferberge türmten sich auf Flughäfen, Schiffe tümpelten auf hoher See und Raketen verglühten in Feuerwerken, wenn auch nur einmal irrtümlich durch Null dividiert wurde.
Im Zeitalter der neuronalen Netze verbessern sich die Maschinen ohne äußeres Zutun. Sie suchen abstrakte Muster in Bit-Klumpen, bestimmten Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten, testen Beziehungen und Abhängigkeiten, sie absolvieren ein Selbststudium im Suchen und Finden.
Es ist eine schleichende Revolution. Automation heißt der neue Weltgeist, der sie hervorbringt. Alles, was sich als Routine auffassen lässt, braucht zur Erledigung keine Menschen mehr. Es sind nicht nur die gefährlichen, monotonen und scheußlichen Arbeiten, die dieser Fortschritt auf leisen Sohlen abzuschaffen verspricht.
Was vor ein paar Jahren noch ein sicherer Job war, wird heute von einem Algorithmus erledigt. Die Schalterdienste der Banken zum Beispiel wurden in die Computer der Kunden ausgelagert. Auch das Know-How der Versicherungsmakler, einst unentbehrlich für die Auswahl der passenden Polizze, ist durch die maschinelle Vergleichskraft einschlägiger Internet-Plattformen entbehrlich geworden. Selbst die Sphäre der Spezialisten und Experten erscheint nicht länger pragmatisiert. Wie viele Arbeitsplätze wird das kosten? Die Hälfte, besagen die pessimistischeren Reports.
Es könnten auch nur 12 Prozent sein, sagt die OECD. Statistiken über das Digitalisierungs- und Automatisierungspotential in verschiedenen Berufen begünstigen eine apokalyptische Lesart: In der Fertigung haben 80 Prozent der Workflows gute Chancen, von Automaten übernommen zu werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Roboter Sozialarbeit antun, ist freilich gering.
Es braucht Menschen#
Das Risiko, durch Schaltkreise ersetzt zu werden, variiert je nach Wissensart, Hierarchiestufe und Branche. Verwaltungstätigkeiten stehen ganz oben auf den Listen, die zumeist auf Umfragen beruhen und deshalb auch Zeugnisse grassierender Ängste sind. Selbst akademische Berufe, die langjähriges Studium erfordern, stehen zur digitalen Disposition.
Die Übersetzungskünste von Diensten wie Google Translate sind sicher nicht frei von Lachnummern. Sie sind aber oft genug gut genug, um selbst entlegenen Texten Sinn zu entnehmen und Sorgenfalten auf Übersetzer-Stirnen zu zaubern. Denn gut strukturiertes, taxonomisches Wissen kommt der Computerintelligenz sehr entgegen. Da denkt man etwa an die Juristerei und das Blättern und Schmökern in Gesetzestexten, das mit zunehmendem Erfolg von Maschinen übernommen wird. Und das Juristendeutsch, oft unverständlich für Laien, kommt mit seinem Hang zum Nominalismus, zum Taxativen und Formelhaften dem digitalten Verdauungsapparat sehr entgegen.
Es ist noch längst nicht gesagt, dass die einfachen Tätigkeiten vor der Abschaffung stehen. In der Logik des Kapitalismus sind teure Spezialisten lohnendere Rationalisierungsziele als billige Hilfsarbeiter. Und sowohl Roby als auch Stachanow würden der These widersprechen, dass mit einer Zunahme der Roboterpopulation menschliche Arbeitskraft überflüssig wird. Die Länder mit der höchsten Roboter-Dichte, etwa Deutschland und Schweden, haben herzeigbare Beschäftigungsstatistiken.
Die menschenleere Fabrik, von der man noch in den 1990er Jahren träumte, blieb ein Traum. Man versenkte Abermillionen von Pfunden, Dollars und D-Mark, um den Produktionsfaktor Mensch endlich loszuwerden. Doch ohne Menschen funktionierte es nicht, weil das, was wir wässrigen Hautsäcke im Zusammenspiel aufführen können, immer noch zu kompliziert für die stählernen Kollegen war. Außerdem ändern sich Konjunkturkurven, Marktlaunen, Kundenwünsche und Produktionsverfahren so rasch, dass man die menschenleere Fabrik ständig umbauen müsste.
Es scheint eher so zu sein, dass ein neues Zeitalter der Intimität zwischen Mensch und Maschine anbricht. In der Straßenbahn, im Zug, in Lokalen, generell in öffentlichen Räumen werden mit großem Eifer Tätigkeiten verrichtet werden, die vor ein paar Jahren noch ebenso sinnlos wie entbehrlich erschienen wären.
Crowdwork-Ökonomie#
Immerhin ist die exzessive Benutzung der Handys ein Indiz dafür, dass die Digitalisierung den Menschen braucht. Heteromation nennt man diese mitunter wunderlich intensive Beziehung zwischen Menschen und Algorithmen. Die Hingabe zum Digitalen hat Konzerne wie Facebook oder Google märchenhaft reich und mächtig werden lassen. Gleichzeitig ist dieser Erfolg an die unbezahlte Klick- und Schreibarbeit von Milliarden Menschen gebunden, die Texte, Bilder und Videos posten, rund um die Uhr Onlinespiele spielen oder gratis Rezensionen und Bewertungen für Firmen wie Amazon verfassen.
Von da sind es nur ein paar Mausklicks zur Gig-Economy, zum Crowdworking-Kapitalismus. Crowdworker erledigen mittlerweile fast alles, was auch Angestellte erledigen. Auch diese Ökonomie bringt Erfolgsgeschichten hervor, aber de facto bedeutet sie den Tod von Mindestlohn, bezahltem Urlaub, Elternkarenz, Krankenstand, Überstundenvergütung und Sozialversicherung. Der Plattform-Kapitalismus gebiert ein digitales Prekariat, das in anarchischen Arbeitsformen ohne soziale Sicherheit lebt. Der Durchschnittsverdienst auf Amazon Mechanical Turk, der weltweit größten Crowdworking-Plattform, beträgt zwei Dollar pro Stunde.
In seinem berühmten, 1937 verfassten Essay "Die Natur der Firma" erklärte der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Ronald Coase, wozu Firmen Angestellte haben: Es wäre zu mühsam und zu teuer, für wiederkehrende, auf Dauer angelegte Tätigkeiten jedes Mal einen Dienstleister auf dem freien Markt zu suchen. Mit Algorithmen, die potenziell jede Arbeitskraft dieser Welt erreichen, fällt das Auslagern ganz leicht.
Selbst renommierte Firmen und Institutionen bedienen sich mittlerweile der Crowdworker. Das Prinzip lässt sich noch auf die Spitze treiben: IT-Konzerne organisieren weltweit Projektteams, zerteilen Entwicklungsprojekte in überschaubare Jobs, an denen sich der einzelne Projektteilnehmer abarbeitet. Jede Leistung kann jederzeit ausgewertet werden. Die Mitarbeiter werden einem Screening, Rating und Ranking unterworfen wie sonst nur Mitglieder von Sekten. Der Tod der Firma aus dem Geist der Automation braucht nicht nur eine österreichische oder eine europäische Antwort. Die Forderung nach einem Weltarbeitsrecht klingt keineswegs vermessen.
Industrie 4.0#
Es gibt aber auch eine Entwicklung, die das Konzept der Firma stärkt. Sie läuft unter dem Schlagwort "Industrie 4.0". Es bezeichnet eine Utopie, die stückweise Realität wird. Die Firma verwandelt sich in einen kybernetischen Organismus. Die Fabrik neuester Bauart ist in teure Netzwerke gehüllt und fest im Datenfluss globaler Wirtschaftskreisläufe verankert. In ihren Hallen findet etwas statt, das die Forschung cyber-physische Produktion nennt. Kaum ist ein Produkt ersonnen, weiß man auch schon, wie und zu welchen Bedingungen es auf die Welt kommen soll. Die klassische Industrie-Choreographie - Arbeitsvorbereitung, Fertigung und Montage - wird flexibel aufgeführt, indem sich die Fabrik, ähnlich einem neuronalen Netz, beständig umkonfiguriert und damit neu erfindet. Sie soll das Kunststück können, Produkte in kleinen Stückzahlen, aber großer Variabilität zu konkurrenzfähigen Preisen auszurollen. Das geht nur mit Robotern, aber nicht ohne Menschen.
Und es will geübt sein. Weltweit entstehen in Zusammenarbeit mit technischen Universitäten Testfabriken, auch in der Seestadt Wien gibt es eine. Und dort, in der antizipierten letzten Ausbaustufe der cyber-physischen Produktion, trifft man auf zwei Wesen, die man so noch nicht gesehen hat: den Werker und seine Menschine.
Die Menschine, das ist ein Assistenzroboter mit allen Merkmalen seiner Spezies. Er ist mobil, autonom, interaktionsfähig und nachgiebig. Er kann umlernen und dazulernen. Er kann sich verhalten. Er ist kollaborativ. Er ist ein "Cobot". Er verfolgt Werker und Werkstücke mit hochauflösenden Kameraaugen. Er hört die Signale durch Mikrofon-Ohren. Er sieht aber keineswegs aus wie Roby. Die Menschine ist ein Roboter von praktischer Gestalt. Als rollendes Montage-Tischlein etwa weicht es dem Werker nicht von der Seite und schleppt sein Werkzeug von einer Station zur nächsten.
Natürlich ist auch das Werkzeug nicht mehr das, was es einmal war. Die Bohrmaschine hat eine Netzwerk-Adresse und ist Mitglied im Club des "Internet of Things". Sie lässt sich erst einschalten, wenn der Werker sie in eine fürs Schraubendrehen günstige Position gehievt hat. Und sie lässt ihre grüne Leuchtdiode zum Zeichen des Einverständnisses erst dann aufleuchten, wenn der Werker die richtige Schraube in qualitätsgesicherter Festigkeit am Objekt angebracht hat. Alles, was sich vernetzen lässt, wird in der Fabrik 4.0 vernetzt. Das heißt auch, dass alle Objekte und Vorgänge lückenlos überwacht werden. Auch der Werker.
Schon jetzt lässt sich selbst intellektuelle Arbeit genau überwachen. Stilistische Eigenheiten beim Reporten sind dann ebenso Thema des Mitarbeitergesprächs wie die Geschwindigkeit beim Verfassen von Dokumentationen. In der Fabrik der allernächsten Zukunft werden selbst intimste Körperregungen erfasst und vermerkt.
Kostbarer Kontakt#
Auch Betriebsräte stehen in solchen Produktionsumgebungen vor neuen Aufgaben. Sie müssen sich nicht nur für würdige Arbeitsbedingungen, für Weiterbildung und Transparenz einsetzen. Sie müssen aus der gigantischen Datenflut, die in der cyber-physischen Produktion anfallen, die richtige Auswahl treffen, damit sie auf Augenhöhe verhandeln können. Und das, was bisher selbstverständlich war, als prekär ansehen: Betriebsräte aus hochautomatisierten Betrieben berichten, dass die gute, alte Kommunikation so wichtig ist wie noch nie. Denn in virtuellen Arbeitsumgebungen, wo die Werker zunehmend an Computerspieler erinnern, ist der menschliche Kontakt kostbar.
Der Werker trägt nicht mehr Schlosseranzug. Er ähnelt eher einem Astronauten, überhaupt, wenn sein Kopf unter einer Virtual-Reality-Brille steckt. Das Display blendet Dinge ein, die es in der Realität der Werkshalle gar nicht gibt. Es zeigt zum Beispiel die Lage von Kabeln, die der Werker anbringen muss. Er trägt überall am Körper Sensoren, die seine dreidimensionale Erscheinung im Raum anzeigen. Und natürlich auch sein Tempo, seine kinetischen Eigenheiten, seine Arbeitshaltung.
Für eine Gewerkschaft 4.0 gibt es viel zu verhandeln.
Franz Zauner ist Leiter der Online-Redaktion und stv. Chefredakteur der "Wiener Zeitung".