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Lebensfreude und Todeslust #

In Wien hat das Pompöse und Gesellige immer eine wichtige Rolle gespielt – in der hohen Politik genauso wie beim Sterben und Begrabenwerden. #


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 15./16. August 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Andreas Schindl


Zu den schönsten aller „schönen Leichen“ in Wien gehören die alten anatomischen Wachsmodelle im Josephinum
Zu den schönsten aller „schönen Leichen“ in Wien gehören die alten anatomischen Wachsmodelle im Josephinum, die zum „Medizinischen Weltkulturerbe“ gezählt werden.
Foto: © apa/Alexander Ablogin/Josephinum

Am Kahlenberg, nahe der „Eisernen Hand“, gibt es einen Privatfriedhof, auf dem als prominentester Toter Charles Joseph de Ligne begraben liegt, der als Spitzendiplomat und Lebemann eine der schillerndsten Figuren des Wiener Kongresses war. Der gebürtige Niederländer war schon in seiner Jugend in die Dienste Maria Theresias getreten, die ihm die Kammerwürde verliehen hatte. Diese Auszeichnung war verbunden mit einer Uniform, deren Waffenrock rosa Revers aufwies. Die Farbe, die bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als das „kleine Rot“ galt und bis dahin weder mit weiblichen Babys noch mit Homosexuellen assoziiert wurde, soll dem Fürsten so gut gefallen haben, dass ab diesem Zeitpunkt seine gesamte Kleidung, sein Briefpapier und die Fassade seiner Häuser seine neue Lieblingsfarbe und er selbst den Beinamen „Der rosarote Prinz“ erhielten. Von seinem Haus auf der Mölkerbastei, dessen Entrée – wohl aufgrund der Tatsache, dass de Ligne Mitglied mehrerer Freimaurerlogen gewesen ist – von zwei Säulen flankiert gewesen sein soll, ist heute nur mehr die ebenfalls rosarot gestrichene Rückwand zu sehen.

Begräbnis-Pomp #

Nicht weit entfernt vom Grab des Fürsten de Ligne ruht am Kahlenberger Friedhof Karoline Traunwieser, die zur Zeit des Wiener Kongresses als die schönste Frau Wiens galt, allerdings im Alter von 21 Jahren an Tuberkulose verstarb. Über die Sängerin geht die Mär, dass sie als „Fräulein vom Kahlenberg“ in einer eiskalten Winternacht nur in Brautkleid und Schleier den Berg auf der Suche nach ihrem gefallenen Bräutigam bestiegen habe und dort erfroren sei. Tatsächlich verstarb sie in der Wohnung ihrer Mutter in der Innenstadt.

Die Österreicher liebten schon immer (und tun es noch) das, was man in Wien „a schöne Leich“ nennt. Für alle Nicht-Wiener zur Erklärung: Gemeint ist damit ein eindrucksvolles Begräbnis. Die Ursprünge dürften in dem während des Barock etablierten Begräbnis-Pomp liegen, der dem einfachen Volk, das sonst wenige Vergnügungen hatte, das Ableben von Verwandten doch irgendwie zum Erlebnis machte. Daher nahm man Joseph II., dem Nachfolger Maria Theresias auf dem Habsburgerthron, die von ihm dekretierte Vereinfachung kirchlicher Zeremonien im Allgemeinen und der Bestattungen im Speziellen übel. Hinzu kam noch, dass man durch die Abschaffung der Todesstrafe die Österreicher um das schaurigschöne Erlebnis öffentlicher Hinrichtungen gebracht hatte. Nun wurden noch dazu die Friedhöfe aus den Dorf- oder Stadtzentren in die Peripherie verlegt, die Gräber genormt und sogar die Verwendung von Särgen untersagt. Der Hintergrund war, dass der Kaiser erstens den Einfluss der katholischen Kirche, die er als einen von außen (Rom) gelenkten Staat im Staat sah, eindämmen und zweitens durch die Bestattung der Toten in Leinensäcken (zwecks schnellerer Verwesung) und die Anlegung von Friedhöfen außerhalb des bebauten Gebietes die Seuchengefahr eindämmen wollte.

Als typisch österreichischer Kompromiss kam es daraufhin zur Einführung des josephinischen Klappsarges, der allerdings wegen der Ablehnung durch die Untertanen nur sporadisch Verwendung fand. Ein erhalten gebliebenes Exemplar ist in einem ebenso einzigartigen Museum ausgestellt, nämlich im Wiener Bestattungsmuseum. Das Prinzip des Klappsarges beruht auf einem mittels Hebel zu öffnenden Boden. Hatte man den Sarg in die Erde gelassen, wurde der Boden weggeklappt und die in einen Sack gehüllte Leiche fiel in die Grube. Nachdem die Angehörigen den Friedhof verlassen hatten, wurde der Sarg wieder heraufgezogen und konnte neuerlich verwendet werden.

Bekanntlich wurden die meisten Reformen Josephs II. nach seinem eigenen Ableben wieder rückgängig gemacht und so verwundert es wenig, dass Charles Joseph de Ligne am Sterbebett sein eigenes prunkvolles Begräbnis (er war immerhin k. k. Feldmarschall und Ritter des Goldenen Vlieses) als willkommene Bereicherung des Programms des Wiener Kongresses bezeichnete.

Kongress und Tod #

Vom Wiener Kongress ist landläufig das Bonmot des Fürsten von Ligne bekannt, wonach der Kongress nicht vom Fleck käme, sondern tanze. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass manche der dort gefassten Beschlüsse auch heute noch Gültigkeit haben. Auch der Deutsche Bund und die in Wien geschaffene, noch heute bestehende internationale Zentralkommission für die Rheinschifffahrt verdanken ihre Entstehung dem Wiener Kongress, der überdies den bis heute gültigen exzellenten Ruf Wiens als Konferenzstadt begründet hat. Jährlich finden in der österreichischen Bundeshauptstadt etwa 3000 Kongresse und Konferenzen statt, davon zwischen 550 und 600 internationale. Dies bedeutet etwa eine Million Nächtigungen für den Tourismus.

Einer der unzähligen Anziehungspunkte für Kongress- und Fortbildungstouristen ist das Anatomische Institut in der Währinger Straße geworden. Um das Geschäft anzukurbeln, wurde sogar ein Folder entworfen, der auf die lange Tradition der Leichenöffnung in Wien hinweist und neben dem Johann-Strauß-Denkmal im Stadtpark auch Theodor Billroth, Karl Landsteiner, Sigmund Freud und selbst den sagenhaften Arzt Paracelsus zeigt.

Die Broschüre unterstreicht damit die für Wien so charakteristische Nähe von Lebensfreude und Tod auf zwar vielleicht plakative, aber doch wirkungsvolle Weise. Die etwa 5000 Teilnehmer der auf diese Weise vermarkteten Sezier- und Präparierkurse aus 44 Ländern, die pro Kurs 2000 Euro bezahlen, zeigen jedenfalls, dass mit dem Tod in Wien (immer) ein Geschäft zu machen ist. Neben der Attraktivität des Tagungsortes und einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis dürfte die nicht unbeträchtliche Anzahl von verfügbaren Leichen ein wichtiges Asset des Anatomischen Instituts sein. Denn im Gegensatz zur Gerichtsmedizin gibt es auf der Anatomie keine Knappheit an Leichen.

Das hat auch historische Gründe: Schon zu Zeiten Josephs II. war es zunächst in Adelskreisen üblich geworden, seinen Körper nach dem Ableben der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen. Das „Vermachen“ des eigenen Körpers „für die Anatomie“ war jahrhundertelang selbstverständlich kostenlos. Eine Zeit lang hatte man zur Deckung der Unkosten seitens der Institutsleitung versucht, von der Sozialversicherung einen Teil des Sterbegeldes zu lukrieren, was aber nie gelungen ist.

Erst mit der Einführung der Universitätsautonomie und der damit verbundenen Notwendigkeit, Eigenmittel zu generieren, begann man damit, von den potenziellen Spendern einen Kostenbeitrag für die Transport- und Bestattungskosten einzuheben. Nach Auskunft des ehemaligen Vorstands des Instituts, Professor Wilhelm Firbas, befinden sich trotzdem die Namen von rund 35.000 Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten, die ihren Körper der Forschung vermachen wollen, in den Karteien des Instituts.

Eine eigene Studie hat sich mit den Beweggründen der potenziellen Spender auseinandergesetzt und festgestellt, dass vor allem drei Faktoren ausschlaggebend dafür sind, die 450 Euro, die als Unkostenbeitrag noch zu Lebzeiten zu entrichten sind, auszulegen: Man möchte die Kosten für ein aufwändiges Begräbnis sparen, auch noch oder zumindest nach dem Tod der Gesellschaft einen Dienst erweisen, oder man will über den Tod hinaus mit der Verwandtschaft, in Wien gern mit dem jiddischen Ausdruck „Mischpoche“ bezeichnet, nichts (mehr) zu tun haben.

Die Körperspende #

Die Anmeldung zur „Körperspende“ (!) findet während des Parteienverkehrs (!) jeweils montags und donnerstags zwischen neun und zwölf Uhr im zuständigen Sekretariat gleich neben dem Haupteingang in der Währinger Straße statt. Die Wege zum Spenderausweis sind also kundenfreundlich kurz gehalten.

Ob diese Überlegung bei der Wahl des Standortes des Sekretariats eine Rolle gespielt hat, ist nicht bekannt. Es wird aber erzählt, dass sich vor Jahren ein Mann nach erfolgter Registrierung ohne Umweg in die gegenüberliegende Toilette begeben hat, um sich dort in den Kopf zu schießen. Zwar sind solche Vorkommnisse gottlob die Ausnahme, der Job der zuständigen Sekretärin ist aber trotzdem eher unbeliebt, weil nicht wenige „Spender“ im Sekretariat ihre teilweise umfangreichen Krankengeschichten kommunizieren wollen. In Wien hat das Pompöse und Gesellige immer eine wichtige Rolle gespielt – in der hohen Politik genauso wie beim Sterben und Begrabenwerden.

Andreas Schindl, geboren 1968, lebt als Arzt und Publizist in Wien. Im Styria Verlag erschien 2014 „Das Land zwischen den Gedankenstrichen“, sein „Nachdenkbuch für Österreich

Wiener Zeitung, Sa./So., 15./16. August 2015


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