Eine Melange aus Grant und Schmäh #
Der Mundl und der Herr Karl als typische Wiener? Immerhin: Wien gilt als unfreundlichste Stadt weltweit.#
Von der Wiener Zeitung (8. Dezember 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Edwin Baumgartner
Da muss man ein Professor sein, das zu erklären: Wien ist die lebenswerteste Stadt der Welt.
Und die unfreundlichste Stadt der Welt obendrein.
Wie bitte? - Die unfreundlichste Stadt der Welt? "I bin ja eh allerweil freindlich. I loss’ ma nua ned gean von so an Bettbrunza am Schmäh hoeten."
Also sprach Mundl.
Was daran soll unfreundlich sein? Verstehen muss man ihn, den Wiener, was, zugegeben, nicht ganz einfach ist, denn wenn der Wiener seine Sprache spricht, also Wienerisch, ist das so eine Art Deutsch, die, genau genommen, kein Deutsch ist, kein richtiges, zumindest, sondern eben Wienerisch. Ma vaschdeets oda aa ned, eh wuaschd.
Mit Karl Merkatz sei ein Urbild des Wieners am letzten Mittwoch zu Grabe getragen worden, hieß es.
Das Psychogramm des Wieners#
Das spricht für den Schauspieler Karl Merkatz, der in seiner Rolle als Mundl glaubhaft machte, der Wiener zu sein, der, obzwar bedrängt von "Nudlaugn", "Schneebrunzan" und anderen "Oaschlechan", nicht untergeht. Freilich: Wäre Merkatz höchstselbst dieses Urbild des Wieners gewesen, dann wäre es sozusagen wienertypisch Samuel Becketts "Warten auf Godot" zu lieben und SOS Mitmensch tatkräftig zu unterstützen.
Dann würde Wien vielleicht als freundlichere Stadt wahrgenommen.
Das Psychogramm des Wieners? - So eine Mischung aus Herr Karl und Mundl mit einem Gupf Major Kottan obendrauf, weil zu einem nazistischen Schlawiner und einem Proleten nichts besser passt als ein Kiwara? Ein bisserl "Schmecks"-Haltung à la Falco und ein Alzerl "Waluliso"-Spinnerei, Endergebnis: schmähtandelnd, grantelnd, angrennt, gemütlich, abgefeimt, schenial, kurz: a Hawara?
Andererseits haben die drei Fernsehsendungen, "Der Herr Karl", "Ein echter Wiener geht nicht unter" und "Kottan ermittelt", den Wienern seinerzeit das Geimpfte aufgehen lassen: Grad so seien sie nicht, die Wiener. Prolet - nicht doch. Kiwara - nicht so. Und was soll das sein, ein Nazi? Die hat es doch nur in Deutschland gegeben, bei den Piefke. Der Hitler hat uns doch überfallen, der ganze Heldenplatz am 15. März im 38er-Jahr ein einziges Widerstandsnest.
Und wie ist er dann wirklich, der Wiener? Ganze Bücher sind darüber geschrieben worden und kommen doch auf keinen grünen Zweig.
"G’schamster Diener"#
Liebenswürdig ist er und freundlich, "g’schamster Diener", sagt er und "küss d’ Hand, gnä Frau", und Manieren hat er, dass sich ein Lipizzaner in ihn verlieben möcht’ und ihm die Sisi samt den Wiener Sängerknaben ein Ständchen bringt, während er die Sachertorte isst.
Zumindest kommt er sich so vor - und wehe, so ein Pülcher, so ein Gfrastsackl, so ein vermaledeites, behauptet etwas Anderes!
Wobei: Alles Klischees. Ja, eh. Der Pariser liegt ja auch nicht mit einem Baguette bei einer Frau im Bett, die nicht die seine ist, der Neapolitaner ist kein Camorrista und der Londoner hat nicht einen Regenschirm in der einen Hand und in der anderen ein Stanitzel Fish ’n’ Chips.
Aber so, wie es Pariser gibt, die, nachdem sie ein Baguette mit Camembert verzehrt haben, bei einer Frau im Bett liegen, die nicht die ihre ist, wie es Neapolitaner gibt, die Camorriste sind und Londoner, die einen Regenschirm in der einen Hand halten, in der anderen ein Stanitzel Fish ’n’ Chips und die "Times" in der dritten, gab und gibt es Wiener, die ein Wengerl so sind, wie sie der Herr Karl, der Mundl und der Major Kottan spiegeln.
Zum Beispiel: Man betritt einen Laden, etwa ein Küchenartikelgeschäft, und fragt nach einer händisch zu bedienenden Kaffeemühle. "Des miassat ma bschdöön." "Miassat" ist Konjunktiv, bedeutet "müsste". Damit ist genug gesagt. Nur ein Kunde aus dem fernen Ausland, etwa aus Nieder- oder Oberösterreich, kommt da auf die Idee, dass dieser langwierige und schwierige Bestellvorgang jetzt tatsächlich eingeleitet wird? Nur für ihn? Weil er sich eine handbetriebene Kaffeemühle einbildet, der Kunde?
Oder, apropos quasi, im Kaffeehaus: "Einen Kaffee, bitte", ist die reine Provokation in einer Stadt, in der man Franziskaner, Kapuziner, Einspänner und Fiaker im Häferl haben kann. Wenn der Ober eine korrekt formulierte Bestellung quittiert mit: "Bitte, gleich", ist das auch keine Tempoangabe, sondern heißt lediglich: "I hob di vaschdaundn, jetza muaßt a wengal woatn, und waun s da ned bassd, vaschwind." Aber weil der Wiener weit höflicher ist als sein Ruf, sagt das der Ober nicht, sondern hält sich mit "bitte, gleich" vornehm zurück.
Ist das so schwer zu kapieren?
So eine Melange aus Grant und Schmäh, vielleicht? Gehört ins Bild.
Den Schmäh hat Kobuk, der Eskimo-Dichter (so lautet seine Selbstbezeichnung, wie sein Freund Helmut Qualtinger überliefert hat), nach seinem Wien-Besuch in seinen Memoiren "Unter der Eisscholle" vortrefflich beschrieben. Es geht nichts über den neutralen Blick von Außen.
Und der Grant - der ist Artikulation von Vernunft und Augenmaß. Der Grantscheam "raunzt, feut, keppelt und kritisiert alles und jeden", definiert Arik Brauer in seinem Buch "Wienerisch für Fortgeschrittene". Sicher, aber in Wahrheit ist der Grantscheam das Korrektiv der Alltagsunzulänglichkeiten. Auf Schritt und Tritt begegnet man ihnen. Man muss nur die Augen offen und danach Ausschau halten. "Heast, kaunst d dei Foaradl ned andasdawo hinschdöö? Muaß des grod do sei?"
Und? Muss es? Eben.
Sehnsucht vielleicht?#
Natürlich ist der moderne Wiener ganz anders. Geprägt ist er von Internationalität, Business, McDonalds, Starbucks, EU und dergleichen. "Fria woa des ollas aundas", möchte man glatt zu raunzen anfangen - und beginnt zu überlegen, ob die Zustimmung wenn nicht gar Verehrung, die mittlerweile einem Mundl, einem Major Kottan und sogar dem Widerling, dem Herrn Karl, entgegengebracht werden, nicht der Sehnsucht dieser stromliniengeformten neuen Wiener entspringt, einmal Wiener von damals zu sein, einen Nullchecker als Nudelaug zu bezeichnen (und verstanden zu werden) und im Kaffeehaus hinter einem abgeschlagenen Marmortischchen, auf einem verschlissenen Samtbezug sitzend, eine halbe Stunde auf den Einspänner zu warten.
Man braucht ja nicht den Mundl machen oder den Major Kottan (und, bitte, schon gar nicht den Herrn Karl). Aber einmal der Hans Moser sein. Das wär’s. Schmähohne.