Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Die vergessene "Insel des Islam"#

Die Österreichisch-Ungarische Monarchie annektierte vor hundert Jahren die osmanische Donauinsel Ada Kaleh, die 1971 in den Fluten des Donaukraftwerks am Eisernen Tor versank.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 11./12. Mai 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Thomas Schmidinger


Ada Kaleh um 1908
Nur 1,7 km lang: die Donauinsel Ada Kaleh; ungarische Ansichtskarte, 1908.
© Privatarchiv Schmidinger

"Dort, wo Ungarn, Serbien und Rumänien zusammenstoßen, ist ein Stückchen türkischster Türkei unversehrt übriggeblieben. Im Strome des Christentums liegt sie da, eine Insel des Islam." So beschrieb Egon Erwin Kisch die Insel Ada Kaleh während des Ersten Weltkriegs, als siebenundfünfzig ungarische Landstürmer über fünfzehn Monate lang gegen die am gegenüberliegenden Ufer stationierten Serben Wacht hielten.

Dass ungarische Soldaten, die auf Kaiser Franz Josef I. vereidigt waren, eine "Insel des Islam" gegen die Serben verteidigten, war einem Zufall der Geschichte, einer kleinen Unachtsamkeit zu verdanken.

Seit 1699 stand die Insel, auf der bereits zuvor eine Festung existierte, unter der Herrschaft des osmanischen Sultans, nur unterbrochen von kurzen österreichischen Besatzungen von 1716 bis 1738 und noch einmal kurz um 1789. Als Insel über dem Eisernen Tor an einer Donaubiegung gelegen, bildete der nur 1,7 km lange Landstrich, dessen türkischer Namen als "Festungsinsel" übersetzt werden könnte, im 17. und 18. Jahrhundert einen bedeutenden strategischen Bereich zur Kontrolle dieses Donauabschnitts.

"Caroline-Insel"#

Neben einer militärischen Festung gab es auf der Insel, die von den Österreichern auch als "Caroline-Insel" oder "Neu-Orschowa" bezeichnet wurde, auch ein Dorf, das von Muslimen aus allen Teilen des Reiches bewohnt war, die osmanisches Türkisch als Umgangssprache verwendeten. Die Bewohner der engen Gassen mit kleinen Häusern und schattigen Innenhöfen lebten von Handel, Schmuggel, Fischerei, Tabakanbau und der Herstellung von Lokum, einer im Osmanischen Reich verbreiteten Süßigkeit.

Der ungarische Schriftsteller Mór Jókai hatte sich bereits 1872 in seinem Roman "Der Goldmensch" von Ada Kaleh inspirieren lassen. Er schildert darin eine "Niemandsinsel", die einen von zwei Reichen erteilten Freibrief erhalten habe, "der diesem Gebiet eine Existenz außerhalb aller Grenzen erlaubt". Die Insel wird bei ihm zu einem utopischen Paradies jenseits von Zeit und Raum, insbesondere aber jenseits von Krieg und Nationalismus.

Die kleine Unachtsamkeit, der Ada Kaleh ein Fortleben dieser osmanischen Tradition verdankte, geschah nach dem Türkisch-Russischen Krieg von 1877-1878, der Rumänien die Unabhängigkeit und dem Osmanischen Reich den Verlust ihrer Besitzungen nördlich der Donau brachte. Im Berliner Kongress wurde in diesem Abschnitt die Donau als Grenze zwischen Serbien und Rumänien festgelegt. Die kleine Insel inmitten des Stromes wurde einfach vergessen.

So entstand eine Enklave des Osmanischen Reiches weit ab vom sich immer weiter nach Südosten zurückziehenden Rest der Untertanen der Hohen Pforte. Zwar war Österreich-Ungarn bereits seit 1877 militärisch präsent, die Bewohner blieben aber de jure weiterhin Untertanen des Sultans. Auf der Insel gab es weiterhin einen eigenen Mudir(Bürgermeister), einen Kadi (Richter), und einen Imam. Sultan Abdulhamid II. spendete den Teppich für die 1903 errichtete Moschee.

Als man in Ungarn 1896 in nationalistischem Überschwang die "tausendjährige Landnahme" der Ungarn in Form einer "Milleniumsausstellung" feierte, wurde im von Julius Laurencic herausgegebenen Katalog "Das tausendjährige Ungarn und die Milleniumsausstellung" auch Ada Kaleh erwähnt: "Einen romantischen Überrest der einstigen Türkenherrschaft an der unteren Donau bildet diese, an der ungarisch-rumänisch-serbischen Grenze, unmittelbar unterhalb Orsova gelegene kleine Donau-Insel, deren geringzahlige, ausschließlich türkische Bewohner zwar noch Unterthanen des Sultans sind, das Inselterritorium selbst steht jedoch auf Grund eines Beschlusses des Berliner Congresses bis zur endgültigen Regelung der politischen Lage desselben, jetzt noch interimistisch unter der militärischen Oberherrschaft der österr.-ungarischen Monarchie."

Die steuerfreie Insel wurde bald zur Touristenattraktion. Ihr Status blieb so lange ungeklärt, bis Ungarn im Vorfeld des Ersten Weltkrieges die Insel am 12. Mai 1913 annektierte und damit Österreich-Ungarn noch einen letzten kleinen Gebietsgewinn bescherte, ehe es an den Folgen des Krieges zerbrechen sollte.

Die Ereignisse des "Großen Krieges" - wie der Erste Weltkrieg in der Zeit, als man noch hoffte, von einem zweiten verschont zu werden, bezeichnet wurde - schilderte der legendäre "rasende Reporter" und Schriftsteller Egon Erwin Kisch in seinem Artikel "Auf der Wacht gegen die Serben" über die Insel während des Krieges. Nachdem die 57 ungarischen Landstürmer die Insel 15 Monate gegen die serbischen Stellungen am südlichen Donauufer verteidigt und sich mit einem Kartoffelacker und einem Kuhstall weitgehend selbst versorgt hatten, kamen ab Oktober 1915 ruhigere Zeiten auf die Insel und ihre Verteidiger zu. Nachdem die bulgarische Armee und eine deutsch-österreichische Heeresgruppe unter dem später von den Nazis erfolgreich hofierten Generalfeldmarschall August Mackensen Serbien erobert hatten, wurde die Insel wieder Ziel von Kurgästen und Reisenden.

Reise in "nahen" Orient#

Nun konnten wieder Reisende aus Wien oder Budapest bequem den "Orient" bereisen. Kaum wurden die Osmanen nicht mehr als Gefahr betrachtet, wurde osmanische Kultur - oder zumindest das, was man dafür hielt - für das österreichisch-ungarische Bürgertum interessant. In einer Zeit, in der selbst Fabriksherren, wie etwa der Insektenvertilgungsmittelhersteller Johann Zacherl, ihre Fabriken in Wien architektonisch orientalisierten, stellte die Insel in der Donau geradezu ein touristisches Disneyland für orientalistische Phantasien dar, in das man reisen konnte, ohne die beschwerliche Reise bis Konstantinopel auf sich zu nehmen. Und nun, da die Türken nicht mehr als Gefahr, sondern sogar noch als Waffenbrüder im Weltkrieg Seite an Seite mit den Österreichisch-Ungarischen Soldaten kämpften, konnte man sich doppelt an der "Insel des Islam" erfreuen.

1915, während im Osmanischen Reich selbst gerade armenische und assyrische Christen massakriert und in den Tod getrieben wurden, wurden die Türken in Österreich nicht mehr als "Gefahr für die Christenheit", sondern als Verbündete gegen Serben und Russen gesehen.

Der Touristenstrom riss deshalb nicht einmal während des Ersten Weltkriegs völlig ab. Kaum war die Insel nicht mehr unter Beschuss, kamen auch schon wieder die Gäste, um einen Hauch Osmanisches Reich zu erleben. "Seit das gegnerische Ufer gesäubert war", schildert Kisch, "hatte Osrova nicht bloß den Charakter eines Welthafens errungen, sondern auch einen internationalen Personenverkehr aufzuweisen, und die eintreffenden deutschen, österreichischen und türkischen Offiziere nützten gerne ein freies Stündchen, um dem exterritorialen Stückchen des Orients ihre Visite zu machen." Der vermeintliche Sieg hielt bekanntlich nicht lange an und mit der Niederlage Österreich-Ungarns und der Auflösung des Habsburgerreiches war es auch mit der Souveränität über die Festungsinsel dahin. Die Frage, wem Ada Kaleh denn nun gehören sollte, war wieder offen. Das ebenfalls zusammengebrochene Osmanische Reich konnte keine Gebietsansprüche mehr geltend machen und befand sich in seinen letzten Zügen zwischen Allierten Besatzungstruppen und der Guerillaarmee Mustafa Kemals, der später zum Vater der modernen Türkei werden sollte.

Ungarn hatte ebenfalls große Teile seiner ehemaligen Reichshälfte verloren und grenzte nicht mehr an die Insel. Und so blieben nur Serbien und Rumänien zur "Auswahl", wobei der Begriff die Realitäten vor Ort verzerrt: Nicht die Bevölkerung von Ada Kaleh, die immer noch aus Muslimen mit osmanischer Muttersprache bestand, sondern die neuen Staaten sollten die Zukunft der Insel bestimmen. 1919 annektierte Rumänien die Insel, was von der Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches allerdings erst 1923 völkerrechtlich verbindlich anerkannt wurde.

Fez, Bazar, Moschee#

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die "Kleine Türkei" noch einmal eine Blüte als Ausflugsziel. Kalter Krieg und Eiserner Vorhang sorgten zwar dafür, dass die Zahl westlicher Touristen überschaubar blieb, für Reisende aus der Region blieb die Insel allerdings ein attraktiver Ausflugsort. Schließlich konnte man hier noch eine osmanische Gesellschaft erleben, wie sie in der Türkei selbst schon längst verschwunden war. Hatte Mustafa Kemal bereits 1925 mit dem sogenannten "Hutgesetz" das Tragen des Fez verboten, so konnten die Herren auf Ada Kaleh weiterhin die Kopfbedeckung aus rotem Filz tragen. Bazar und Moschee boten Besuchern eine osmanische Atmosphäre.

Kulturelle Bindungen zur Türkei blieben jedoch auch über die Grenzen hinweg bestehen. Auf seinem Staatsbesuch besuchte sogar der türkische Premier Süleyman Demirel am 13. September 1967 die Insel. Als er die ehemalige Enklave des Sultans betrat, hatten in Bukarest die Bürokraten des Ceausescu-Regimes bereits das "Todesurteil" über die Insel gesprochen. 1964 hatten Rumänien und Jugoslawien gemeinsam mit der Errichtung eines gewaltigen Flusskraftwerkes beim Eisernen Tor begonnen. Die Bewohner der Insel wurden 1967 gegen ihren Willen deportiert. Viele zogen in die Türkei oder ließen sich in der Dobrudscha in der Nähe der Schwarzmeerküste nieder. Einige wenige Bauten wurden auf der in der Nähe gelegenen Insel Simian wieder aufgebaut, die anderen wurden gesprengt und versanken 1971 mit der Insel selbst in den Fluten des Stausees.

Nicht versunken ist die Trauer vieler Vertriebener um ihre verlorene Insel. In einer türkischen Dokumentation von Ismet Arasan erklärt Cafer Islamoglu, der im nahe gelegenen rumänischen Landkreis Caras-Severin geblieben ist: "Alle anderen Menschen in dieser Welt haben eine Heimat. Auch wenn sie weit weg sind, können sie ihre Heimat besuchen, wann immer sie wollen. Wir haben diese Chance nicht."


Thomas Schmidinger, geboren 1974, ist Politikwissenschafter, Sozial- und Kulturanthropologe und Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 11./12. Mai 2013


Bild 'sim-link'
Austria-Forum Beiträge in ähnlichen Gebieten