Wie schützt die EU das Klima?#
ForscherInnen der Universität Graz analysieren die Effektivität energiepolitischer Maßnahmen#
Im Rahmen seines EU-Ratsvorsitzes lädt Österreich am 29. und 30. Oktober 2018 die Verkehrs- und UmweltministerInnen der Mitgliedstaaten zu einer informellen Tagung nach Graz ein. Das Treffen dient unter anderem der Vorbereitung auf die UN-Klimakonferenz im Dezember in Katowice/Polen. „Die Europäische Union hat mit ihrer Klimapolitik weltweit eine Führungsrolle übernommen und das Zustandekommen globaler Abkommen maßgeblich vorangetrieben“, unterstreicht Volkswirt Karl Steininger von der Universität Graz die Bedeutung der EU auf diesem Gebiet. Für die Umsetzung konkreter Maßnahmen sind jedoch die einzelnen Mitgliedstaaten verantwortlich. Und hier gebe es noch viel zu tun. „Die Schaffung der rechtlichen Grundlagen zur Dezentralisierung der Energieversorgung, die richtigen Rahmenbedingungen auch für Klima- und Energie-Modellregionen sowie eine ökologische Steuerreform wären wichtige Schritte zur Erreichung der Klimaziele“, hebt Steininger hervor. Mit seinem Team untersucht er am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel die Effektivität klima- und energiepolitischer Maßnahmen und leitet daraus Handlungsmöglichkeiten ab.
Um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu beschränken, verfolgt die Klima- und Energiepolitik der Europäischen Union im Wesentlichen drei Strategien: die Steigerung der Energie-Effizienz, die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien und die Senkung der Treibhausgas (THG)-Emissionen. Als wichtigen Motor, um diese Ziele voranzutreiben, sieht Steininger die Dezentralisierung der Energieversorgung. Das bedeutet, dass Strom auch verbrauchernah, etwa über Photovoltaik-Anlagen, in sogenannten Energie-Gemeinschaften erzeugt werden kann und nur lokale Bilanzungleichgewichte aus dem Gesamtnetz bedeckt werden. „So könnten sich nach Beschluss der neuen EU-Strommarktdirektive zum Beispiel mehrere Firmen zu einer Energie-Gemeinschaft zusammenschließen und ihren eigenen Strom produzieren“, erklärt Andreas Türk. Der Umweltsystemwissenschafter hat am Wegener Center im EU-Forschungsprojekt CARISMA untersucht, welche Rahmenbedingungen für Unternehmen Anreize darstellen, klimafreundliche Maßnahmen umzusetzen. „Durch die Gründung von Energie-Gemeinschaften ließen sich Kosten, wie etwa Netzgebühren, sparen, und gleichzeitig würde der Anteil der erneuerbaren Energien steigen“, unterstreicht Türk die Vorteile. Bestehende Energieversorgungsunternehmen wiederum könnten von der dann kleineren Schwankung der Strom-Nachfrage aus dem Gesamtnetz profitieren – über geringere spezifische Kosten für Ausgleichsenergie und vermindertes Risiko.
Allerdings müssen dazu noch die nötigen rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Derzeit ist es in Österreich nicht erlaubt, ohne Lizenz als Energieversorger eine Energie-Gemeinschaft zu gründen. Die Möglichkeit für eine Beschleunigung der Dezentralisierung würde ein neues österreichisches Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energien, das derzeit in Diskussion ist, geben. Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen erscheine die Realisierung der gesteckten Ziele nicht erreichbar. „Beispielsweise würde die bis 2030 angestrebte Menge von zusätzlich zehn Terawattstunden Elektrizität aus Photovoltaik eine Vervielfachung des in der Klima- und Energiestrategie des Bundes angesprochenen 100.000 Dächer-Programms um den Faktor 20 erfordern“, so Steininger. Will man Veränderungen einleiten, brauche es gute Rahmenbedingungen für Experimentierfelder. Dabei denkt Karl Steininger auch an Klima- und Energie-Modellregionen. „Funktioniert das Konzept unter den neuen Voraussetzungen, wird es sich dann auch an anderen Orten durchsetzen.“ Zusätzlich hält der Volkswirt eine ökologische Steuerreform auf nationaler Ebene für nötig: „Als Ausgleich zur Erhöhung der Energie-Steuern könnten etwa die Lohnnebenkosten gesenkt oder Gebäude-Sanierungen steuerlich entlastet werden.“
EU-weit brauche es in einigen Regionen mehr Unterstützung beim Ausbau nachhaltiger Energiegewinnung. „Derzeit ist Photovoltaik in Portugal, einem Land mit grundsätzlich höheren Finanzierungskosten, teurer als in Deutschland, obwohl das südliche Land viel mehr Sonnenstunden zu verzeichnen hat“, weiß Türk. „Die Vergabe günstiger Kredite – eine Politik des De-risking – und Know-how-Transfer könnten wirtschaftlichen Nachteilen entgegenwirken.“