Irdische und überirdische Spiritismen#
Der Prater feiert 2016 seinen 250. Geburtstag: "Unbekannte Pratergschicht’n" (Teil IV)#
Von der Wiener Zeitung (Freitag, 5. Februar 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Clemens Marschall
Wien. "Kratky-Baschik...", sagt Robert Kaldy-Karo genussvoll schmunzelnd und kratzt sich an seinem Kinnbart. Er kennt dessen Geschick und Genie nur zu gut, hat er doch beinahe 20 Jahre zu dieser Persönlichkeit geforscht, um eine Biographie über ihn zu schreiben.
Anton Kratky-Baschik - der von den Wienern einst liebevoll Kratky-Batschky genannt wurde - kam 1810 in Koslany in der Nähe von Pilsen zur Welt und erlangte als Zauberkünstler, Taschenspieler und Musikvirtuose Berühmtheit. Bereits als Jugendlicher hatte er mit der damals gerade neu entwickelten Mundharmonika umjubelte Auftritte in Prag. Es folgten Tourneen durch die gesamte österreich-ungarische Monarchie, bei denen er an kaiserlichen und königlichen Höfen brillierte, meistens solo, zuweilen aber im Duett mit seinem ebenso mundharmonikaspielenden Bruder Ignaz.
Kratky-Baschik entwickelte außerdem eigene Klangerzeuger wie das "Hornmelodikon", erklärt Kaldy-Karo: "Diese Bezeichnung hat er für eine Konstruktion verwendet, wo er spezielle Mundharmonikas mit Schalltrichtern kombiniert hat."
Ständig auf Achse, traf Kratky-Baschik 1848/49 in Berlin den wohl damals berühmtesten deutschen Zauberer: Samuel Bellachini. Der verpflichtete Kratky-Baschik für sein Abendprogramm. Daraufhin spielte Kratky-Baschik, der nicht nur durch seinen ausgeprägten Backenbart auffiel, Mundharmonikakonzerte vor Bellachinis Zaubervorstellungen. Als Kratky-Baschik bemerkt hatte, wie gut die magischen Darbietungen beim Publikum ankamen, begann er langsam damit, sie in sein eigenes musikalisches Programm einzubauen. Seine erste "kombinierte" Vorstellung fand 1852 statt.
Der größte Schwindler aller Zeiten#
1853 trat er mit dem weltberühmten amerikanischen P.T. Barnum auf, der heute noch als größter Schaustellunternehmer - und Schwindler - gilt. Barnum war imstande, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, einen großgewachsenen Herren als "Giganten" zu verkaufen oder den Oberkörper eines Affen auf einen Fischleib zu montieren und diesen als "Fidschi-Meerjungfrau" auszustellen.
1858 wurde Kratky-Baschik von Queen Victoria zu einem Konzert im Windsor Castle geladen. Die Queen war begeistert und verlieh ihm den Titel eines "Hofkünstlers und Hofvirtuosen Ihrer Majestät der englischen Königin". Da es immer wieder Probleme mit Barnum gab und er Kratky-Baschik seine Gage des Öfteren vorenthalten wollte, trennte man sich nach einiger Zeit.
Kratky-Baschik tourte durch ganz Europa und verknüpfte Zauberei mit Musik und physikalischen Effekten. Er nannte sich immer öfter "Professor" und eröffnete 1864 auf der Feuerwerksallee im Wurstelprater sein erstes Zaubertheater. Nach Ende der Pratersaison ging er auf weitere ausgedehnte Gastspielreisen. Er kam Ende der 1860er zurück nach Wien, mietete sich einen Holzbau in der Ausstellungsstraße 161 und ließ diesen auf Hochglanz bringen: Das sollte sein zweites Zaubertheater werden.
Eine etwa vier Meter mal sechs Meter große Glasscheibe diente ihm als Hauptwerkzeug für die Geistererscheinungen, mit denen er kleine Theaterstücke entwickelte. Sie trugen Namen wie "Das Lebensende eines Trinkers oder Der Sturz in den Höllenrachen". Als Erscheinungen dieses Stücks sind angeführt: "Satan, dessen Großmutter, der gefürchtete Mann mit Sanduhr und Hippe". Auf seinen routinierten Befehl "Und schon!" tauchten seine Geister auf - und verschwanden auch wieder.
Kratky-Baschik zeigte zudem physikalische Neuheiten wie die Geißlerschen Röhren: Vorläufer der Neonlampe, die damals extrem teuer waren. Aufgrund der hohen Anfragen stellte er seine Zaubersoireen auch in der Innenstadt und im Dianasaal in der Leopoldstadt vor, selbst Schulvorführungen präsentierte der Zauberkünstler. Überhaupt war er besonders bei der jüngeren Generation beliebt, da er es verstand, diese das Gruseln zu lehren.
Elektroschocks aufs Haus#
1874 kaufte Kratky-Baschik schließlich ein ehemaliges Affentheater in der Ausstellungsstraße 150, das durch die gefloppte Weltausstellung 1873 in Konkurs gegangen war. Mit etwa 900 Plätzen gehörte es damals zu den weltgrößten Theatern, doch nicht nur drinnen steppte der Bär: Kratky-Baschik hatte an der äußeren Bretterverschallung elektrische Leitungen installiert, die den alleinigen Zweck hatten, den Jungspunden eine Chance zu geben, sich zu elektrisieren. Das Angebot stieß - man glaube es oder auch nicht - auf große Popularität.
Kratky-Baschik war zwar regelmäßig mit Überirdischem in Kontakt, doch auch die irdischen Freuden bereiteten ihm großes Vergnügen. Gegen Ende seines Lebens konnte er keine weiten Strecken mehr zu Fuß gehen, weshalb er einen "Korbwagen", eine Art Rollstuhl, besaß. Nach einem Heurigenbesuch in Döbling schob ihn sein Neffe Mathias Kratky - der Sohn seines Bruders Ignaz, der seinem Onkel schon lange assistiert hatte - in diesem Korbwagen heimwärts, verlor aber die Kontrolle und warf den Zauberer samt Wagen um. Dieser schrie ihn an: "Falott, elendiger, hab i dir net gsagt, wenn i an Rausch hab, derfst du nix saufen?", woraufhin der ebenfalls trinkfreudige Neffe antwortete: "Ja, Herr Professor, da kummat i ja ni dran."
Beruflich und gesundheitlich waren die goldenen Zeiten für Kratky-Baschik vorbei. 1882 hatte er Probleme wegen Baumängel in seinem Zaubertheater, die er erst nach mehrmaligen Verwarnungen der Behörde beheben sollte. Langsam ging seine Ära zu Ende und Kratky-Baschik war immer seltener zu sehen. Schlaganfälle und der Graue Star trugen ihr Übriges dazu bei. Anton Kratky-Baschik starb 1889 und hinterließ ein Vermögen von nahezu 70.000 Gulden. "Was die wenigsten heute wissen: Der geborene Tscheche hatte zeitlebens nie richtig Deutsch gesprochen, er ‚böhmakelte‘, wie man dazu sagte - und das führte besonders bei öffentlichen Vorführungen zu amüsanten Szenen", grinst Kaldy-Karo. "Aber das war nicht bösartig, Kratky-Baschik war äußerst beliebt und sein Begräbnis am 30. August wurde zum regelrechten Spektakel." Mathias Kratky leitete das Theater bis zu seinem Tod 1903 weiter, konnte aber nicht an frühere Erfolge anschließen. Als neues Unterhaltungsphänomen etablierte sich das Kino als "Theater der kleinen Leute" und bot der Jugend eine neue Quell der Freude. Das Zaubertheater geriet in den Hintergrund, wurde allerdings noch bis 1911 notdürftig von verschiedenen Besitzern weiterbetrieben. Der Grund der Schließung soll ein junger Mann gewesen sein, der mit seiner Steinschleuder auf eine Geistererscheinung schoss - und die für diese Illusion erforderliche riesige Spiegelglasscheibe zerstörte. Kaldy-Karo fand in seinen Forschungen allerdings heraus, dass dies nur ein "Gschicht’l" ist. Was allerdings stimmt, ist, dass das Theater 1912 demoliert wurde, da das Holz bereits morsch war. Heimito von Doderer setzte mit seiner Erzählung "Ein anderer Kratki-Baschik" (1956) seinem heute noch existierenden Stammlokal Zur Stadt Paris beim Wiener Rathaus ein Denkmal. 1963 wurde der Kratky-Baschik-Weg im Prater nach ihm benannt. Und in gewissen Zaubertheatern soll sein Geist bis heute erscheinen...
Information#
Die Serie "Unbekannte Pratergschicht’n" von Clemens Marschall erscheint zum runden Prater-Jubiläum wöchentlich in der "Wiener Zeitung" und beleuchtet eher obskure Nebenstränge der Geschichte des Praters. Im Frühjahr erscheint zudem Robert Kaldy-Karos Archivbildband "250 Jahre Prater" im Sutton Verlag. Wer darüber hinaus in die Materie eintauchen möchte, dem sei ein Besuch der Sonderausstellung "250 Jahre Wiener Prater" im Circus- und Clownmuseum Wien (Ilgpl. 7, 1020 Wien) empfohlen, die ab März zu sehen ist.
Wiener Prater G'schichten!#
- Marschall, C.: Im Prater blüh’n noch immer die Bäume (I)
- Marschall, C.: Vom Salamucci zur Praterikone (II)
- Marschall, C.: Gruseln im Panopticum (III)
- Marschall, C.: Das Leben der Liliputaner (V)
- Marschall, C.: Kommt ein Zirkus in den Prater... (VI)
- Marschall, C.: Damenkapellen im Wiener Prater (VII)
- Marschall, C.: Kunst und Klobassi im Varieté (VIII)
- Marschall, C.: Die Königin aller Riesendamen (IX)
- Marschall, C.: Handpufferl und Raquetten von Stuwer (X)
- Marschall, C.: Wild West im Prater (XI)
- Marschall, C.: Blumen, Bier und Backhendl (XII)
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