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Fräulein Bürstners Zimmer. Aber er war nicht dorthin eingeladen, sondern in
das Eßzimmer, dessen Tür er aufriß, ohne zu klopfen.
Es war ein sehr langes, aber schmales, einfenstriges Zimmer. Es war dort
nur so viel Platz vorhanden, daß man in den Ecken an der Türseite zwei
Schränke schief hatte aufstellen können, während der übrige Raum
vollständig von dem langen Speisetisch eingenommen war, der in der Nähe
der Tür begann und bis knapp zum großen Fenster reichte, welches dadurch
fast unzugänglich geworden war. Der Tisch war bereits gedeckt, und zwar für
viele Personen, da am Sonntag fast alle Mieter hier zu Mittag aßen.
Als K. eintrat, kam Fräulein Montag vom Fenster her an der einen Seite des
Tisches entlang K. entgegen. Sie grüßten einander stumm. Dann sagte
Fräulein Montag, wie immer den Kopf ungewöhnlich aufgerichtet: »Ich weiß
nicht, ob Sie mich kennen.« K. sah sie mit zusammengezogenen Augen an.
»Gewiß«, sagte er, »Sie wohnen doch schon längere Zeit bei Frau Grubach.«
»Sie kümmern sich aber, wie ich glaube, nicht viel um die Pension«, sagte
Fräulein Montag. »Nein«, sagte K. »Wollen Sie sich nicht setzen?« sagte
Fräulein Montag. Sie zogen beide schweigend zwei Sessel am äußersten Ende
des Tisches hervor und setzten sich einander gegenüber. Aber Fräulein
Montag stand gleich wieder auf, denn sie hatte ihr Handtäschchen auf dem
Fensterbrett liegengelassen und ging es holen; sie schleifte durch das ganze
Zimmer. Als sie, das Handtäschchen leicht schwenkend, wieder zurückkam,
sagte sie: »Ich möchte nur im Auftrag meiner Freundin ein paar Worte mit
Ihnen sprechen. Sie wollte selbst kommen, aber sie fühlt sich heute ein wenig
unwohl. Sie möchten sie entschuldigen und mich statt ihrer anhören. Sie hätte
ihnen auch nichts anderes sagen können, als ich Ihnen sagen werde. Im
Gegenteil, ich glaube, ich kann Ihnen sogar mehr sagen, da ich doch
verhältnismäßig unbeteiligt bin. Glauben Sie nicht auch?«
»Was wäre denn zu sagen?« antwortete K., der dessen müde war, die
Augen des Fräulein Montag fortwährend auf seine Lippe gerichtet zu sehen.
Sie maßte sich dadurch eine Herrschaft schon darüber an, was er erst sagen
wollte. »Fräulein Bürstner will mir offenbar die persönliche Aussprache, um
die ich sie gebeten habe, nicht bewilligen.« »Das ist es«, sagte Fräulein
Montag, »oder vielmehr, so ist es gar nicht, Sie drücken es sonderbar scharf
aus. Im allgemeinen werden doch Aussprachen weder bewilligt, noch
geschieht das Gegenteil. Aber es kann geschehen, daß man Aussprachen für
unnötig hält, und so ist es eben hier. Jetzt, nach Ihrer Bemerkung, kann ich ja
offen reden. Sie haben meine Freundin schriftlich oder mündlich um eine
Unterredung gebeten. Nun weiß aber meine Freundin, so muß ich wenigstens
annehmen, was diese Unterredung betreffen soll, und ist deshalb aus
Gründen, die ich nicht kenne, überzeugt, daß es niemandem Nutzen bringen
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Der Prozeß
- Title
- Der Prozeß
- Author
- Franz Kafka
- Date
- 1926
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 158
- Keywords
- Roman, Literatur, Schriftsteller, Prozess
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1: Verhaftung - Gespräch mit Frau Grubach - Dann Fräulein Bürstner 5
- Kapitel 2: Erste Untersuchung 25
- Kapitel 3: Im leeren Sitzungssaal - Der Student - Die Kanzleien 37
- Kapitel 4: Die Freundin des Fräulein Bürstner 54
- Kapitel 5: Der Prügler 60
- Kapitel 6: Der Onkel - Leni 65
- Kapitel 7: Advokat - Fabrikant - Maler 80
- Kapitel 8: Kaufmann Block - Kündigung des Advokaten 116
- Kapitel 9: Im Dom 138
- Kapitel 10: Ende 155