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Anfang 1985: Grundbericht Österreich und die DDR
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als es der DDR-Führung gelang, das eigene Land erfolgreich abzuschotten und
damit entscheidend zur Lokalisierung des Konfliktes beitrug.
Auch die Wechsel an der Spitze des KPdSU6 in den letzten Jahren brachten
keine Änderungen in der Einschätzung der Bedeutung der DDR für die Sowjet-
union. Die Beziehungen Erich Honeckers zu Juri Andropow7 und Aleksander
[sic!] Tschernenko8 beruhen auf langer Bekanntschaft und auch persönlicher
Wertschätzung.
Es ist eine offene Frage, ob es gerade diese Sonderrolle Erich Honeckers war
oder / und die durch den Wechsel in Moskau und die damit aufgetretenen Füh-
rungs- und Entscheidungsschwächen, welche die Voraussetzungen dafür geschaf-
fen hatten, daß sich 1984 unübersehbare Tendenzen in der DDR-Politik gegenüber
der Sowjetunion zeigten, die man als „partnerschaftlich“ bezeichnen könnte.
Der von E. Honecker betriebene Austausch des sowjetischen Botschafters
Abrassimow,9 dessen jahrzehntelangen Erfahrungen in der Deutschlandpolitik
dazu verleiteten, in Ostberlin als Vizekönig aufzutreten; die Vorwärtsstrategie
Erich Honeckers, mit der er schon kurz nach dem Beschluß des BRD-Bundestages
vom 23. November 1983 zur Raketenstationierung für die „Schadensbegrenzung“
und die Fortführung des Dialoges eintrat und dies, anders als damals die Sowjet-
union, nicht unbedingt vom Status quo ante abhängig machte und schließlich
seine offen ausgesprochene Ansicht, die vom Warschauer Pakt beschlossenen
„Gegenmaßnahmen“ machten der DDR keine besondere Freude, waren Zeichen
eines solchen neuen DDR-Selbstbewußtseins auch gegenüber der Sowjetunion.
Dazu kam die DDR-Haltung, gemeinsam mit Ungarn in der Frage der Be-
schlüsse des solange hinausgeschobenen RGW-Gipfels.10 Wie es sich zeigte, gelang
es dort nicht, die ursprünglichen sowjetischen Pläne für größere Unabhängigkeit
vom Westhandel etc. durchzusetzen, vielmehr konnten sich die DDR und andere
hochentwickelte RGW-Mitglieder ihre wirtschaftspolitischen Grundausrichtun-
gen bewahren und erfolgreich gegen Autarkiebemühungen des RGW als Ganzes
ankämpfen.
frühere Spitzenfunktionäre der PVAP, darunter Edward Gierek und Piotr Jaroszewicz. Die
Solidarność wurde im Jahr 1982 endgültig verboten. Zur Haltung der SED siehe: Michael Ku-
bina / Manfred Wilke, „Hart und kompromisslos durchgreifen“. Die SED contra Polen 1980/81.
Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewe-
gung, Berlin 1995.
6 Gemeint sind die Wechsel von Leonid I.
Breschnew auf Juri Andropow 1982 und jener von An-
dropow auf Konstantin U.
Tschernenko 1984. Die Wechsel erfolgten jeweils nach dem Ableben
des Amtsinhabers.
7 Juri W.
Andropow, Generalsekretär des ZK der KPdSU (1982–1984) Vorsitzender des Präsidi-
ums des Obersten Sowjets (1983/84), siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
8 Konstantin U.
Tschernenko, Generalsekretär der KPdSU und Vorsitzender des Präsidiums des
Obersten Sowjets (1984/85), siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
9 Pjotr A. Abrassimow, sowjetischer Botschafter in der DDR (1975–1983), siehe Personenregis-
ter mit Funktionsangaben.
10 Das Exekutivkomitee des RGW tagte vom 24. bis 26. Jänner 1984 in Moskau.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99