Page - 118 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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Anfang 1985: Grundbericht Österreich und die DDR
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verkehr auch 1984 vorangetrieben (wobei die DDR erstmals seit langen einen be-
achtlichen Überschuß
– rund 1,7 Mrd. DM
– erzielen konnte)
und im Bereich des
Kapitalverkehrs beträchtliche Kredithingaben seitens der BRD getätigt.
Gespräche im Bereich des Verkehrswesens, Vereinbarungen über die Auf-
nahme des direkten Luftverkehrs zwischen Städten in der DDR und der BRD, zu-
nächst während der Leipziger Messe u. ä. kennzeichneten die Situation zwischen
den beiden deutschen Staaten am Vorabend des für die letzte Septemberwoche
1984 geplanten dreitägigen Arbeitsbesuches Erich Honeckers in der BRD.
Im Vorfeld dieses Besuches hat die DDR nach entsprechenden Verhandlungen
mit der BRD eine Reihe von menschlichen Erleichterungen im Besuchsreisever-
kehr zugestanden, die ab 1. August 1984 praktiziert werden.
Es handelt sich hierbei jedoch nicht um substantielle Neuregelungen, aber im-
merhin um die Senkung des zwangsweisen Mindestumtausches für Rentner, In-
validenvollrentner und Unfallvollrentner von 25,- auf 15,- DM (pro Tag) sowie um
die großzügigere Handhabung der Mitnahme von Literatur und Druckerzeug-
nissen, der großzügigeren Gestaltung des Schallplattenversandes und der Geneh-
migung für die Mitführung von Wohnmobilen auch mit Nutzlast von mehr als
1 Tonne. Die Reiseerleichterungen sind in der DDR bisher nicht publiziert worden,
erfassen aber auch zum Teil Angehörige von Drittstaaten, also auch Österreicher.
Als Gegenleistung hat die BRD der DDR einen weiteren, diesmal ungebunde-
nen („untied“) Kredit in der Höhe von 1 Milliarde DM gewährt.32 Eine weitere
Milliarde DM hätte die BRD gewährt für den Fall, daß auch Reiseerleichterungen
für Westberliner gewährt worden wären. Dies soll (siehe Punkt 1.3.) am Wider-
spruch der Sowjetunion gescheitert sein.
In der Folge ist der Arbeitsbesuch E. Honeckers „verschoben“ worden, wofür
es verschiedene Gründe geben dürfte. In erster Linie scheint für die Absage der
Widerstand der Sowjetunion maßgeblich gewesen zu sein, welche den „Dialog
der Stellvertreter“ als im Augenblick nicht (mehr) zweckmäßig ansieht und vom
deutsch-deutschen Dialog keine, ihr erwünschten Ergebnisse erwartet. Da eine
unterstützende Entscheidung des damals schwer erkrankten Generalsekretärs
Tschernenko für Generalsekretär Honecker nicht mehr zu erwarten war, verzich-
Wenn im Zuge der Vorbereitung eines (nun verschobenen) Arbeitsbesuches von Erich
Honecker in der BRD im August 1984 Maßnahmen getroffen wurden, die eine Reiseerleich-
terung bedeuten (Senkung des Mindestumtausches; Verbesserung im grenznahen Verkehr
etc.), so werden diese Maßnahmen langfristig nicht entscheidend zu einer Änderung des
Ausreisedruckes beitragen. Erstens weil diese Maßnahmen nur geeignet sind, das Reisen von
West nach Ost, aber nicht auch von Ost nach West zu fördern. Auch sollen angeblich noch
immer 30 % der DDR-Bevölkerung verwandtschaftliche Verbindungen in der BRD besitzen,
sodaß dem Problem nur mit einer umfassenden und großzügigen Besuchsreiseregelung bei-
gekommen werden kann.
Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die DDR-Staats- und Parteiführung sich in absehbarer
Zeit zu einer solchen Liberalisierung bereitfinden könnte, obgleich Pläne hiefür schon seit
längerem diskutiert werden. Ursache hiefür scheinen nicht zuletzt auch Bedenken der UdSSR
zu sein, die eine größere Freizügigkeit als Gefahr für die innere Stabilität der DDR ansieht.“
32 Der Abschluss des zweiten Milliardenkredits war am 25. Juli 1984 bekannt geworden.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99