Page - 134 - in Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 - Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
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19.3.1987: Analyse Gesandter Sucharipa
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Dok. 5
hoher Sowjet-Funktionäre (insbesondere Ligatschow,3 Ryschkow4) betreffend den
Gorbatschow-Kurs, die zumindest dem ersten Anschein nach „bremsenden“ Cha-
rakter hatten, vermehrten noch die Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der Dauer-
haftigkeit und des letztlichen Erfolges des vom KPdSU-GS eingeleiteten Prozesses.
Dementsprechend uneinheitlich und bisweilen vieldeutig sind daher die bisheri-
gen Reaktionen in mehreren der der Sowjetunion verbündeten WP-Staaten.
[…]5
5) Deutsche Demokratische Republik: Zwiespältig wie in der ČSSR6 ist die Reak-
tion der DDR-Führung auf Gorbatschows Perestroika. Nach dem Jänner-Plenum
des ZK der KPdSU veröffentlichten die DDR-Medien nur wenige ausgewählte Pas-
sagen aus Gorbatschows Rede. Ein Absatz aus der „Gemeinsamen Mitteilung“7
der Sowjetunion und der DDR zum Abschluss eines Anfang Februar stattge-
fundenen Besuches Außenministers Schewardnadse8 in Ost-Berlin deutet zwar
darauf hin, dass die DDR die Zustimmung Moskaus für den gegenwärtigen Kurs
der SED erhalten habe,9 doch markiert eine Grundsatzrede, die Honecker kurz
3 Jegor K.
Ligatschow, Mitglied des ZK und der KPdSU (1976–1990). Vollmitglied des Politbüros
(1985–1990), siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
4 Nikolai I.
Ryschkow, Mitglied des ZK der KPdSU (1981–1991), Mitglied des Politbüros (1985–
1990), Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR (1985–1991), siehe Personenregister mit
Funktionsangaben.
5 Ausgelassen wurden die Abschnitte zu Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der ČSSR.
6 Die Wertung zur ČSSR lautete wie folgt: „Ein verstärkter Konflikt innerhalb der čsl. Füh-
rung ist erkennbar. Reaktionen aus dem pragmatischen Flügel der Parteiführung ([Lubomír]
Štrougal, [Miloš] Jakeš) lassen es möglich erschienen, daß orthodoxe Widerstände ([Vasiľ]
Biľak, [Jan] Fojtík, [Alois] Indra)
nach und nach abgebaut werden und durchaus Elemente der
sowjetischen Reformpolitik – einschließlich einer ‚Demokratisierung‘ in Partei und Gesell-
schaft
– in der ČSSR Eingang finden. Weite Teile der Bevölkerung bewundern die Zielstrebig-
keit Gorbatschows bei der Verfolgung seiner Politik des ‚Umbaues‘ und erwarten ähnliche
Entwicklungen auch für die ČSSR. Auch in der Partei selbst finden seine Reformbestrebun-
gen
– vor allem an der Basis
– durchaus Anklang, ohne daß jedoch eine öffentliche Diskussion
stattfindet. Es ist davon auszugehen, daß eine neue, pragmatisch orientierte Führung durch-
aus Chancen hätte, eine auf die ČSSR zugeschnittene Reform- und Demokratisierungspolitik
mit breiter öffentlicher Zustimmung tatsächlich in die Tat umzusetzen.“
7 Gemeinsame Mitteilung über den offiziellen Freundschaftsbesuch des sowjetischen Außen-
ministers in der DDR, in: Neues Deutschland, 5. Februar 1987, S. 2.
8 Eduard Schewardnadse, Minister für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR (1985–1991),
siehe Personenregister mit Funktionsangaben.
9 Außenminister Schewardnadse besuchte vom 2. bis 4. Februar 1987 die DDR. Die österrei-
chische Botschaft in der DDR berichtete: „Der sowjetische Gesprächspartner räumte eher
freimütig ein, dass viele der in der UdSSR zur Zeit aufgeworfenen Fragen (Reformen in Partei
und Staat) für die DDR nicht aktuell seien. Ja, die DDR-Wirtschaft gelte sogar in vielen Berei-
chen als Modell für die Sowjetunion. Ganz in diesem Sinne äußerten sich die DDR-Gesprächs-
partner, indem sie darauf verwiesen, dass die Gegebenheiten in der DDR eben durchaus anders
seien als in der Sowjetunion. Im Hinblick auf den Entwicklungsstand der DDR findet Glasnost
(noch) nicht statt, da die nationalen Bedingungen zum Aufbau des Sozialismus in der DDR
offensichtlich doch anders gestaltet sind als in der Sowjetunion. […] Nach dem Besuch von
Schewardnadse in Berlin kann festgehalten werden, dass die Dialogpolitik der DDR mit west-
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99