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28.1.1988: Länderberichte Gesandter Sucharipa Dok. 16
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Die Gorbatschowschen Reformbestrebungen haben vor allem bei Intellektuel-
len, Jugendlichen und in Kreisen von alternativen Gruppen einige Erwartungen
geweckt. Im Zusammenhang mit dem BRD-Besuch von Erich Honecker ergab
sich für die Staats- und Parteiführung im Vorfeld dieses Besuches die Notwen-
digkeit, gegenüber diesen kleinen Gruppen der Gesellschaft größere Duldung an
den Tag zu legen. Verschiedene Gruppen und Initiativen, die sich für Frieden,
Menschenrechte und Umweltschutz einsetzen, konnten über die Hilfestellung
der BRD-Medien verstärkt zu Gehör kommen. In letzter Zeit wird hier offenbar
(durch verschiedene Repressionsmaßnahmen, einschließlich Verhaftungen und
Abschiebungen in die BRD) wieder stärker versucht, diese Gruppierungen unter
Kontrolle zu halten.
Die Evangelische Kirche in der DDR hat die in ihrem Randkreis agierenden
alternativen Umweltschutz- und Menschenrechtsgruppen vor dem Zugriff des
Staates geschützt. Diese Solidarisierung der Kirchenleitung mit den alternativen
Gruppen ist bei manchen Gläubigen in der Kirche nicht unumstritten geblieben.
Umweltschutz und Umweltzerstörung beschäftigen auch die Bevölkerung in
der DDR in zunehmendem Maße. Hier sah sich die Führung genötigt, zum ersten
Mal deutlich das Vorhandensein dieser Probleme zuzugeben. Die Versicherung,
dass der erste Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden alles unternehme,
um dem Schädigungsprozeß Einhalt zu gebieten, findet in der Bevölkerung we-
nig Glaubwürdigkeit. Zu vielen ist bekannt, dass die hiefür notwendigen enormen
Investitionen nicht getätigt werden können. Die zumindest mittelfristigen Pläne
der DDR, die Energieversorgung vor allem auf die heimische Braunkohle auszu-
richten, wird von vielen schon heute als Fehleinschätzung betrachtet.
Im wirtschaftlichen Bereich konnte trotz grundsätzlich weiterhin positiver
Entwicklung das für 1987 vorgesehene Wachstum des Nationaleinkommens um
4,4 % nicht erreicht werden (ca. 4 %). Einer der Gründe liegt nach wie vor in der
fehlenden Effizienz der wissenschaftlich-technischen Entwicklung. In kleinen
Schritten wird jedoch die direkte Planung reduziert und der Entscheidungsspiel-
raum der Betriebe vor allem durch die schrittweise Erhöhung der „Eigenwirt-
schaft der Mittel“ vergrößert werden. Grundsätzliches kann sich jedoch nicht
ändern, solange die Eckpfeiler des Wirtschaftssystems in der DDR nicht geändert
„Zum Streit der Ideologen meldeten sich auch zwei Ideologen aus der DDR zu Wort. Polit-
büromitglied und Sekretär des ZK der SED, Kurt Hager, hielt vor einer Parteiaktivtagung
der Bezirksparteiorganisation Frankfurt an der Oder ein Referat, das am 28. Oktober 1987
im ‚Neuen Deutschland‘ veröffentlicht wurde. Professor Dr. Otto Reinhold, Rektor der Aka-
demie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und Mitautor des Dokuments ‚Der
Streit der Ideologen und die gemeinsame Sicherheit‘ gab ein Interview, das am 11. November
1987 im ‚Neuen Deutschland‘ erschien. Durch diese zwei Veröffentlichungen wurde deutlich,
dass Parteikreise durch das zwischen der SPD und der SED gemeinsam vereinbarte Papier ver-
unsichert wurden und dass es für die ideologische Kampfrichtung im Inneren für notwendig
erachtet wurde, eine deutliche und doppelte Sprachregelung herauszugeben.“ Diese Vorgangs-
weise bedeute noch keineswegs eine Verstärkung der Abgrenzung nach außen, wertete Bot-
schafter Wunderbaldinger.
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Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Title
- Österreich und die deutsche Frage 1987–1990
- Subtitle
- Vom Honecker-Besuch in Bonn bis zur Einheit
- Editor
- Michael Gehler
- Maximilian Graf
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35587-5
- Size
- 15.5 x 23.2 cm
- Pages
- 792
- Categories
- Geschichte Nach 1918
Table of contents
- Einleitung: Österreich und die deutsche Frage 1945–1990 7
- I. Vorbemerkungen 7
- II. Ausgangsbedingungen und Vorgeschichte: Von der „doppelten Staatsgründung“ zur Perpetuierung deutscher Zweistaatlichkeit (1949–1987) 11
- 1. Die Entwicklung bis zum Entscheidungs- und Zäsurjahr 1955 11
- 2. Gescheiterte Vermittlungsversuche (1958–1963) 19
- 3. Die Entwicklung bis zum Grundlagenvertrag 1972 23
- 4. Österreich, die europäische Integration und die Anerkennung der DDR im Zeichen der Entspannung (1961–1972) 28
- 5. Das Verhältnis Österreichs zu den beiden deutschen Staaten bis zum Bonn-Besuch Honeckers (1972–1987) 32
- III. Österreich und die deutsche Frage 1987–1990 38
- 1. Österreich und die scheinbare Stabilität des SED-Regimes 38
- 2. Die Grenzöffnung im Kontext der Langzeitentwicklungen und ihre direkten Folgen 43
- 3. Österreichs Annäherungen an das gemeinschaftliche Europa, die Bundesrepublik und die deutsche Frage 50
- 4. „Mauerfall“ und „Wiedervereinigung“: Die Haltung Österreichs bis Ende 1989 63
- 5. Österreich und die deutsche Frage Anfang 1990 75
- 6. Der Einigungsprozess und seine internationale Durchsetzung aus österreichischer Sicht 86
- 7. Österreichs Abschied von der DDR 92
- 8. Österreich, die deutsche Einheit und der Weg nach Europa – Bilanz und Ausblick 95
- IV. Editorische Vorbemerkungen 99